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       # taz.de -- Kommentar Pädophilie-Debatte: Kulturkampf von rechts
       
       > Konservative nutzen die Pädophilie-Debatte, um den Grünen mit drastischen
       > Unterstellungen vor der Wahl zu schaden. Die Fakten werden ignoriert.
       
   IMG Bild: Die Konservativen haben den Wahlsieg von Wilfried Kretschmann (l) in Baden-Württemberg noch nicht verdaut
       
       In der Endphase des Bundestagswahlkampfs wird der Ton rauer. Die Grünen
       seien in Sachen Pädophilie eine „Täterpartei“, so kündigt die FAS am
       Wochenende auf Seite 1 ihre Titelstory an.
       
       Der für den Politikteil verantwortliche Redakteur, Volker Zastrow, zieht
       sogar eine Parallele zum Umgang mit den NS-Verbrechen und behauptet in
       einem Kommentar: „Wenn diese Verbrechen ans Licht zu kommen drohen, kriegen
       die Opfer diese Macht ein zweites Mal zu spüren. Man will sie nicht hören
       und bringt sie zum Schweigen.“
       
       Klingt gut, richtig antiautoritär. Aber, warum soll der Umgang der Grünen
       mit pädophilen Gruppen in den 1980er Jahren wirklich mit dem Verdrängen der
       NS-Verbrechen in Nachkriegsdeutschland vergleichbar sein? Man muss schon
       sehr wenig wissen, um einer solch unhistorischen Argumentation aufzusitzen.
       Die Grünen-Parteiführung bestreitet nicht, dass es in ihrer Gründungsphase
       ab 1980 auch pädophile Gruppierungen gab, die versuchten, an die
       alternative parlamentarische Sammlungsbewegung anzudocken.
       
       Die ganzen 1980er Jahre waren bei den Grünen durchzogen von Flügelkämpfen,
       bis sich der demokratisch-reformistische Teil, bestehend aus undogmatischen
       Linken und Umweltbewegung, gegen alle möglichen Splittergruppen
       durchzusetzen wusste.
       
       Und am Rande eben auch gegen obskure Gruppen wie die Verfechter einer
       angeblich freien Sexualität von Kindern und Erwachsenen. Deren Funktionäre
       versuchten in den 1980er Jahren bei den Grünen mitzusurfen. Die junge
       Partei sah sich zunächst tatsächlich als Heimat für sehr viele Minderheiten
       und ausgegrenzte Gruppierungen.
       
       ## Eine Partei ohne Zentrum
       
       Gemeinsamer Background waren die Kämpfe seit den 1960er Jahren, gegen den
       noch extrem paternalistisch geprägten Staat und seine autoritären
       Institutionen. Daraus resultierte wohl auch anfänglich der moralische
       Skrupel, die unter dem Deckmantel von Antirepression und freierer
       Sexualität agierenden Pädophilengruppen umstandslos auszugrenzen. Die junge
       Partei hatte noch kein Zentrum.
       
       Doch dass nun ausgerechnet diejenigen, die wie Jürgen Trittin oder Daniel
       Cohn-Bendit die realpolitische Ausrichtung der Grünen bis 1990
       durchsetzten, im Fokus der Kritik stehen, ist schwer nachzuvollziehen.
       
       Es waren sie, die gemeinsam mit Galionsfiguren wie Joschka Fischer oder
       Claudia Roth die Sektierer aus der Partei drängten, neben oftmals
       autoritären Linken eben auch Lebensreformspinner wie die Pädophilen. Dies
       ist alles gut dokumentiert. Doch es ist Wahlkampf, und die CDU hat vor
       allem in Baden-Württemberg ihre spektakuläre Wahlniederlage gegen die
       Kretschmann-Grünen nicht verdaut.
       
       ## Staatsanwaltschaft findet nichts Verwertbares
       
       Kein Wunder, dass hier die Kampagne gegen Cohn-Bendit im Frühjahr seinen
       Ausgangspunkt nahm. Und bis heute fortdauert. Obwohl er seine
       pädophiliefreundliche Schrift von 1975 mehrfach öffentlich bedauert und
       widerrufen hat. Und obwohl die Recherchen von Spiegel bis Bild oder
       Staatsanwaltschaft nichts Verwertbares ergaben.
       
       Gegen den Kulturkampf von rechts haben die Grünen mit der Offenlegung ihrer
       Archive geantwortet. Der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter
       durchstöbert diese gerade. Er darf dabei seine Erkenntnisse zu jedem
       Zeitpunkt frei veröffentlichen. Nach Artikeln in FAS und Spiegel tat er
       dies [1][auch am Montag in der taz].
       
       Bei seinen Nachforschungen war er auf das Kommunalwahlprogramm der
       Göttinger AGIL von 1981 gestoßen, für das Jürgen Trittin im Sinne des
       Presserechts verantwortlich zeichnet. Darin wurde auch die Reform der
       Paragrafen 174 und 176 des Strafrechts gefordert. Trittin bezeichnet diese
       frühen Forderungen als falsch. Aus dem Bundesprogramm der Grünen sind sie
       seit 1990 verschwunden.
       
       ## Hinkender Vergleich
       
       Doch Politikerinnen wie Familienministerin Schröder oder Journalisten wie
       Volker Zastrow ignorieren dies. Sie suggerieren eine Kontinuität und
       betreiben damit einen längst überwunden geglaubten Kulturkampf von rechts.
       „Cohn-Bendits Eitelkeit“ sei „unaufhaltsam wie Brechreiz“, schreibt
       Zastrow, die Grünen Gutmenschen verblendet wie katholische Christen, so es
       um die Aufklärung von Kindesmissbrauch ginge.
       
       Doch auch dieser Vergleich hinkt wie der mit dem Nationalsozialismus. Die
       Grünen unterhalten im Gegensatz zur Kirche keine Internate oder
       Priesterseminare und haben auch keinen Papst. Mal sehen, wie wichtig das
       Thema den Konservativen nach der Wahl noch sein wird, wenn Franz Walter
       dann seinen unabhängigen Bericht über die Anfangsjahre der Grünen
       veröffentlichen wird.
       
       18 Sep 2013
       
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