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       # taz.de -- Die Wahrheit: Schwammerl-Recycling
       
       > Schwabinger Krawall: Der Pilz ist ein Geschenk der Natur, das man nicht
       > verschmähen darf. Auch den Gallenröhrling nicht.
       
   IMG Bild: Den Eingeschlossenen des Wurmlochs bleibt nur eines: abwarten und weitertrinken.
       
       Immer wenn Herr Hammler im Herbst seinen Korb aus dem Keller holt und
       ankündigt, er wolle radeln und „mal schauen“, wird seiner Frau mulmig.
       
       Zu Recht: Bei seiner Rückkehr präsentiert er ihr stolz einen Riesenhaufen
       kaum definierbarer Pilzteile, zählt eifrig Bezeichnungen wie
       „Schwefelporling“, „Schmerling“, „Schwärzender Saftling“, „Schneckling“,
       „Reihiger Klumpfuß“, „Lorchel“, „Tramete“ und „Hallimasch“ auf und sagt auf
       ihre Bemerkung, das zerbröselte Zeug sei kaum noch zuzuordnen, beim Radeln
       schüttle es nun mal, weil es die unverantwortliche Stadtverwaltung nicht
       fertigbringe, für ein vernünftiges Netz benutzbarer Radwege zu sorgen, was
       andererseits den Vorteil habe, dass ihm kein zugereister Spaßradler seine
       Jagdgründe streitig mache.
       
       Jedenfalls, sagt er, sei der Pilz ein Geschenk der Natur, das man nicht
       verschmähen dürfe. Frau Hammler erinnert ihn daran, wie er letztes Jahr mit
       fünf Pfund Tintlingen dahergekommen ist, die er in halbzerflossenem Zustand
       verzehrt und hinterher drei Tage lang von jedem Bier ein dunkelblaues
       Gesicht und solches Ohrensausen bekommen hat. Das, sagt Herr Hammler, sei
       kein Merkmal mangelnder Qualität, sondern eher das Gegenteil, und er habe
       mit Rücksicht auf sie diesmal auf die Mitnahme der Gattung Coprinus
       verzichtet und sich auf den Hyalinweißen Träuschling kapriziert, der als
       Mischpilz höchst brauchbar sei.
       
       Als Frau Hammler vom Einkaufen zurückkehrt und ihn auf dem Sofa schlafend
       vorfindet, nutzt sie die Gelegenheit, um den Pilzbröselberg über das
       Balkongeländer zu entsorgen und durch zerkleinerte Supermarktegerlinge zu
       ersetzen, die ihr Mann zu Scheidlingen erklärt und ihr Aroma lobt.
       
       Noch während der Berg in der Pfanne brutzelt, läutet es an der Tür. Draußen
       steht die alte Frau Reibeis mit einem Korb und sagt, der Regen der letzten
       Tage habe im Hinterhof ein außergewöhnliches Sortiment von Pilzen sprießen
       lassen, wobei sie besonders auf den äußerst seltenen Geschmückten Gürtelfuß
       hinweist. Da sie selbst sich aus Schwammerln nichts mache, überlasse sie
       ihre Ernte gern Herrn Hammler, dem seine Frau den Korb bitte übergeben
       möge. Frau Hammlers herbeigeeilter Gatte reißt Frau Reibeis Frau begeistert
       den Korb vom Arm, schüttet die Pilzfetzen in die Pfanne und fragt beide, ob
       sie wirklich keinen Appetit hätten, da sich die Ausbeute ja nunmehr auf gut
       acht Portionen erhöht habe, die er indes auch allein verzehren werde. Frau
       Hammler und Frau Reibeis lehnen ab.
       
       Dass unter den Pilzen offenbar auch ein Gallenröhrling war, bemerkt Herr
       Hammler beim ersten Bissen. Wutentbrannt eilt er mit Teller und Pfanne auf
       den Balkon, entleert das seiner Meinung nach durch „die alte Vettel“
       absichtlich entwertete Pilzgericht in den Hinterhof und schenkt sich ein
       Bier ein. Als eine halbe Stunde später erneut Frau Reibeis mit einem Korb
       voller nunmehr vollends zermatschter und zerkochter Waldfrüchte vor der Tür
       steht, stellt Frau Hammler die Klingel ab und hofft insgeheim, dass Frau
       Reibeis nicht doch auf die Idee kommt, ihre Ernte selbst zu verzehren.
       
       12 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Sailer
       
       ## TAGS
       
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