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       # taz.de -- Armenien zwischen Russland und der EU: Kehrtwende in Jerewan
       
       > Der armenische Präsident Sersch Sargsjan kündigt einen Beitritt zu der
       > Moskau-dominierten Zollunion an. Damit gefährdet er ein Abkommen mit der
       > EU.
       
   IMG Bild: Wirft sich Russland an den Hals: Präsident Sersch Sargsjan bei seinem Treffen mit Wladimir Putin.
       
       BERLIN/JEREWAN taz | Die Südkaukasusrepublik Armenien ist auf dem besten
       Weg, ihre Chancen einer Annäherung an die Europäische Union (EU) zu
       verspielen. Am Dienstag dieser Woche kündigte Staatschef Sersch Sargsjan
       an, sein Land habe die Absicht, der von Moskau geführten Zollunion
       beizutreten.
       
       Zur Begründung und in Anspielung auf die ebenfalls Russland-dominierte
       „Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit“ (CSTO) sagte der
       59-Jährige, wenn ein Land Teil eines militärischen Sicherheitssystems sei,
       sei es unmöglich, sich von einem Wirtschaftraum, der die gleichen Staaten
       umfasse, zu isolieren.
       
       Armenien gehört der CSTO seit ihrer Gründung im Oktober 2002 an. Hier
       befindet sich auch die einzige russische Militärbasis im Südkaukasus mit
       derzeit 5000 Soldaten – ein entsprechender Vertrag läuft noch bis zum Jahre
       2044.
       
       Demgegenüber steht eine Mitgliedschaft Jerewans in der Zollunion noch aus.
       Dieses Bündnis, dem bereits die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken
       Kasachstan und Weißrussland angehören, will Russlands Präsident Wladimir
       Putin zu einer Eurasischen Union weiter entwickeln und als Gegengewicht zur
       EU etablieren.
       
       Die jüngste Ankündigung Sargsjans erfolgte unmittelbar nach einem Treffen
       mit Putin in Moskau. Bereits in den vergangenen Wochen war Armenien, das
       wirtschaftlich fast vollständig vom einstigen großen Bruder abhängig ist,
       von Putin unter Druck gesetzt worden. So hatte der Gasversorger Gazprom,
       alleiniger Lieferant von Gas im Drei-Millionen-Einwohnerstaat, im Juli
       seine Preise von 245 auf 300 Euro pro tausend Kubikmeter erhöht.
       Verteuerungen von Dienstleistungen und Lebensmitteln waren die Folge. Eine
       50-prozentige Erhöhung von Fahrpreisen für öffentliche Verkehrsmittel in
       der Hauptstadt Jerewan musste nach Protesten der Bevölkerung wieder zurück
       genommen werden.
       
       ## Harte Gangart des Kreml
       
       Die harte Gangart des Kreml kommt nicht von ungefähr. Bereits seit Ende
       Juli liegt ein Assoziierungsabkommen der EU mit Armenien vor. Das Abkommen,
       das unter anderem die Schaffung einer Freihandelszone vorsieht, sollte
       eigentlich im kommenden November bei einem Gipfel der EU und ihrer
       östlichen Partner in der litauischen Hauptstadt Vilnius unterzeichnet
       werden.
       
       Offensichtlich glaubt die Führung in Jerewan auch jetzt immer noch an diese
       Option. Die Entscheidung, der Zollunion beizutreten, bedeute keinesfalls
       den Dialog mit den europäischen Strukturen abzubrechen, sagte Präsident
       Sersch Sargsjan. Die armenische Regierung werde sich weiterhin um die von
       der EU geforderten institutionellen Strukturreformen bemühen. Sargsjans
       Stabschef, Vigen Sargsjan, sagte, Armenien werde Maßnahmen ergreifen, die
       es ermöglichten, die Schaffung einer Freihandelszone mit der EU mit einer
       Mitgliedschaft in der Zollunion zu vereinen.
       
       Doch so einfach dürfte das nicht werden. Linas Linkevicius, der
       Außenminister Litauens, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne hat,
       sagte, dass Armenien nicht beiden Organisationen gleichzeitig beitreten
       könne. Schwedens Aussenminister Carl Bildt sprach von einer Kehrtwende
       Jerewans. „Präsident Sarkisian zieht eindeutig den Kreml Brüssel vor“,
       sagte er.
       
       Ob es jedoch wirklich zu einem Beitritt zur Zollunion kommt, ist noch nicht
       ausgemacht. Denn das Parlament muss dieser Entscheidung zunächst zustimmen.
       Einige Oppositionspolitiker bezeichnen den Schritt als verfassungswidrig
       und kündigen einen Gang vor die Gerichte an. Andere Gegner der Union
       versuchen sich auf der Straße Gehör zu verschaffen. Am Mittwoch wurden bei
       Protesten gegen Sarkisians Ankündigung in Jerewan neun Personen
       festgenommen.
       
       Doch auch unter den Kritikern des Präsidenten gibt es Stimmen, die das
       Assoziierungsabkommen mit der EU ablehnen. Was den Stand der Reformen
       angehe, so habe es Armenien überhaupt nicht verdient, dieses Abkommen zu
       unterzeichnen, sagt der Menschenrechtler und Vorsitzende der Helsinki
       Association, Mikael Danielyan. „Außerdem profitiert davon am allermeisten
       die Regierung, in deren Taschen ein Großteil der Mittel landet. Vielleicht
       sollte das die EU endlich einmal zur Kennnis nehmen.“
       
       5 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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