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       # taz.de -- Debatte Kriegsrhetorik: Krieg ist Pop
       
       > Um Soldaten ins Gefecht zu schicken, braucht es in Demokratien
       > Zustimmung. Die ist leicht zu haben, wenn die Begründung nur eingängig
       > genug ist.
       
   IMG Bild: Ernste, betroffene Gesichter gehören unbedingt zum Spiel – Pressekonferenz zum Kosovokrieg, 1999.
       
       Es gibt den Krieg – und es gibt das Sprechen vom Krieg. In einer Demokratie
       ist das Sprechen vom Krieg Moden unterworfen. Wenn es um Einsätze gegen
       einsame Herrscher geht, die ein Volk unterdrücken und massakrieren,
       Herrscher wie der syrische Präsident Baschar al-Assad, dann gibt es klare
       Worte von Angela Merkel, zum Beispiel diese: „Jeder, der einen
       Militäreinsatz als letztes Mittel ablehnt, schwächt den Druck, den es auf
       Diktatoren aufrechtzuerhalten gilt.“
       
       Man muss nach diesen Worten nur etwas suchen – sie gelten nicht Assad. Sie
       sind nachzulesen in der Washington Post vom 20. Februar 2003, in einem
       Gastbeitrag von Angela Merkel – damals CDU-Vorsitzende und
       Oppositionsführerin.
       
       Der amerikanische Präsident, George W. Bush, bereitete gerade einen
       Einmarsch in den Irak vor. Einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, an dem
       sich die rot-grüne Bundesregierung nicht beteiligen wollte. Anders als
       Angela Merkel, sie signalisierte dem amerikanischen Präsidenten: Mit mir
       als Bundeskanzlerin wäre Deutschland dabei.
       
       Merkel wollte diesen Krieg. Und sie wollte, dass sich deutsche Soldaten
       daran beteiligen. Zumindest sprach sie davon. Die Erinnerung an diesen
       Umstand ist seltsam verblichen, vergessen und verdrängt in einem
       kollektiven Kurzzeitgedächtnis. Gewichen dem Bild einer Kanzlerin, die bei
       möglichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr wartet oder, um es in der
       Sprache der Befürworter eines Syrien-Einsatzes zu sagen: zaudert. Merkels
       Sprechen vom Krieg hat sich gewandelt, seit ihr Sprechen vom Krieg
       Konsequenzen hat: Sie ist nun vorsichtiger.
       
       ## Es waren unsere Kriege
       
       Der Irakkrieg hat gezeigt, dass Angela Merkel theoretisch bereit ist, an
       der Seite der USA einen Krieg zu führen, der nicht von einem UN-Mandat
       gedeckt ist. Syrien aber beweist, dass sie als Kanzlerin, an den Hebeln der
       Macht angelangt, davor zurückschreckt. Was nicht an grundsätzlichen,
       moralischen, gar pazifistischen Erwägungen liegen mag. Ihre Regierung ist
       gleichzeitig bereit, Panzer an Saudi-Arabien zu liefern, ein autoritäres
       Regime, das im Nachbarland Bahrain Proteste niederwalzt. Es ist also nicht
       unbedingt die Moral, die bremst. Merkel überträgt schlicht jenes
       Defensivspiel, jenen politischen Catenaccio – abwarten, beobachten,
       moderieren –, den sie in der Innenpolitik betreibt, auch auf die
       Außenpolitik.
       
       Sie meidet den Krieg, weil er ein strategisches Risiko ist – und weil sie
       Unberechenbares generell meidet. Ihre Motive sind nicht edel. Aber das
       Ergebnis ist gut: Deutschland ist seit Angela Merkel friedlicher.
       
       Die Kriege haben andere geführt: Schröder, Fischer, Rot-Grün. Auch das
       verschwimmt im kollektiven Kurzzeitgedächtnis. Jene Fähigkeit zum Vergessen
       machte es möglich, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer Deutschland
       1999 erst in den Kosovokrieg führten, einem Einsatz ohne UN-Mandat, mit der
       Begründung, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Um sich dann, drei
       Jahre später, wegen ihrer Ablehnung des Irakkriegs als Friedensfürsten zu
       inszenieren. Vergessen jene Übertreibungen und Falschaussagen, mit denen
       Verteidigungsminister Rudolf Scharping, SPD, den Kosovokrieg rechtfertigte.
       
       ## Aufgeschlitzte Bäuche
       
       Als der Krieg länger dauerte als geplant und die Zustimmung in der
       Bevölkerung nachließ, präsentierte Scharping Bilder eines angeblichen
       Massakers der serbischen Armee an Zivilisten: tote Albaner im Ort Rugovo,
       leblos aufgereiht. Später bezeugte ein deutscher Beobachter der OSZE, der
       den Tatort inspiziert hatte, die Toten seien Kämpfer der albanischen UÇK,
       der „Befreiungsarmee des Kosovo“, die im Gefecht gestorben waren. Man habe
       sie nach ihrem Tod in Rugovo aufgereiht. In einem Interview erzählte
       Scharping, wie Serben schwangeren Albanerinnen den Bauch aufschlitzten und
       die Föten grillten.
       
       Gar einen Geheimplan der serbischen Regierung zur ethnischen Säuberung des
       Kosovos enthüllte Scharping auf einer Pressekonferenz: den sogenannten
       Hufeisen-Plan. Später sagte der deutsche General a. D. Heinz Loquai, dass
       der Plan nicht der Realität entsprochen hatte, er war der Fantasie des
       Verteidigungsministeriums entsprungen.
       
       So machte Rot-Grün Deutschland zu einem Land, das wieder Krieg führte –
       auch wenn man diese neuen Kriege nicht als „Kriege“ bezeichnen wollte: Man
       kaschierte sie rhetorisch.
       
       Aber es waren nicht nur die Kriege von Rot-Grün. Es waren unsere Kriege.
       Deutschland wollte sie mehrheitlich, die Umfragen waren deutlich. Und
       Umfragen bestimmen in Demokratien Regierungshandeln. Umfragen können in
       Demokratien Kriege auslösen – und beenden. Nur ein Drittel der Deutschen
       lehnte, laut Infratest dimap, im April 1999 die Angriffe auf Serbien ab. Es
       gab keine größeren Demonstrationen gegen den Einsatz der Bundeswehr. Im
       November 2001 lehnte ebenfalls nur ein Drittel der Deutschen den
       Afghanistankrieg ab. Auch gegen diesen Einsatz wurde kaum protestiert.
       
       ## Wir vergessen unsere Haltungen
       
       Im März 2003 sprachen sich jedoch 85 Prozent gegen den Angriff der USA auf
       den Irak aus. Hunderttausende Menschen protestierten in Deutschland gegen
       den heraufziehenden Krieg. Vor dem Hintergrund der stillschweigenden
       Akzeptanz von Kosovo- und Afghanistankrieg wirkten die Massenproteste gegen
       den Irakkrieg hysterisch. War denn das Eingreifen im Kosovo und in
       Afghanistan so viel besser gewesen? Aber hier ging es nicht um das bessere
       Argument – nicht um die Qualität der Begründung. Nicht Ratio entschied,
       sondern Emotion.
       
       Ein Krieg wird in einer Demokratie nach den gleichen Regeln populär gemacht
       wie die Ablehnung eines Kriegs. Es gilt das Prinzip der Eingängigkeit:
       Claim, Melodie, Refrain. Kriegsbegründungen werden komponiert wie ein
       Sommerhit, der so einfach sein muss, dass ihn jeder nachsummt.
       
       Das Sprechen vom Krieg ist etwas anderes als der Krieg selbst: Die
       Bevölkerung einer Demokratie stimmt nicht einem Krieg zu, wenn sie einem
       Krieg zustimmt – er ist zu abstrakt. Sie stimmt dem Sprechen vom Krieg zu;
       sie wiederholt Claim, Melodie, Refrain. Sie stimmt Joschka Fischer zu, dass
       es im Kosovo ein zweites Auschwitz zu verhindern gelte: „Nie wieder Krieg,
       nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus.“ Sie
       stimmt Peter Strucks Satz zu, dass am Hindukusch Deutschlands Sicherheit
       verteidigt wird. Sie einigt sich darauf, dass man keinen Krieg für Öl
       führen sollte. Und wie ein Radiohit den hohen Wellen der Mode und des
       Vergessens unterworfen ist, so werden die jüngsten Kriege – und unsere
       Haltung zu ihnen – im Kurzzeitgedächtnis gespeichert, verdrängt, vergessen.
       So vergessen wir den Kosovokrieg, den Afghanistankrieg.
       
       Aber vielleicht ist das präpotente Land von Fischer und Schröder, das
       lieber einen Krieg zu viel führte als einen zu wenig, ja nur ein kurzes
       Kapitel geblieben. Und vielleicht haben wir aus diesem Kapitel sogar etwas
       gelernt. Hat Merkels Stil, das Zugucken und Abwarten, ihr Ausweichen und
       Lavieren nur ein Gutes, dann ist es, dass Deutschland nun vorsichtiger ist
       beim Einsatz militärischer Gewalt. Hat die Kanzlerin dieses Land
       tatsächlich friedlicher gemacht? Es würde sie eine Spur erträglicher
       machen. Und dieses Land auch.
       
       14 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Dachsel
       
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