URI: 
       # taz.de -- Schwarz-Gelbe Bilanz: Merkels gefühlter Erfolg
       
       > Die Kanzlerin sagt, ihre Koalition sei die erfolgreichste Regierung seit
       > 1990, denn den Deutschen gehe es prima. Stimmt das?
       
   IMG Bild: Mit Gottes Hilfe: Angela Merkel
       
       BERLIN taz | Im November 2012 passierte im Bundestag etwas Seltenes. Angela
       Merkel, die sonst jedes Publikum einzuschläfern weiß, hatte einen Lacher.
       „Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt: Dies ist die erfolgreichste
       Regierung seit der Wiedervereinigung“, sagte die Kanzlerin. Die Opposition
       johlte. Ist etwas dran an dem Fazit? Ist Schwarz-Gelb den im
       Koalitionsvertrag selbst gesetzten Ansprüchen gerecht geworden? Oder den
       Wahlversprechen von 2009?
       
       Lassen wir beiseite, dass in dieser Regierung auffällig viele Minister
       ausgewechselt wurden: Jung, zu Guttenberg, Brüderle, Schavan und Röttgen.
       Schauen wir, ganz nüchtern, auf Inhalte: 2009 kündigte die FDP Maßnahmen
       gegen Monopole an – etwa bei Energiekonzernen. Die FDP wollte sich als
       ordoliberale Wächter inszenieren, der für einen fairen Markt sorgt. Deshalb
       sollte das Kartellamt gestärkt werden. Passiert ist nichts – ebenso wenig
       wie beim Subventionsabbau.
       
       Vor allem wollte die FDP unbedingt die Steuern senken, die kalte
       Progression beseitigen und ein Drei-Stufen-System in der Einkommenssteuer à
       la Friedrich Merz einführen. Doch die vollmundig angekündigte neoliberale
       Revolution des deutschen Steuersystems wurde von Kanzlerin Merkel nach der
       Pleite bei der Wahl in NRW 2010 kühl abgesagt. Die 24 Milliarden Euro
       Steuersenkungen, die im Koalitionsvertrag angekündigt worden waren,
       landeten in der Schublade.
       
       Schwarz-Gelb hat die neoliberale Agenda nach ein paar Wahldesastern in den
       Ländern notgedrungen fallen gelassen. Auch die Mehrheit im Bundesrat war
       perdu. Durchregieren geht in der durch föderale checks and balances
       geprägten Republik selten. Allerdings blieb steuerpolitisch auch Sinnvolles
       auf der Strecke – etwa die Verbesserung der maroden Finanzlage der
       Kommunen.
       
       Es gab wohl noch nie in der bundesdeutschen Geschichte einen
       Koalitionsvertrag, der so wenig wert war. Schwarz-Gelb verordnete 2009 die
       Laufzeitverlängerung für AKWs – als Fukushima explodierte, verkündeten
       Merkel und Westerwelle hastig den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem
       Ausstieg. Die auf langfristige Planungssicherheit angewiesene
       Energiewirtschaft wirkte angesichts dieses Zickzackkurses irritiert.
       CDU-Umweltpolitiker Klaus Töpfer resümierte, dass es bei der Energiewende
       „hapert“.
       
       ## Gebrochene Versicherung
       
       Im Koalitionsvertrag fand sich auch noch die Versicherung, dass
       Schwarz-Gelb treu zur Wehrpflicht steht. Kurz darauf machte zu Guttenberg
       der Wehrpflicht den Garaus, ohne dass sich die Sachlage verändert hatte.
       Dass Rüstungsausgaben und Waffenexporte in den letzten vier Jahren um
       Milliarden wuchsen, überrascht bei einer konservativ-liberalen Regierung
       kaum.
       
       Angela Merkel hat stets versucht, all dies als pragmatische Anpassung an
       veränderte Bedingungen zu verkaufen. Doch noch nie hatte eine Regierung so
       wenig Plan. Sogar Rot-Grün, das 2002 zur eigenen Verblüffung an der Macht
       geblieben war und dem verdutzten Publikum die Agenda 2010 präsentierte,
       wirkte überlegter als das hektische Merkel-Westerwelle-Duo.
       
       Trotz dieser Flops soll das eine erfolgreiche Regierung sein? Merkel
       vertraut darauf, dass die Mehrheit glaubt, dass es ihr gut geht und dies
       dem weitblickenden Tun der Regierung zu verdanken ist. Die Eurokrise spielt
       sich ja weit weg im Süden ab, offiziell gibt es weniger als 3 Millionen
       Arbeitslose. Und irgendwie sorgte Ursula von der Leyen auch noch für
       Mindestlöhne in einzelnen Branchen.
       
       ## Soziale Spaltung zementiert
       
       Dieses Bild zeichnen auch viele Leitmedien. Allerdings wird dabei viel
       wegretuschiert. Knapp acht Millionen arbeiten in prekären Jobs, ein Viertel
       aller Arbeitnehmer hat mies bezahlte Jobs im Niedriglohnbereich. Nach wie
       vor ist der Preis für das Sinken der Arbeitslosenzahlen hoch. So gibt es
       mehr als 860.000 Aufstocker, die trotz Vollzeitjob Hartz IV brauchen.
       Schwarz-Gelb hat diese, auch im EU-Vergleich extreme, soziale Spaltung
       nicht geschaffen. Aber zementiert.
       
       Es ist eine Art politischer Zaubertick, dass Schwarz-Gelb das wichtigste
       Thema aus dem Wahlkampf verbannt hat: die Eurokrise. Merkel hat Athen,
       Lissabon und Madrid einen rabiaten Sparkurs verordnete, der dort die Krise
       noch gehörig verschärft hat. Und bislang gibt es wenig Indizien, dass diese
       Schocktherapie, die Südeuropa verarmt, wenigstens hilft, dem Ziel näher zu
       kommen, die drückende Schuldenstand dort zu senken.
       
       Erfolgreich war die Regierung vor allem in einem: Sie hat die Euro- und die
       Bankenkrise, die beide nur vertagt sind, von der Agenda verdrängt. Merkel
       inszeniert sich als Figur, die die Krise bewältigt hat. Sie hat aber nur
       das Krisengefühl verscheucht. Die Schwelbrände gibt es immer noch, jenseits
       der öffentlichen Aufmerksamkeit.
       
       19 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Koalition
   DIR Bundesregierung
   DIR Annette Schavan
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Schwerpunkt Atomkraft
   DIR FDP
   DIR Kleinstparteien
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR FDP
   DIR Horst Seehofer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Unmut über Schavans neuen Posten: Frau Doktor geht nicht so einfach
       
       Als ihr der Doktortitel aberkannt wurde, war sie auch ihren Ministerjob
       los. Nun ist Annette Schavan Hochschulrätin der Uni München.
       Wissenschaftler sind entsetzt.
       
   DIR Merkels EU-Politik: Ein schwarzer Tag für Europa
       
       Weil Rot-Grün versagt, kann Angela Merkel ihre Europapolitik fortführen.
       Für die Mitgliedsstaaten der EU ist das die denkbar schlechteste Nachricht.
       
   DIR Die Energiewende kommt noch: Was der Kohlekumpel wählen sollte
       
       Mit der Wahl am Sonntag entscheidet sich, wem die Stromerzeugung gehören
       wird. Wo das Kreuz machen? Eine Übersicht.
       
   DIR FDP im Wahlkampf: Wenn ihr uns nicht wählt, sterben wir!
       
       Die Liberalen gehen unter, schon wieder. Und die Union verweigert ihr die
       Blutspende. Warum es die FDP wieder in den Bundestag schaffen wird.
       
   DIR Wahlwerbespots der kleinen Parteien: Softporno trifft auf Badesee
       
       Sie haben keinen Fernseher? Dann entgehen Ihnen die Highlights des
       Wahlkampfs: Die TV-Wahlwerbespots der Kleinstparteien. Hier die Top10.
       
   DIR Bundestagswahl: Die Lage in Hamburg: Probeabstimmung für den Kanzler
       
       Obwohl er (noch) gar nicht nach Berlin will, steht Bürgermeister Olaf
       Scholz und sein Hamburger Erfolgsmodell bei der Bundestagswahl im Fokus.
       
   DIR Optionen bei der Hessenwahl: Jenseits von Schwarz-Gelb
       
       Vernunftehe, Traumhochzeit, relaxtes Mittebündnis und eine bürgerliche
       Horrorvision: In Hessen gibt es Alternativen zu CDU und FDP.
       
   DIR Kampf um Zweitstimmen: CDU erteilt FDP eine Absage
       
       Die FDP wirbt nach der Pleite bei der Bayernwahl massiv um Zweitstimmen von
       Anhängern der Union. Der passt das gar nicht.
       
   DIR Die CDU nach der Bayernwahl: Merkels Dilemma
       
       Der Sieg Seehofers bringt die Kanzlerin in Bedrängnis. Sie muss fürchten,
       dass Unions-Wähler jetzt eine Rettungsaktion für die FDP starten.