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       # taz.de -- Kommentar Kirche und Staat: Nehmt den Kirchen ihre Pfründen!
       
       > Die Privilegien von Katholiken und Protestanten gehen an der Realität
       > vorbei. Nur Linke und Piraten fordern den Abbau der kirchlichen
       > Vorrechte.
       
   IMG Bild: In der Kritik wegen Geldverschwendung: Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst (Mitte, vorne)
       
       Was sind schon 460 Millionen Euro? Ein Klacks. 0,14 Prozent des
       Bundeshaushalts. Andererseits auch eine ganze Menge: zum Beispiel das
       Zwanzigfache dessen, was das Familienministerium für Projekte gegen
       Rechtsextremismus zur Verfügung stellt.
       
       460 Millionen Euro – in dieser Größenordnung bewegt sich die Summe, die
       Katholiken und Protestanten Jahr für Jahr aus Steuermitteln einstreichen.
       Nicht von der Kirchensteuer ist die Rede, sondern von den „altrechtlichen
       Staatsleistungen“. Das sind Ausgleichszahlungen für die Enteignung von
       Besitztümern im Zuge der Säkularisierung. Gut 200 Jahre ist das her.
       
       Eigentlich hatte schon die Weimarer Verfassung die Staatsleistungen zu
       einem Zopf erklärt, der abgeschnitten gehöre. Aber 50 Jahre später schrieb
       das Grundgesetz das unerfüllte Versprechen fort. Und da steht es noch
       heute. Als die Linke dieses Jahr den Entwurf eines
       Staatsleistungsablösegesetzes in den Bundestag einbrachte, war das der
       allererste Versuch, den über 90 Jahre alten Verfassungsauftrag umzusetzen.
       
       Der Entwurf wurde von allen übrigen Fraktionen abgelehnt. Dass darüber
       hinaus nur die Grünen sich für die Idee einer Anhörung zum Thema erwärmen
       konnten, fand der Linken-Abgeordnete Raju Sharma „armselig“. Zu Recht.
       
       ## Politik sucht kirchliche Nähe
       
       Denn so sieht die gesellschaftliche Realität aus: Wie Schnee nach einem
       langen Winter schmelzen die Bindungen der Deutschen zu den Großkirchen ab.
       Weniger als 60 Prozent gehören einer von beiden an, nach dem Krieg waren es
       noch 95 Prozent. Und die demografische Entwicklung der kommenden Jahrzehnte
       wird die Erosion weiter vorantreiben. Statt diesem Bedeutungsverlust
       Rechnung zu tragen, sucht die Politik aber weiter die Nähe zu Soutane und
       Talar und schmettert fürsorglich Angriffe ab.
       
       Neben der Linken sind die Piraten die einzige Partei mit halbwegs reeller
       Chance auf den Einzug in den Bundestag, die den Abbau kirchlicher Vorrechte
       fordern. Wobei es nicht nur um Staatsleistungen geht. Es geht um enorme
       steuerliche Privilegien, um die höchst umstrittenen Sonderrechte der
       Kirchen als Arbeitgeber, um ihre Präsenz an öffentlichen Schulen, Sitze in
       den Rundfunkräten usw.
       
       Dass CDU und CSU den Kirchen ihre Pfründen nicht streitig machen, wundert
       nicht. Bei den Sozialdemokraten wiederum ist die Furcht vor dem Ruch der
       „gottlosen Gesellen“ so groß, dass Katholik und Schönsprecher Wolfgang
       Thierse zum Parteigewissen geadelt wird, während das Grüppchen bekennender
       Laizisten nicht mal einen Arbeitskreis bilden darf. Und bei den Grünen sind
       die personellen Überlappungen, etwa in Gestalt der EKD-Funktionärin Katrin
       Göring-Eckardt, nicht zu übersehen.
       
       ## Große Missverständnisse
       
       Dabei wabert immer noch ein großes Missverständnis durch die Köpfe: dass
       eine starke Stellung der Kirchen nötig sei, weil diese eine ethische
       Orientierung bieten, die die republikanische Vernunft herzustellen nicht in
       der Lage ist. Nichts falscher als das. Auf viele moralische Fragen haben
       die Kirchen keine klare Antwort (Militäreinsätze), sie schlingern herum
       (Kapitalismuskritik) oder haben einfach säkulare Ideale übernommen
       (Menschenrechte).
       
       Und da, wo zumindest die Katholiken klare Kante zeigen (PID, Sterbehilfe
       usw.) trauen sie sich noch nicht einmal, ihre Haltung konsequent religiös
       zu begründen, und verstecken sich hinter naturrechtlichen Argumentationen.
       
       Grund genug, Joseph Ratzingers berühmt gewordener Forderung nach
       „Entweltlichung“ der Kirche nachzugeben. Ergebnisse liegen da noch in
       weiter Ferne. Immerhin ist halbwegs klar, von wem man sie beim besten
       Willen nicht erwarten darf.
       
       18 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prösser
       
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