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       # taz.de -- Proteste gegen Überwachung: Ärger statt Angst
       
       > Snowden, Prism, NSA: Dutzende Initiativen rufen für Samstag zu Protesten
       > auf – ein Aufbruch der jungen Bürgerrechtsbewegung? Wohl kaum.
       
   IMG Bild: Darum geht es auch: Wer findet die Parteifahne? „Freiheit statt Angst“ 2011
       
       Alles ist geordnet und bereitet und das meiste definiert. Keine Partei darf
       mehr als ein Fahrzeug im Zug mitführen. Kein Fahrzeug darf über 7,5 Tonnen
       wiegen. Und in der 60-Meter-Zone vor der Bühne schließlich haben
       Parteifahnen nichts zu suchen.
       
       Wer so präzise bestimmen kann, was auf einer Demonstration passieren soll
       und was nicht, muss keine Angst haben, dass sie aus dem Ruder läuft. Umso
       weniger, wenn es eine Demonstration mit Erfolgsgeschichte ist.
       [1][„Freiheit statt Angst“].
       
       Es dauert nicht mehr lange, bis Samstag also, dann ist es wieder so weit.
       Dutzende Verbände und Initiativen, rund 70 an der Zahl, rufen seit Wochen
       gemeinsam zum Bürgerrechtsprotest auf. Es soll gegen die NSA gehen und
       gegen Prism und Tempora. Es geht um die Haltung der Bundesregierung zu dem
       Skandal, aber auch gegen Vorratsdatenspeicherung, Nacktscanner an
       Flughäfen, gegen Überwachung eben und um effektiven
       Arbeitnehmerdatenschutz.
       
       Und weil die Schlagzeilen beherrscht sind von immer neuen
       Datenschutzskandalen, fragen sich einige: Kann dieser Samstag dann nicht
       jener Aufbruch werden, den die junge Bürgerrechtsbewegung doch so gut
       gebrauchen könnte? Nach all den stillen Wochen und gefloppten Sponti-Demos,
       nach all der mühevollen Arbeit, um aus den Enthüllungen von Edward Snowden
       wenigstens etwas politisches Kapital zu schlagen?
       
       ## Es knirscht und knarrt
       
       Die Antwort will sich kein Gesicht geben und keinen Namen. Aber sie lautet,
       kurz gesagt: wohl kaum. Denn unter wichtigen Aktiven der Netz- und
       Bürgerrechtsbewegung knirscht und knarrt es.
       
       Manchmal sind auch kleine Zeichen aufschlussreich. Ein solches Zeichen,
       eine Lücke, dokumentierte die Unterstützerliste der Demonstration - bis
       Mittwoch noch. Darauf stehen Dutzende Organisationen. Attac, Campact, die
       jungen Liberalen und die AIDS-Hilfe Deutschland. Sogar der Bundesverband
       der Verbraucherzentralen. Keine Frage, das wird eine große Sache. Ein Name
       allerdings fehlte: der Chaos Computer Club. Das ist zwar nur ein Name, aber
       einer der wichtigsten in der Szene. Und wer sich dann also umhört, trifft
       plötzlich auf einflussreiche Aktivisten, bei denen sich immer mehr Frust
       anstaut.
       
       Sie wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie wollen niemandem die
       Erfolge versauen. Eigentlich wollen sie da jetzt auch kein Fass aufmachen.
       Doch es bleibt dabei: Sie halten diese Demo-Geschichte am Samstag für einen
       Karnevalsumzug, eine Trockenübung - Terminfolklore, wie sie sonst ein paar
       Übriggebliebene am 1. Mai zelebrieren.
       
       „Da verkünden ein paar Initiativen freimütig, dass die Netzbewegung auf die
       Straße geht, ohne vorher ordentlich mit der Netzbewegung zu reden“, sagt
       einer. Es gehe dabei nicht immer um das, was politisch geboten sei, sondern
       auch um das, was einige gerade gut gebrauchen könnten. Die Piratenpartei
       zum Beispiel braucht Wählerstimmen. Und der Verein Digitalcourage zum
       Beispiel Spendengelder.
       
       ## Was macht man mit den Parteien?
       
       Der Grünenpolitiker Malte Spitz ist einer, der diese Konflikte kennt. Bei
       der Erfolgsdemo 2009 waren die Piraten mit einem riesigen Truck
       aufgefahren. In den letzten Wochen hatten viele Aktivisten Bedenken, dass
       die Demonstration so kurz vor der Wahl zum Volksfest für Parteien wird,
       dass Aktivisten nur Statisten sind. „Deswegen“, sagt Spitz, „gibt es in
       diesem Jahr Spielregeln, die dann auch eingehalten werden.“ Was macht man
       mit Parteien auf Demos? Das ist so der Standardkonflikt. Gelöst. Ein LKW,
       7,5 Tonnen, 60 Meter.
       
       In der jungen Bürgerrechtsbewegung ist das nicht alles. Da ist von
       Alleinbeschlüssen und Eigeninteressen die Rede, vom Aktivenkongress in
       Hattingen. Dort hatten ein paar Aktivisten im Mai miteinander beschlossen,
       was diese Woche am Samstag passieren soll. Und andere fühlten sich
       übergangen. Das hört sich nach Vereinsmeierei an und nach verletzten
       Gefühlen. Aber eines stimmt auch: Es hapert praktisch daran, zwischen
       wichtigen Akteuren der Netz- und der Bürgerrechtsbewegung eine gemeinsame
       Ebene zu finden.
       
       Digitalcourage ist ein einflussreicher Verein, der sich für
       Informationsfreiheit und Datenschutz einsetzt. Früher hieß er Foebud -
       „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten
       Datenverkehrs e. V.“. Weil das ein elendiger Name war, heißt der Verein
       heute anders. In seinen Büroräumen laufen für die Demo am Wochenende die
       Fäden zusammen.
       
       Seit Wochen reißt dort in der Marktstraße 18, gleich in der Nähe des Walls,
       der die Bielefelder Altstadt umgibt, die Nachfrage nicht ab. Es gibt dort
       im Lagerbereich viele Accessoires, die derzeit gefragt sind. Der
       „PrivacyDongle“ zum Beispiel, ein USB-Stick zum anonymen Surfen im Netz.
       Die erste Auflage, 500 Stück, war rasch vergriffen. Was derzeit aber am
       meisten verpackt wird: Protestplakate in DIN A4, Protestplakate in DIN A3,
       Protestplakate in DIN A1. Außerdem: Bustickets nach Berlin.
       
       ## Es werden 10.000, sicher
       
       16 Busse sind bislang gebucht. In Bielefeld fährt der Bus am Samstag um
       5.30 Uhr los, in Heidelberg schon um 4 Uhr in der Früh.
       
       Und für den Fall, dass jemand fragt, wie viele Demonstranten am Samstag
       erwartet werden, gibt es im Bündnis eine offiziell beschlossene
       Standardantwort. Egal wen man fragt, die Antwort lautet „10.000 plus“. Doch
       hinter vorgehaltener Hand kommen schon einige ins Schwärmen. Mehrere
       zehntausend könnten es werden, ein richtig großer Wurf. Andere sind da
       deutlich skeptischer.
       
       Am Dienstagabend ging aus Bielefeld noch rasch eine Mail raus, von
       Padeluun, an den Chaos Computer Club. Padeluun ist der Große Vorsitzende in
       Bielefeld. Er ist ein wichtiger, verdienter Datenschutzaktivist. Ob der
       Chaos Computer Club nicht noch rasch den Aufruf unterzeichnen könne? Wie
       sehe das denn sonst aus?
       
       Natürlich gehen auch viele Aktivisten aus dem Chaos Computer Club am
       Samstag auf die Straße. Aber viele sind auch genervt. Es gibt in E-Mails
       einen Code, der die Stimmung dort beschreibt: *LOL*.
       
       Und dann gab der Chaos Computer Club nach – [2][am Mittwoch veröffentlichte
       er noch rasch einen eigenen Aufruf]. Wie sähe das denn sonst aus? Seitdem
       ist er [3][auch beim Demo-Bündnis offiziell gelistet].
       
       Der Blogger und Netzaktivist Markus Beckedahl ist auch ein wichtiger Mann
       in dieser jungen Bürgerrechtsbewegung. Er denkt viel über Strategien nach
       und darüber, wie man Massen mobilisiert. Er hat in den letzten Wochen keine
       Massen auf den Straßen gesehen. Er sagt: „Es gibt heute keine
       Bürgerrechtsbewegung mehr, in der alle einer Meinung sind.“ Das ist, sagen
       wir, diplomatisch ausgedrückt.
       
       Das muss sicher nicht heißen, dass am Wochenende nicht Tausende, vielleicht
       sogar Zehntausende kommen. Aber eines heißt es auch nicht: dass sie
       bleiben.
       
       5 Sep 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://blog.freiheitstattangst.de/
   DIR [2] http://ccc.de/de/updates/2013/fsa2013
   DIR [3] http://blog.freiheitstattangst.de/bundnispartner-2013/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Kaul
       
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