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       # taz.de -- Die Wahrheit: Wen wählen?
       
       > Nach einem fantastischen Sommer in Finnland folgt daheim die
       > Auseinandersetzung mit der schwierigen Frage: Wen wählen?
       
   IMG Bild: Nach der Wahl
       
       Ich hatte einen herrlichen Sommer. Ich war in Finnland. Vielleicht hat der
       ein oder andere das hier gelesen. Eine fantastische Fahrt, denn ich war
       dadurch monatelang nicht in Deutschland. Dann aber kam ich nach Hause, und
       alles brach auf mich herunter und herab: Bundestagswahl. Bayernwahl.
       Hessenwahl.
       
       Als ich meine Wohnung betrat, lag zuoberst auf dem Poststapel die
       Wahlbenachrichtigung. Ich las, dass Kurt Kister in der Süddeutschen
       geschrieben hatte, sogar ein Metzgergeselle dürfe diesmal das TV-Duell
       leiten. Der Metzgergeselle war dann erhellender als die drei
       Spitzenjournalisten zusammen. Was hat der Kister bloß gegen
       Metzgergesellen? Ich war ratlos. Das also war mein Land.
       
       FDP-Spitzenkandidat Brüderle, das hatte man mir erzählt, hatte sich
       inzwischen einen Arm und ein Bein gebrochen. In meinem gesamten
       Freundeskreis gibt es niemanden, der je so viel gesoffen hätte, dass er
       gestürzt ist. Und ich neige zu vorsätzlichem Alkoholmissbrauch, gern in
       Gesellschaft. Um mir zu imponieren, muss man auch trinken können. Das
       sprach für die SPD. Ratlos stand ich vor Plakaten.
       
       Nichtwählen ging nicht. Das Land, das man von Hitler befreite und zur
       Demokratie zwang, gibt sich nun so lässig, dass sogar denkende Köpfe
       „Nichtwählen“ als politischen Akt deklarieren. Das wäre dann mindestens das
       zweite Mal, dass wir einfach mal so machen lassen.
       
       Ich überlegte, wen ich gern wählen würde und warum. Als Kanzler hätte ich
       gern Georg Schramm. Oberst Sanftleben als Verteidigungsminister und Lothar
       Dombrowski als Innenminister. Der stand aber leider nicht zur Wahl. Musste
       ich doch die Partei „Die Partei“ wählen? Deren Parteimotto lautet: „Wählt
       die Partei – sie ist sehr gut!“ Das klang überzeugend.
       
       Ich besuchte meine Eltern in Minden und meldete mich zurück aus Finnland.
       Fassungslos starrte ich dort auf ein Wahlplakat von Steffen Kampeter, das
       eher an eine Rewe-Werbung erinnerte, gemacht wie Lebensmittelwerbung.
       Kampeter ist Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und hier ließ er
       sich ablichten mit einem Apfel in der Hand, mit Bananen und Birnen neben
       sich. Pullover und Birne Ton in Ton. Ganz große Inszenierung. Der war schon
       in der Schule unangenehm ehrgeizig gewesen und wollte schon in der Neunten
       Kanzler werden.
       
       Kampeter sieht aber auf dem Foto mehr aus wie ein Metzgergeselle. Auch
       wegen des Obstes! In einem persönlichen Werbespot sagt sein Dienstleiter
       Schäuble, dass Angela Merkel Kampeter für ihn ausgesucht habe, und dafür
       bedankt sich Schäuble dann beim Wähler. Das klang verworren, aber ehrlich:
       „Ich wollte den gar nicht, Mutti hat mir den geschickt!“
       
       Meine Eltern fragten mich dann, wen ich wählen würde. Ich dachte lange
       nach. Niemand sollte dort im Berliner Parlament sitzen dürfen, der nicht
       wenigstens ein bisschen Ahnung vom wahren Leben hatte. Der nicht mindestens
       schon mal ein Praktikum in einer Schlachterei absolviert hatte. Und
       plötzlich wusste ich, wen ich wählen wollte: Die Partei mit den meisten
       Metzgergesellen.
       
       17 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Gieseking
       
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