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       # taz.de -- Suchmaschine schafft Tod ab: Hat da jemand Hybris gesagt?
       
       > Google steigt in den Gesundheitsmarkt ein. Die Tochter Calico soll das
       > Altern aufhalten, das Leid mildern, das Leben verlängern. Toll, oder?
       
   IMG Bild: Typisch Internet: Die Google-Bildersuche nach „Calico“ ergibt bis jetzt vor allem Treffer von gescheckten Katzen.
       
       Teenager neigen zur Selbstüberschätzung. Es erinnert an die Suche der
       Alchemisten nach dem Stein der Weisen, was CEO Larry Page kurz vor Googles
       15. Geburtstag ankündigte: Die Gründung von Calico („California Life
       Company“) markiert den Wiedereinstieg in den Gesundheitsmarkt. Nach dem
       Ende von Google Health, einer Plattform zur Verwaltung medizinischer Daten,
       ist der nächste Wurf des kalifornischen Unternehmens ungleich größer.
       
       Die Tocherfirma Calico wird sich der Erforschung von Alterungsprozessen und
       deren Verhinderung widmen. Eine Website oder konkrete Informationen über
       die geplanten Forschungsgebiete gibt es noch nicht – aber eine
       [1][Titelgeschichte] im Time Magazine, deren Tenor nun vielfach
       reproduziert wird: „Das Leben verlängern? Den Tod aufhalten? Klingt
       verrückt – wäre es nicht Google.“
       
       Der servile Gehorsam gegenüber Googles Auftreten mag sich aus dem Umstand
       speisen, dass das Unternehmen langsam aber stetig in all unsere
       Lebensbereiche eindringt und dabei meistens innovativ und erfolgreich
       abschneidet. Aus dem Anbieter einer Web-Suchfunktion ist ein horizontal
       integriertes Wirtschaftunternehmen geworden.
       
       Aktuell umfassen Googles operative Geschäfte: Das Kerngeschäft
       Online-Werbung, Mobile Betriebssysteme, eine Social Media-Plattform, einen
       Landkartendienst, die größte Videoplattform der Welt, Notebooks, Google
       Docs – ein Konkurrenzprodukt zu Microsoft Office, Browser und Email
       Provider.
       
       Selbststeuernde Fahrzeuge mit Google-Equipment warten auf ihre Marktreife,
       die berühmte Brille mit Internetanschluss wird uns ab 2014 auf der Straße
       begegnen. Ob Internet-Providing mit Glasfaserkabel, Windkraft oder
       Breitband-Internet per Ballon: Googles Aktivitäten scheinen keine Grenzen
       gesetzt. In Le Monde Diplomatique stellte Robert Darnton am Beispiel von
       Google Books als [2][größter Bibliothek der Welt] heraus, wie Google
       Profite erzielt, ohne selbst im Besitz der gehandelten Güter zu sein.
       
       Journalist Jeff Jarvis schrieb 2009 in seinem Buch „What would Google do?“,
       dass die breite Aufstellung am Markt keinesfalls unlogisch sei: Dem
       Selbstverständnis des Unternehmens nach ist Google nämlich kein
       Internetkonzern, sondern als Informations- und Organisations-Dienstleister
       tätig. Ihm zufolge wäre es also falsch, von einer unnachvollziehbar um sich
       greifend wachsenden Suchmaschine zu sprechen – denn bis jetzt ist jedes
       neue Geschäftsfeld unter Lebensorganisation und Informationsbeschaffung
       summierbar.
       
       ## Traumkarriere: Pharmaforschender Google CEO im Apple-Aufsichtsrat
       
       Art Levinson, einer der bekanntesten Biotechnologie-Manager, wird CEO bei
       Calico. Pharmafirmen, Biotechnologie-Unternehmen und führende IT-Konzerne
       schmücken seine Vita. Sein gegenwärtiges Engagement im Management des
       Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche, bei Apple und NGM Biopharmaceuticals
       plant er fortzuführen.
       
       Pascal Herbert von [3][Googlewatchblog] sieht in der Personalentscheidung
       für Levinson Anzeichen dafür, dass Google Calico ernster nimmt als den im
       Januar eingestellten Dienst Google Health. Auch die 2007 getätigte
       Investition in [4][//www.23andme.com/:23andme], das sich der Erforschung
       von Erbkrankheiten widmet, zeige das seit Jahren bestehende Interesse
       Googles am Bereich Biotechnologie und Genomforschung.
       
       Larry Page spricht im Fall von Calico von einem „Moon Shot Investment“: So
       nennt Google Projekte, die von Langfristigkeit und totaler Neuerfindung der
       Problemlösungs-Strategie geprägt sind. Die Idee ist, einen vorliegenden
       Fall nicht um [5][10 Prozent, sondern um das Zehnfache] verbessern zu
       wollen. Orientierung an gewünschten Idealzuständen statt an vorgefundener
       Realität darf man guten Gewissens als utopisches Denken bezeichnen. Gibt
       Google uns die Impulse für eine neue, bessere Zukunft? Ist Google gar der
       neue Thomas Morus?
       
       ## Halb Thomas Morus, halb Gordon Gekko
       
       Höchstens anteilig. „Moon Shot Investment“ enthält nämlich nicht nur den
       weltverbessernden Schuss Richtung Mond, sondern auch schlicht „Investment“.
       Ob bei Calico selbst geforscht oder vor allem mit Venture Capital das
       Know-How junger Unternehmen eingekauft werden wird, ist gegenwärtig nicht
       klar.
       
       Wenn es sich also vorrangig um wie auch immer geschickt platziertes Geld
       aus Googles gut gefüllten Töpfen (liquide Mittel von knapp 40 Mrd.
       US-Dollar) handeln sollte, welche Aussichten hat Calico dann? Arndt
       Kussmann, Leiter der Finanzanalyse der quirin bank, sagte der taz dazu: „In
       aller Regel sind Investitionen in die Krankheitserforschung und -bekämpfung
       mit hohen Risiken und Kosten behaftet, vor allem wenn es sich um innovative
       Projekte und neuartige Forschungsansätze handelt. Nicht von ungefähr hat
       Larry Page die Gründung der neuen Tochtergesellschaft als „Langzeit-Wette“
       bezeichnet. Die Gesundheitsbranche ist aber allein schon aufgrund der
       demographischen Entwicklung in vielen Industrieländern ein
       zukunftsträchtiger Markt. Zudem spielt die steigende Nachfrage nach
       Gesundheitsdienstleistungen in den aufstrebenden Schwellenländern mit ihrer
       wachsenden, zahlungskräftigeren Mittelschicht eine gewichtige Rolle."
       
       ## 
       
       ## Das Leben ist eine Beta-Version
       
       Google zementiert derzeit mit Calico vor allem sein Image als Unternehmen,
       dem Herausforderungen nicht groß genug sein können. Und zwar jetzt, in der
       Gegenwart. Wer nach Calico im Internet sucht, wird auf reichlich Content
       stossen, der Furchtlosigkeit und Innovationsfreude aus der Gründung Calicos
       herausliest – unterdessen sei mit ersten Resultaten frühestens in 10 bis 20
       Jahren zu rechnen, so Larry Page. Oscar Wilde schrieb, Fortschritt sei nur
       die Verwirklichung von Utopien. Und eine Zukunft, in der das Altern
       behandelt werden kann wie ein Softwarefehler, ein „Bug“, das nur „gefixt“
       werden muss, wäre in der Tat fortgeschritten. Ob in Richtung Utopia oder
       Schöne Neue Welt, bleibt abzuwarten.
       
       27 Sep 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://content.time.com/time/magazine/article/0,9171,2152422,00.html
   DIR [2] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2009/04/03.mondeText1.artikel,a0056.idx,10
   DIR [3] http://www.googlewatchblog.de/
   DIR [4] http://https
   DIR [5] http://www.wired.com/business/2013/01/ff-qa-larry-page/all/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Donata Kindesperk
       
       ## TAGS
       
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