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       # taz.de -- Kolumne Wutbürger: Packt das Smartphone weg!
       
       > Einst fotografierten wir, um Momente zu bewahren. Das Wesen der
       > Digitalfotografie ist es, Momente auf alle Ewigkeit zu zerstören.
       
   IMG Bild: „Es war kaum noch möglich, das Geschehen mit eigenen Augen zu verfolgen.“
       
       Einst war es das Wesen der Fotografie, Momente für die Ewigkeit zu
       erhalten. Bei der digitalen Fotografie liegt die Sache anders. Zwischen dem
       Schießen eines Fotos und seinem Verfallsdatum liegt bei den meisten gerade
       noch die Zeit, die man braucht, um es sich anzusehen und sofort zu löschen.
       
       Lange Zeit war mir das egal. Wenn die Leute die Welt nur noch über einen
       zigarettenschachtelgroßen Bildschirm wahrnehmen wollen, bitte schön.
       Inzwischen aber bin ich überzeugt: Das Wesen der Digitalfotografie ist es,
       Momente auf alle Ewigkeit zu zerstören.
       
       Endgültig klar wurde mir das bei einem Festival, das ich vor Kurzem
       besuchte. Egal, welche Band gerade auf der Bühne stand: Etwa alle drei
       Sekunden schnellte ein Smartphone oder eine Digiknipse in die Luft. Ich
       habe sogar ein paar Tablets gesehen. Es war kaum noch möglich, das
       Geschehen mit eigenen Augen zu verfolgen.
       
       Doch was soll dabei herauskommen, wenn man im Dunkeln aus zweihundert
       Metern mit einer Kamera fotografiert, die im Hellen bei zehn Metern schon
       an ihre Grenzen stößt? Wie man sich am nächsten Tag beim Anblick dieses
       Breis aus Farben, Licht und schwarzen Flecken an den Vorabend erinnern
       will, ist mir unbegreiflich. Es ist, als würde man die Musik nachempfinden
       wollen, indem man einen Text liest, der entsteht, wenn ein Schimpanse im
       Takt auf der Tastatur tanzt. „Song 2“ von Blur, einer der Bands des
       Festivals, liest sich dann so: Lmö
       
       Ich kann diese Entwicklung nicht mehr stoppen. Der Fortschritt ist wie ein
       Sack Flöhe. Einmal entkommen, ist er nicht mehr einzufangen. Ich ziehe
       deshalb meine Konsequenzen. Beim nächsten Konzertbesuch werde ich mich zu
       einem Knipser stellen und ihm alle drei Sekunden zuraunen: „Ist das nicht
       ein ganz, ganz tolles Konzert?“
       
       Ich bin sehr, sehr zuversichtlich: Diesen Abend wird er so schnell nicht
       vergessen. Und davon haben wir ja beide etwas.
       
       22 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai Schächtele
       
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