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       # taz.de -- Gewalt gegen Kinder: Nur an Opfern mangelt es nicht
       
       > Die Zweijahresbilanz des Missbrauchsbeauftragten belegt hohe Fallzahlen
       > und schlecht ausgestattete Beratungsstellen. Die Stelle läuft aus.
       
   IMG Bild: Im vergangenen Jahr wurden rund 12.500 Fälle sexualisierter Gewalt an Mädchen und Jungen bekannt.
       
       BERLIN taz | Möglicherweise gibt es in der neuen Legislaturperiode keinen
       Unabhängigen Beauftragten mehr, der sich mit Fragen sexueller Gewalt gegen
       Kinder befasst. Zumindest diese Befürchtung äußerte der aktuelle Inhaber
       der Stelle, Johannes-Wilhelm Rörig, am Donnerstag in Berlin, als er eine
       Bilanz seiner zweijährigen Arbeit zog.
       
       „Ich kann diese Frage nicht eindeutig beantworten“, sagte der Nachfolger
       von Christine Bergmann, die das Amt im Frühjahr 2010 nach Bekanntwerden
       massiver Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und anderen
       Institutionen erstmals besetzte.
       
       Union und SPD machen in ihren „Regierungsprogrammen“ zur Bundestagswahl
       2013 keine Aussagen dazu, ob sie eine solche Stelle favorisieren. Grüne und
       FDP wollen das Amt laut ihrer Wahlprogramme erhalten. Die Stelle, die beim
       Familienministerium angesiedelt ist und vom Bund finanziert wird, läuft zum
       Ende der Legislaturperiode, spätestens aber zum 31. Dezember dieses Jahres
       aus.
       
       Egal welche neue Regierung am Ende stehen wird und ob er weiter als
       „Missbrauchsbeauftragter“ arbeiten darf, legte Rörig jetzt schon mal eine
       Art Abschlussbericht vor. Den will er allerdings ausdrücklich
       „Bilanzbericht“ genannt wissen. Denn „trotz Bewusstseinswandel in der
       Gesellschaft gibt es keinen Grund zur Zufriedenheit“, sagte er.
       
       Hinsichtlich der „weiterhin ungebrochen hohen Fallzahlen“ könne es „keine
       Entwarnung“ geben. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im
       vergangenen Jahr rund 12.500 Fälle sexualisierter Gewalt an Mädchen und
       Jungen bekannt. Die Dunkelziffer dürfte noch um einiges höher liegen.
       
       ## Forderungen an Regierung
       
       Rörig hat viele Forderungen an die künftige Regierung. So sollte es – neben
       dem Unabhängigen Beauftragten – eine Expertenkommission, die
       Kindesmissbrauch weiter aufarbeitet und dokumentiert, sowie einen
       gesetzlich verankerten Betroffenenrat geben.
       
       Die Beratungsstellen vor Ort müssten „besser personell und finanziell
       ausgestattet“ werden. Vor allem Beratungsstellen für Jungen und Männer
       fehlten. Die Verjährungsfristen für eine Strafverfolgung müssten
       ausgeweitet werden: So dürfen sexuelle Übergriffe nicht vor dem 30.
       Lebensjahr eines Opfers zu verjähren beginnen. Demnach würde eine
       Verjährung erst ab dem 41. Lebensjahr der Betroffen einsetzen. In schweren
       Fällen sogar erst ab dem 51. Lebensjahr.
       
       Außerdem sollten die Bundesländer endlich ihren Anteil in den seit Mai
       laufenden Hilfefonds einzahlen. Bund und Länder sollen jeweils die Hälfte
       der für den Fonds vorgesehenen 100 Millionen Euro übernehmen. Bis auf
       Mecklenburg-Vorpommern, das zugesichert hat zu zahlen, verweigern die
       anderen Länder die Beteiligung an dem Fonds. Grund: Die rechtlichen
       Rahmenbedingungen erlaubten es nicht, dass die Hilfen den Opfern rasch und
       unbürokratisch zugute kämen.
       
       Um die massenhaften Vorfälle in der katholischen Kirche aufzuarbeiten, muss
       die katholische Bischofskonferenz jetzt ein Forschungsprojekt neu
       ausschreiben. Der erste Versuch war im Januar dieses Jahres gescheitert,
       weil es zwischen dem beauftragten Kriminologischen Institut Niedersachsen
       (KFN) und der Bischofskonferenz heftige Auseinandersetzungen gab. Einige
       Bischöfe wollten nicht, dass ihre Akten eingesehen werden, Begründung:
       „Datenschutz“. „Zensur“, sagte KFN-Direktor und Studienleiter Christian
       Pfeiffer.
       
       29 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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