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       # taz.de -- Die Grünen nach der Wahlschlappe: Gelassenes Scheitern
       
       > Bei den Grünen beginnt nach der Wahl die Fehleranalyse. Und die Suche
       > nach künftigen Optionen. Schwarz-Grün gehört zunächst nicht dazu.
       
   IMG Bild: Hätte, hätte: Den Grünen fehlte die Machtperspektive, meinen sie.
       
       BERLIN taz | Jürgen Trittin spricht ruhig, fast gelassen, obwohl er gerade
       sein Scheitern eingesteht. Trittin, Exspitzenkandidat einer tief
       verunsicherten Partei, steht auf der grün ausgeleuchteten Bühne in der
       Berliner Columbiahalle. Die Wände und der Fußboden sind schwarz gestrichen,
       normalerweise finden hier Rockkonzerte statt. Und Trittin erklärt, warum
       seine Idee, die Gesellschaft zu verändern, so gar nicht rockte.
       
       Mit ihrem Ergebnis von 8,4 Prozent seien die Grünen auf das Niveau von 2002
       oder 2005 zurückgefallen, bilanziert er. „Wir waren überzeugt, dass wir
       einen breiten gesellschaftlichen Konsens zum Ausdruck bringen“, sagt er.
       Seine Partei habe die Bereitschaft für Reformen und für den ökologischen
       Umbau „zu optimistisch eingeschätzt“.
       
       Trittin spricht über das sorgfältig austarierte Programm, auf das sich die
       Partei in den vergangenen Jahren geeinigt hat. Über sein Meisterwerk. Mehr
       Geld für Kitas und Schulen, eine ordentliche Energiewende, soziale Konzepte
       wie die Garantierente. Um das zu bezahlen, moderate Steuererhöhungen für
       Gutverdiener, das war die Idee.
       
       Die WählerInnen haben klar geantwortet. 8,4 Prozent, das heißt: Nö, danke.
       Lieber nicht. Die Grünen sind wieder in der Nische angekommen.
       
       ## Die Partei wird sich verändern
       
       Am Tag 1 nach der Wahl, nach dem Blitzschlag, der die Grünen getroffen hat,
       deutet sich an, wie sehr das die Partei verändern wird.
       [1][//www.taz.de/Personalwechsel-nach-der-Wahl/!124290/:Personelle
       Konsequenzen werden in Umrissen sichtbar.] Der Vorstand und der Parteirat
       tagen am Montagvormittag stundenlang, übermüdet ziehen die Spitzenleute
       eine erste Bilanz.
       
       Auf der Pressekonferenz in der Konzerthalle, wo neben Trittin auch Katrin
       Göring-Eckardt und die beiden ParteichefInnen Claudia Roth und Cem Özdemir
       stehen, wird klar, dass die Fehleranalyse Monate, wenn nicht Jahre dauern
       wird. Zu viel ist falsch gelaufen: Wähler aus der Mittelschicht, die die
       Steuerpläne entlasten sollten, dachten, sie würden belastet. Das Label
       Verbotspartei, das den Grünen angeklebt wurde, weil sie einen vegetarischen
       Tag in Kantinen fördern wollten. Die schmierige Pädophilie-Debatte, die
       viel Vertrauen zerstörte.
       
       Dann der Deutungskampf um die wichtigsten Inhalte. War es richtig,
       angesichts einer zufriedenen Mittelschicht so dezidiert soziale
       Gerechtigkeit zu betonen? Oder wirkte die Partei so wie eine grün
       angestrichene SPD? Feine Nuancierungen machen deutlich, wer künftig welche
       Schwerpunkte setzen will.
       
       „Unser Kernprojekt bleibt die ökologische Transformation gemeinsam mit der
       Wirtschaft“, betont Özdemir. Auch Kerstin Andreae, bisher Fraktionsvize,
       will die Energiewende stärker in den Fokus rücken. „Die Grünen brauchen den
       Brückenschlag zur Wirtschaft. Wir setzen die Energiewende nicht gegen,
       sondern mit den Unternehmen durch.“
       
       ## Die Unternehmen mitnehmen
       
       Viele aus dem Realo-Flügel sehen das ähnlich. Der Wahlkampf sei zu
       konfrontativ geführt worden, heißt es. Man hätte die Unternehmen mitnehmen
       müssen, statt sie mit Umverteilungsplänen in die Enge zu treiben. Und man
       dürfe die bürgerliche Mitte nicht verprellen mit einem halben Dutzend
       Zusatzbelastungen.
       
       Auch eine uralte Debatte dürfte jetzt neu aufleben, nämlich die, ob sich
       die Grünen strategisch für Bündnisse mit der CDU oder der Linkspartei
       öffnen müssen. Vorstand und Spitzenkandidaten ketteten sich im Wahlkampf an
       die SPD, obwohl die Chancen für Peer Steinbrück, mit Rot-Grün Kanzler zu
       werden, von Anfang an schlecht standen.
       
       „Es war falsch, den Fehler aus dem Wahlkampf 2009 zu wiederholen, und ohne
       echte Machtoption zu agieren“, sagt Gerhard Schick, der Finanzexperte der
       Fraktion. Sowohl für die CDU als auch für die Linke hätten die Grünen
       „klare inhaltliche Bedingungen für Gespräche“ definieren müssen. „Bis zum
       Schluss war das Rennen offen zwischen dem schwarz-gelben Lager und
       Rot-Rot-Grün. Diese Spannung hätten wir für uns nutzen können.“
       
       Gesine Agena, die im Parteirat sitzt, ordnet das Fehlen der
       Regierungsperspektive ähnlich problematisch ein: „Uns hat sicherlich
       geschadet, dass wir keine realistische Machtoption hatten.“ Dieses
       strategische Problem müsse in den nächsten Jahren diskutiert werden.
       
       ## Keine Chance für Schwarz-Grün
       
       Und 2013? Klar ist: Wenn Angela Merkel anruft, wird die Grünen-Spitze
       Gespräche nicht verweigern. Demokraten reden miteinander, so haben es die
       Grünen schon 2005 gehalten. Allerdings geben die meisten Spitzenkräfte –
       egal ob sie zum Realo- oder Linken-Flügel gehören – einer solchen Koalition
       keine Chance.
       
       Alle betonen die inhaltlichen Differenzen, Roth fasst zusammen: „Uns kommt
       es nicht auf numerische Mehrheiten an, sondern auf inhaltliche
       Übereinstimmungen.“ Und die sehen sie nicht, mit einem vor Kraft
       strotzenden Seehofer, der vom Betreuungsgeld nicht lassen wird.
       
       Hinter vorgehaltener Hand zählen Grüne beider Flügel diverse Gründe auf.
       Merkel müsste, damit man vor einen Grünen-Parteitag treten könne, riesige
       Zugeständnisse machen. Das ist mehr als unwahrscheinlich. Und nicht zuletzt
       fehlte die Führungsfigur. Trittin, der Schwarz-Grün intern vielleicht
       durchsetzen könnte, wird wohl schon bald kein Spitzenmann mehr sein.
       
       23 Sep 2013
       
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