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       # taz.de -- Überwachung von Journalisten: Bespitzelt und vertuscht
       
       > Unter Ex-Innenminister Schünemann hat Niedersachsens Verfassungsschutz
       > Journalisten beobachtet und im Fall der taz-Autorin Andrea Röpke
       > versucht, das zu vertuschen.
       
   IMG Bild: Unangenehme Wahrheiten verkünden: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger.
       
       HANNOVER taz | Niedersachsens Verfassungsschutz hat rechtswidrig mindestens
       sieben Journalisten überwacht. Über sie wurden Daten gesammelt, obwohl es
       keinerlei Anlass wie etwa einen Extremismusbezug gab, teilten Innenminister
       Boris Pistorius und Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger (beide
       SPD) am Mittwoch in Hannover mit.
       
       Brandenburger prüft seit ihrem Antritt an der Verfassungsspitze mit dem
       rot-grünen Regierungswechsel im Frühjahr stichprobenartig die gespeicherten
       Daten der Behörde – und ist dabei auf die rechtswidrige Überwachung
       gestoßen. Im Fall der Rechtsextremismusexpertin und freien Journalistin
       Andrea Röpke, die als Autorin etwa für das NDR-Magazin „Panorama“ und auch
       die taz tätig ist, versuchte die Behörde gar, die Beobachtung zu
       vertuschen: Nachdem Röpke 2012 ein Auskunftsersuchen gestellt hatte, wurden
       die Daten über sie gelöscht. Röpke erhielt danach die Auskunft, sie sei
       nicht im Visier.
       
       Dass dem nicht so war, teilte ihr Verfassungsschutzpräsidentin
       Brandenburger persönlich am Mittwochvormittag telefonisch mit – kurz bevor
       sie gemeinsam mit Innenminister Pistorius erst den
       Landtags-Verfassungsschutzausschuss und dann die Öffentlichkeit
       informierte. Tatsächlich seien über Röpke von 2006 bis März 2012 Daten
       gesammelt worden. Röpke sieht sich klar „belogen“.
       
       Ihr Anwalt Sven Adam kündigte an, eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen
       diese Falschauskunft zu prüfen. „Es ist ernüchternd, dass man alleine durch
       die Arbeit in einem so sensiblen politischen Bereich selbst Objekt der
       Beobachtung wird“, sagt Röpke.
       
       Die Deutsche Journalisten-Union sieht einen „rechtswidrigen Eingriff in die
       Pressefreiheit“ und fordert umgehend Aufklärung. Und auch Niedersachsens
       Innenminister Pistorius spricht von „eklatanten Versäumnissen beim
       Verfassungsschutz“ und betont, „die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das
       vom Grundgesetz geschützt ist“. Zugleich spricht er von „schweren Lasten
       der Vergangenheit“: Gespeichert wurden Daten über Journalisten aus den
       Jahren 2006 bis 2012 – also vor Pistorius’ Amtszeit, noch in der Ära von
       Ex-Innenminister Uwe Schünemann und Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans
       Werner Wargel (beide CDU).
       
       Wargels Nachfolgerin Brandenburger fand nach eigenen Angaben bei ihrer
       Stichprobenprüfung gleich zu sechs von mehr als 20 Namen von Journalisten
       in den Datenbanken Speicherungen, für die es keinen Anlass gab.
       Brandenburger ließ die fälschlicherweise gesammelten Daten umgehend löschen
       und ordnete schließlich im August eine systematische Prüfung aller
       Datensätze der Behörde zu rund 9.000 Personen auf ihre Rechtmäßigkeit hin
       an.
       
       „Ich kann nicht ausschließen, dass es weitere solche Fälle gibt“, sagt sie.
       Geprüft werde auch, ob die betroffenen Journalisten gezielt auf Anordnung
       von Vorgesetzten oder gar der Spitzen von Verfassungsschutz und
       Innenministerium bespitzelt wurden. Abhörmaßnahmen oder V-Leute seien zwar
       nicht gegen die Journalisten eingesetzt worden, betont Brandenburger. Bei
       dieser Berufsgruppe aber müsse der Verfassungsschutz genau abwägen:
       „Berührungspunkte zum Extremismus können hier aus beruflichen Gründen nötig
       sein“, sagt Brandenburger. Von der Vertuschung im Fall von Röpke will
       Brandenburger erst jetzt erfahren haben: Ein Mitarbeiter habe ihr den
       Löschvorgang offenbart, nachdem sie die systematische Prüfung angeordnet
       hatte.
       
       Röpke selbst ist von der Enthüllung wenig überrascht. Ihre Arbeit und ihre
       Einschätzungen hätten den Verfassungsschutz bereits des Öfteren gestört.
       „Nach den Berichten musste er sich immer wieder dazu verhalten“, sagt sie.
       Ihr Anwalt Adam erinnert das indes an den Fall des Göttinger
       Hörfunkjournalisten Kai Budler, bei dem Niedersachsens Sicherheitsbehörden
       die Bespitzelung ebenfalls nicht zugeben wollten.
       
       Budler hatte 2011 durch ein Auskunftsersuchen erfahren, dass ihn der
       Verfassungsschutz über Jahre beobachtet hatte. Die Polizeidirektion
       Göttingen gab ihm die Auskunft, dass zumindest bei ihr nichts gespeichert
       sei. Und korrigierte sich kurz drauf. Budlers Klage gegen dieses Vorgehen
       wird im November verhandelt.
       
       18 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
   DIR Teresa Havlicek
       
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