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       # taz.de -- Kommentar Bundestagswahl: Und jetzt?
       
       > Schwarz-Grün 

bietet Chancen für sozialen Ausgleich und ökologischen
       > Umbau. Trotzdem ist die Große Koalition wahrscheinlicher.
       
   IMG Bild: Kanzlerwein für Angie
       
       Es ist angesichts der Merkel-Mania der Deutschen nicht leicht, dieser Wahl
       Erfreuliches abzugewinnen. Aber es gibt Positives. Eine Regierung ohne FDP
       bedeutet: Das Bremserhäuschen in der nächsten Regierung bei Mindestlohn,
       höheren Steuern für Reiche und bei der Energiewende ist erstmal leer. Ob
       der einst mächtige, aber seit Fukushima ratlose und personell dünne
       Wirtschaftsflügel der Union diese Rolle einfach übernehmen kann, ist
       zumindest offen.
       
       Die gut geschmierte Arbeitsteilung zwischen der dehnbaren, in die Mitte
       zielenden Union und der FDP als Wirtschaftslobby ist erstmal passé. Egal,
       ob SPD oder Grüne mit Merkel regieren werden – die Chancen für sozialen
       Ausgleich und vernünftigen, zielstrebigen ökologischen Umbau sind ohne
       Brüderle und Rösler größer geworden. 
       
       In dem seit Jahrzehnten in Beton gegossenen konservativ-liberalen Block
       zeigen sich damit Haarrisse, auch wenn der triumphale Sieg Merkels das
       verdecken mag. Die FDP steht im Abseits – und es ist fraglich, ob sich
       diese auf Macht fixierte Partei davon erholen wird. Vielleicht sind der
       Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und der Abstieg der FDP
       Zeichen einer nationalistischen Rolle Rückwärts im liberalen Milieu.
       
       Die AfD ist die Fratze von Merkels hübsch verpackten, versteckten
       Nationalismus in der Eurofrage. Nachdem sie die Fünfprozenthürde nicht
       genommen hat, ist aber völlig offen, was mit dieser erst in diesem Jahr
       gegründeten Partei passieren wird.
       
       Die akute Frage lautet: Mit wem regiert Merkel? Vieles spricht für die SPD.
       55 Prozent der WählerInnen wollen die Große Koalition. Sie wollen am
       liebsten Merkel auf der Kapitänsbrücke plus SPD, die wacker im
       Maschinenraum arbeitet. Diese Harmoniesehnsucht hat etwas Unpolitisches,
       Regressives. Aber: Diese Wahl ist ein eindeutiges Votum für die Mitte. Für
       Merkel ist die Große Koalition die naheliegende Lösung. Das Regieren wäre
       einfacher. Die CSU könnte sich weniger Egotrips erlauben, und im Bundesrat
       gäbe es eine solide Mehrheit.
       
       ## Das ewige Problem der SPD
       
       Aus Sicht der SPD sieht die Lage weniger rosig aus. Man kennt dort das böse
       Ende, das von einer großen Koalition zu erwarten ist. In der SPD kursieren
       schon seit längerem kühne Tagträume. Man werde nach zwei Jahren die
       Koalition platzen lassen, Merkel abservieren, Neuwahlen gewinnen. Nun, das
       wird die solide, staatstragende SPD bestimmt nicht tun. Diese Fantasie ist
       die etwas kindische Art, sich das Unvermeidliche hübsch zu malen. Es gibt
       ja keinen Grund für die Annahme, dass die SPD Merkel diesmal weniger
       zerrupft übersteht als beim letzten Mal.
       
       Die SPD wird, nein muss, deshalb ihren Preis hochtreiben. Wenn sie sich
       schon opfert, muss es sich lohnen. Sie braucht den gesetzlichen
       Mindestlohn, höhere Steuern, doppelte Staatsangehörigkeit, kurzum: ein paar
       deutliche Symbole, dass die SPD die treibende Kraft in dieser Koalition
       sein wird. 2005 war es recht einfach, eine Große Koalition zu bilden. Die
       SPD war noch im Agenda-2010-Modus und fast so stark wie die Union.
       Augenhöhe aber wird es mit dieser Union, die im Parlament so stark ist wie
       seit Jahrzehnten nicht mehr, nicht geben.
       
       Genau das ist die Klippe, an der das Naheliegende auch scheitern kann. Wenn
       die Sozialdemokraten zu unbescheiden sind, kann die Union auch ein Bündnis
       mit den Grünen vorziehen. Schwarz-Grün ist die interessantere Variante. Es
       wäre ein Bündnis von altem und neuem Bürgertum, eine Regierung der Enkel
       von Ludwig Erhardt und Rudi Dutschke, mithin das letzte Versöhnungskapitel
       im bundesrepublikanischen Generationenroman. 
       
       Realpolitisch kann Schwarz-Grün ein paar sanfte Korrekturen Richtung
       soziale Gerechtigkeit anpeilen: leichte Steuererhöhungen, vielleicht einen
       gesetzlichen Mindestlohn, für den auch die Basis der Union Sympathien hegt.
       Der Ehrgeiz der Grünen unbedingt Steuererhöhungen für Besserverdiener im
       großen Maßstab durchzusetzen, dürfte im Wahlkampf etwas gelitten haben. Bei
       Datenschutz und Bürgerrechten könnten die Grünen die Rolle der FDP besser
       spielen als die SPD, die zu wurschtigem Etatismus neigt. Und Schwarz-Grün
       hätte ein Projekt: die Energiewende. 
       
       ## Mal wieder gescheitert
       
       Für die Grünen wäre eine Regierung mit der Union eine logische Konsequenz
       dieser Wahl. Rot-Grün ist mal wieder gescheitert. Und nichts spricht dafür,
       dass Grüne und SPD in absehbarer Zeit im Bund auch nur in die Nähe einer
       eigenen Mehrheit kommen werden. Rot-Rot-Grün ist blockiert, solange die SPD
       an ihrer negativen Fixierung auf die Linkspartei festhält. Und das kann
       noch dauern.
       
       Die Pilotversuche von Union und Grünen in Hamburg und im Saarland sind
       gescheitert. Diese Regierung hätte im Bundesrat gar keine Truppen. Und ein
       Kabinett mit, sagen wir, Claudia Roth und Markus Söder, kann man sich nicht
       so recht auch nicht vorstellen. Der kulturelle Graben zwischen Union und
       Grünen ist tief und schwer berechenbar.
       
       Kurzum: Schwarz-Grün wäre das ambitioniertere, innovativere und auch
       riskantere Unternehmen. Ambitioniert, innovativ, riskant – klingt das nach
       Angela Merkel?
       
       23 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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