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       # taz.de -- Nach Umsturz in Ägypten: Anlauf zu einer neuen Verfassung
       
       > In Kairo ist erstmals das neue Verfassungskomitee zusammengetreten. Es
       > soll die unter Mursi verankerte Rolle des Islam wieder rückgängig machen.
       
   IMG Bild: Im neuen Verfassungskomitee unter Mussa haben die Säkularen das Sagen.
       
       KAIRO taz | Eine neue Verfassung für Ägypten soll her. Dabei war die letzte
       gerade erst sechs Monate alt, als das Militär sie Anfang Juli außer Kraft
       setzte. Nun gibt es einen neuen Anlauf unter entgegengesetztem Vorzeichen:
       Ende 2012 hatten die Islamisten die Oberhand in der Verfassunggebenden
       Versammlung und peitschten ein Dokument in ihrem Sinne durch. Nun sind es
       die Säkularen, die das Sagen haben.
       
       Am Sonntag trat das von Übergangspräsident Adli Mansur ernannte Komitee der
       50 erstmals zusammen. Es hat zwei Monate Zeit, über das Dokument einer
       Expertengruppe zu beraten und einen endgültigen Verfassungsentwurf
       vorzulegen, den das Volk maximal 30 Tage später annehmen soll. Zu ihrem
       Vorsitzenden wählten die Mitglieder am Sonntag den ehemaligen Außenminister
       und Generalsekretär der Arabischen Liga, Amru Mussa.
       
       Doch schon im Vorfeld gab es Streit. Denn nur 2 der 50 Mitglieder kommen
       aus dem islamistischen Lager: ein ehemaliger Muslimbruder und ein Vertreter
       der salafistischen Nur-Partei. Ob Letzterer teilnimmt oder die Partei den
       Prozess nicht doch boykottiert, blieb bis Redaktionsschluss unklar. Der
       Salafisten-Führer Jassir Burhami hatte zuvor kritisiert: „Das Komitee der
       50 wird von Feinden der Scharia und des islamischen Projekts dominiert.“
       
       Die Muslimbrüder, die den Juli-Putsch gegen Mohammed Mursi und die im
       Anschluss verkündete Roadmap des Militärs ohnehin ablehnen, betrachten das
       annullierte Regelwerk von 2012 weiterhin als gültige Verfassung. Viele
       säkulare Gruppierungen dagegen sprachen von einer repräsentativen
       Zusammensetzung des Gremiums. Ihm gehören Künstler, Jugendaktivisten,
       Gewerkschaftler sowie Vertreter der Parteien, der sunnitischen
       Azhar-Universität und der koptischen Kirche an.
       
       ## Drohendes Verbot religiöser Parteien
       
       Inhaltlich zeigt schon die jetzige Version, wohin die Reise geht. Die von
       den Muslimbrüdern und anderen Islamisten neu eingefügten Textpassagen, die
       dem islamischen Recht mehr Raum einräumten, wurden gestrichen. Die
       Rechtsgelehrten der Azhar-Universität haben keine Mitsprache mehr bei der
       Gesetzgebung. Auch ein umstrittener Artikel, der die „Prinzipien der
       Scharia“ erstmals klar in der traditionellen sunnitischen Rechtsauffassung
       verankerte, wurde wieder gestrichen.
       
       Was bleibt, sind die Bestimmungen, die bereits unter dem Langzeitherrscher
       Husni Mubarak in der Verfassung zu finden waren: die vage Formulierung,
       dass die „Prinzipien der Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung“ sind und
       der Islam Staatsreligion ist.
       
       Konkret dürften die Islamisten vor allem von dem drohenden Verbot
       religiöser Parteien betroffen sein. Die Verfassung von 2012 hatte dieses
       erstmals aufgehoben.
       
       Im Falle eines erneuten Verbots müsste sich nicht nur die von den
       Muslimbrüdern gegründete „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ wieder
       auflösen, die bei den Parlamentswahlen knapp die Hälfte der Sitze gewann.
       Auch andere Parteien aus dem islamistischen Spektrum, darunter die
       Nur-Partei, wären verfassungswidrig.
       
       ## Privilegien des Militärs wieder verankert
       
       Doch das Verfassungskomitee beschäftigt nicht nur die Frage nach der
       Stellung des Islam. Die Privilegien des Militärs, über die sich die
       vorrevolutionäre Verfassung von 1971 noch ausgeschwiegen hatte, sollen wie
       schon 2012 konstitutionell verankert werden.
       
       So soll der Verteidigungsminister künftig nicht nur aus den Reihen des
       Militärs kommen, sondern auch die Zustimmung des Obersten Militärrats
       benötigen. Der Haushalt der Streitkräfte soll nur als abstrakte Größe
       veröffentlicht und damit einer effektiven Kontrolle entzogen werden. Auch
       die Möglichkeit, Zivilisten vor Militärgerichte stellen zu können, bleibt
       dem derzeitigen Entwurf zufolge bestehen.
       
       9 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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