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       # taz.de -- Neue Snowden-Enthüllungen: Verschlüsselung geknackt
       
       > Geheimdienste können wohl einen Teil der verschlüsselten
       > Netz-Verbindungen mitlesen. Auch SSL-Verschlüsselungen soll nicht mehr
       > sicher sein.
       
   IMG Bild: Die letzte Bastion der Sicherheit: Love locks. Allerdings mit subliminaler Botschaft.
       
       BERLIN taz | „Die NSA knackt den Großteil der Verschlüsselung im Internet“
       - so fasst Bruce Schneier die neuesten Enthüllungen von Edward Snowden
       zusammen. Bis gestern hätten viele eine derartige Aussage für blanke
       Verschwörungstheorie gehalten, aber Schneier ist einer der angesehensten
       Forscher im Bereich der Verschlüsselung weltweit. Der Kryptograf hat Glenn
       Greenwald bei der Aufarbeitung der jüngsten NSA-Dokumente beraten.
       
       Laut den Enthüllungen, die parallel im Guardian und in der New York Times
       publiziert wurden, gehen die NSA und der britische Geheimdienst GCHQ mit
       einer Vielzahl von Methoden vor, um die Sicherheit des Netzes zu
       untergraben. Viele Firmen haben demnach auf Druck der Geheimdienste in
       Sicherheitsprodukte Hintertüren eingebaut, die den Geheimdiensten Zugriff
       auf verschlüsselte Verbindungen erlauben.
       
       Auch hat die NSA wohl versucht, Einfluss auf die Standardisierung von
       Verschlüsselungsverfahren zu nehmen, um so einen leichten Zugriff auf die
       Kommunikationsnetze zu bekommen.
       
       Die Snowden-Dokumente berichten weiterhin davon, dass der britische
       Geheimdienst GCHQ im Jahr 2010 einen großen Durchbruch bei der
       Entschlüsselung des Internet-Datenverkehrs erzielen konnte. Auch ein weit
       verbreitetes verschlüsseltes System zur Sprachkommunikation – vermutlich
       ist damit Skype gemeint – soll den Geheimdiensten komplett offen stehen.
       Die Kommunikation über die weit verbreitete SSL-Verschlüsselung, die etwa
       für die Verwaltung von Bankkonten oder den sicheren Login auf Webseiten zum
       Einsatz kommt, ist ebenfalls betroffen.
       
       ## Clipper Chips
       
       Es lohnt hierbei ein Blick auf die Geschichte der
       Verschlüsselungstechnologien. In den 90er Jahren gab es heftige politische
       Auseinandersetzungen, die als „Cryptowars“ in die IT-Geschichte eingingen.
       Damals wollten insbesondere US-Behörden verhindern, dass Firmen und
       Privatleute eigenmächtig starke Verschlüsselungstechnologien einsetzen. Sie
       propagierten die Nutzung des sogenannten Clipper Chips, dessen Nutzung auch
       gesetzlich vorgeschrieben werden sollte. Die Grundidee dabei: Die Behörden
       hätten jederzeit Zugriff auf alle verwendeten Schlüssel und könnten somit
       die Kommunikation bei Bedarf weiterhin überwachen.
       
       Dagegen stand die Idee von Programmen wie PGP. Dessen Autor Phil Zimmermann
       vertrieb das Verschlüsselungsprogramm kostenlos, die darin verwendeten
       Verfahren waren öffentlich bekannt und konnten von jedermann überprüft
       werden.
       
       Letztendlich setzte sich die Idee der offenen Verschlüsselungsverfahren
       durch, der Clipper-Chip verschwand in der Versenkung und Gesetze, die den
       Export starker Verschlüsselung verboten, wurden wieder abgeschafft. Später
       beteiligte sich insbesondere das US-Standardisierungsinstitut NIST
       (National Institute for Standards and Technology) an der – offenen –
       Entwicklung von neuen Verschlüsselungsverfahren. Das NIST erhielt für seine
       Arbeit viel Lob aus der Fachwelt.
       
       ## Transparente und offene Verfahren
       
       Genau diese Standardisierungsverfahren geraten aber jetzt in den Fokus.
       Schon einmal vermuteten Kryptografen, dass das NIST in einen Standard
       absichtlich Fehler eingebaut hatte. Ein wichtiges Element von
       mathematischen Verschlüsselungsverfahren sind Zufallsgeneratoren. In einem
       Zufallszahlengenerator mit dem Namen Dual_EC_DRBG fand der Wissenschaftler
       und Microsoft-Mitarbeiter Niels Ferguson 2007 einen Fehler. Ferguson
       vermutete, dass es sich dabei um kein Versehen handelte, beweisen konnte er
       es nicht.
       
       Dual_EC_DRBG allerdings wurde bislang nirgends in großem Umfang eingesetzt,
       selbst wenn es sich um eine NSA-Hintertür handelt, dürften die Auswirkungen
       begrenzt sein. Ein schales Licht könnte aber auch auf einen anderen
       Standard fallen: Der Advanced Encryption Standard (AES) aus dem Jahr 2001,
       der heute an vielen Stellen eingesetzt wird. Dieser wurde in einem
       Wettbewerb des NIST ausgewählt.
       
       Die Forscherwelt lobte damals das transparente und offene Verfahren, aber
       manch einer war dennoch mit der Entscheidung unglücklich. Auch hier hatte
       Niels Ferguson den Finger in die Wunde gelegt und wies noch vor der
       Bekanntgabe des Gewinners auf mögliche Schwächen des neuen Verfahrens hin.
       
       ## Veraltete Verschlüsselungsverfahren
       
       Dass die Entwickler der AES-Verschlüsselung – ein belgisches Forscherteam -
       für die NSA arbeiten glaubt zwar niemand. Aber dass absichtlich ein
       Verfahren gewählt wurde, welches möglicherweise, ohne dass dessen
       Entwickler es beabsichtigten, schwächer ist als die Konkurrenten, erscheint
       zumindest im Bereich des Möglichen.
       
       Die Enthüllungen werfen auch ein Schlaglicht auf eine Debatte, die bislang
       vor allem in Fachkreisen geführt wird: An vielen Stellen nutzen
       Verschlüsselungssysteme wie SSL, aber auch die Mailverschlüsselung GnuPG
       oder das Anonymisierungsnetzwerk Tor heute Verfahren, die längst nicht mehr
       dem Stand der Technik entsprechen. Wer sich etwa mit den Services von
       Google verbindet, der nutzt eine Verschlüsselung mit dem Namen RC4. Sie
       stammt aus dem Jahr 1987 und gilt schon lange als problematisch.
       
       Ein Aufruf zum Abschied von Verschlüsselungstechnologien sind die
       Enthüllungen nicht. Edward Snowden hat bereits im Juni in einem Interview
       gesagt, dass sorgfältig entwickelte Verschlüsselungstechnologien für die
       Geheimdienste weiterhin ein Problem darstellen.
       
       Die New York Times und der Guardian berichten, dass die Geheimdienste Druck
       auf die Zeitungen ausgeübt haben und versuchen wollten, die
       Veröffentlichung zu verhindern. Man habe sich trotzdem zur Veröffentlichung
       entschieden, aber einige entscheidende Details in der Berichterstattung
       weggelassen.
       
       Bruce Schneier [1][empfiehlt Nutzern,] bei Verschlüsselungssoftware von
       großen Anbietern skeptisch zu sein und am besten auf Open Source-Software
       zurückzugreifen. Trotz der Vorwürfe gegen das NIST empfiehlt er weiterhin
       die Nutzung von offenen Standards und Verfahren wie SSL. Es liege nun an
       den Ingenieuren des Netzes, die Sicherheit wieder herzustellen, die durch
       die Geheimdienste kompromittiert wurde, [2][so Schneier.]
       
       6 Sep 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.theguardian.com/world/2013/sep/05/nsa-how-to-remain-secure-surveillance
   DIR [2] http://www.theguardian.com/commentisfree/2013/sep/05/government-betrayed-internet-nsa-spying
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Böck
       
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