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       # taz.de -- Demo gegen Homophobie in Russland: Auf die Straße für die Liebe
       
       > In Berlin haben rund 5000 Menschen gegen die russischen
       > Anti-Homosexuellen-Gesetze demonstriert. Der einzige Politiker am
       > Mikrofon wurde ausgebuht.
       
   IMG Bild: Der Protest richtete sich auch gegen die Olympia-Sponsoren.
       
       BERLIN taz | Plötzlich ist alles still. Der Demonstrationszug schreitet
       vorwärts, doch die Trillerpfeifen und Rufe sind verstummt. Tausende
       Menschen laufen am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten
       Homosexuellen vorbei. Sie schweigen, weil ihre Botschaft klar ist. Der
       Veranstalter der Demo, Alfonso Pantisano, fasst sie später so in Worte:
       „Wenn wir jetzt nicht handeln, dann wächst Wladimir Putin ein kleiner
       Schnurrbart über der Lippe.“
       
       Vor einem Monat saß der 39-jährige Veranstaltungsmoderator mit ein paar
       Freunden zusammen, sie diskutierten über das, was in Russland passiert. Und
       sie beschlossen, ihre Sorgen auf die Straße zu tragen. Zur Demo kamen mehr
       Leute als erwartet. Unter dem Motto „Enough is enough – open your mouth“
       sind am Samstagmittag nach Polizeiangaben etwa 5.000 Menschen vom
       Kurfürstendamm an die russische Botschaft gezogen, um gegen die neuen
       Anti-Homosexuellen-Gesetze in Russland zu demonstrieren.
       
       Denn seit Juni diesen Jahres ist es dort verboten, sich in der
       Öffentlichkeit positiv über gleichgeschlechtliche Liebe zu äußern. Mit dem
       Gesetz gegen „Homosexuelle Propaganda“ kommt es in Russland immer häufiger
       zu Übergriffen gegen Schwule und Lesben, sogar von Toten ist die Rede.
       
       „Wir sind hier, um ein Zeichen zu setzen“, ruft eine Frau vom
       Lautsprecherwagen. Ein Signal, das sich auch an die Sponsoren der
       Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi richten soll. Große Konzerne wie
       Coca-Cola, Visa oder Panasonic unterstützen das Sport-Event mit
       Millionenbeträgen. „Zieht euer Geld zurück“, rufen die Demonstranten. Der
       Appell richtet sich auch an die deutsche Bundesregierung: „Wir fordern die
       Regierung dazu auf, klare Stellung zu den neuen Gesetzen in Russland zu
       beziehen“, sagt ein Redner.
       
       Trotz der 80er-Jahre-Hits, die über basslastige Boxen in die Menge dröhnen,
       herrscht keine wilde Partystimmung auf der Demo. Es ist ihnen ernst. Viele
       Protestierende sind von weit her angereist, um die Zustände in Russland
       anzuprangern.
       
       So wie Thomas Kemedinger aus Neu-Ulm: „Wir sind so viele hier, das kann man
       gar nicht mehr übersehen“, sagt er mit heiserer Stimme. Immer mehr Menschen
       stoßen dem Demonstrationszug hinzu. Da sind Männer, die Hand in Hand gehen,
       aber auch viele heterosexuelle Paare, die sich in die Sprechchöre
       einreihen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit raubt“,
       rufen die Leute.
       
       ## „Wo ist Guido?"
       
       „Dass ich schwul bin, ist nur Zufall, wir machen die Demo, weil wir uns für
       die Menschenrechte stark machen wollen“, sagt Alfonso Pantisano. Die
       Veranstalter hatten viele Politiker zur Demo eingeladen. Markus Löning
       (FDP) ist als Menschenrechtsbeauftragter der einzige Vertreter der
       Bundesregierung, der gekommen ist. „Lasst uns endlich heiraten“, rufen ihm
       die Demonstranten zu. Dazu gibt es Buhrufe, immer lauter. „Wo ist Guido?“,
       wollen die Leute wissen. Löning sagt, er wolle sich nicht rechtfertigen –
       und verlässt die Bühne schnell wieder.
       
       Aktivisten aus Russland hingegen werden von den Protestierenden mit viel
       Applaus begrüßt. „Putin hat das einzige gemacht, was er gut kann, und das
       sind Repressionen“, sagt Olga Lenkowa von der Sankt Petersburger Initiative
       „Coming out“. Mit zittriger Stimme spricht sie weiter: „Keiner kann sich
       sicher fühlen, denn die russische Polizei ist genauso homophob wie die
       Politik.“ Gänsehautstimmung vor der russischen Vertretung. Die Polizei hat
       das Gebäude mit Gittern abgesperrt, am Zaun stellen Demonstranten
       Friedhofslichter auf.
       
       Im Gebäude gibt es keinerlei Reaktion, nicht einmal neugierige Blicke aus
       den Fenstern. Das kann natürlich daran liegen, dass samstags keiner
       arbeitet. Aber es wirkt auch so, als pralle jegliche Kritik einfach an der
       grauen Fassade ab. Die vielen Regenbogenfahnen auf dem Boulevard Unter den
       Linden bilden den wohl größtmöglichen Kontrast zu dem monumentalen Bau aus
       dem Kalten Krieg.
       
       Die Demonstranten wollen die Hoffnung nicht aufgeben. „Keiner kann uns die
       Liebe nehmen“, steht auf einem Pappschild.
       
       1 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cem Güler
       
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