URI: 
       # taz.de -- Winterbottoms „The Look of Love“: „Mad Men“ im Nacktheitengeschäft
       
       > Porträt eines Epochen- und Sittenwandels: In Michael Winterbottoms „The
       > Look of Love“ triumphiert die Ausstattung über die Geschichte.
       
   IMG Bild: Szene aus „The look of love“.
       
       War sie nun nackt oder nicht? Macht ein G-String den Unterschied ums Ganze?
       Was heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorholt, beschäftigt in
       diesen schwarz-weißen 50ern noch medienwirksam die Justiz: Stand Jean (Anna
       Friel), die Ehefrau von Paul Raymond (Steve Coogan), einem Impresario
       halbseidener Etablissements im Londoner Vergnügungsviertel Soho, nun also
       nackt auf der Bühne?
       
       Das Gericht befindet: Ja, stand sie. Was Strafen in empfindlicher Höhe nach
       sich zieht, da seinerzeit noch mit erhobenem Zeigefinger reguliert wurde,
       was sich auf britischen Bühnen ziemt und was nicht.
       
       Jedoch: „Gut investiertes Geld“, triumphiert der gewiefte, eloquent
       britisch auftretende Geschäftsmann, der bei seinem Tod in den Neunzigern,
       nach einer Karriere als Bühnenbetreiber, Verleger schmieriger
       Herrenmagazine und Immobilienunternehmer, als reichster Mann
       Großbritanniens galt.
       
       Er erklärt, unter dem Blitzlichtgewitter der skandalsüchtigen, aber mit
       reichlich Champagner eingekauften Presse, sein Haus zum Privatclub –
       Zutritt nur für Mitglieder – und umgeht auf diese Weise lästige
       Theaterauflagen.
       
       Bald 45.000 Mitglieder machten aus dem Haus mit seinen, von heute aus
       betrachtet, niedlichen Nuditäten ein brummendes Gewerbe. Im Zuge werden aus
       schwarz-weißen 50ern farbenfreudige 60er, vom Exzess der 70er und 80er ganz
       zu schweigen. Die Grenzen dessen, was buchstäblich im Zentimeterbereich
       möglich ist und was nicht, bleiben dabei meist lose im Blick: In den 70ern
       bringt eine Debatte darüber, ob eine Fotografie in Raymonds Magazin Men
       Only die Scham einer Frau einsichtig genug entblößt, um schon als
       Pornografie zu gelten, den Mann immerhin noch ins Fernsehen, wo er zum
       Vergleich echte Pornohefte aus dem liberalen Skandinavien präsentiert.
       
       ## Obskure Dramaturgie
       
       Regisseur Michael Winterbottom und Drehbuchautor Matt Greenhalgh wählen
       eine etwas obskure Dramaturgie, um den Aufstieg eines aus ärmlichen
       Verhältnissen stammenden Arbeiterkindes zu einem bis ans Lebensende
       ungebrochen erfolgreichen Geschäftsmann zu zeigen: In lose verbundenen
       Episoden erzählen sie diese Geschichte als per Videoband induzierte
       Flashbacks eines alten, gebrochenen Mannes, der gerade seine Tochter, die
       dem drogenaffinen Showbiz nicht gewachsen war, beerdigt hat.
       
       Es ist die Geschichte von Aufstieg und Niedergang eines Mannes, dem über
       Erfolg und angewandter Libertinage das eigene Leben, vor allem das private
       Glück, aus den Händen geglitten ist, und der nun in seinen Erinnerungen den
       Moment seiner Biografie dingfest zu machen versucht, an dem sich das Blatt
       gewendet hat.
       
       Stolz erklärt er etwa anfangs seiner Enkelin, welche Häuser in diesen
       Straßen – fast alle – ihm gehören. Warum er so viel Besitz angehäuft hat,
       fragt sie. Um für seine Nachkommen vorzusorgen, sagt der Großvater der
       Enkelin, deren Mutter er gerade beerdigt hat, und kauft ihr beim Bäcker
       einen Kuchen, wie er hier zuvor schon seiner Tochter Leckereien gekauft
       hat.
       
       Wenn es diese kleinen Momente zärtlicher Zuneigung sind, auf die es
       ankommt, gerät dem Film dieses Anliegen ziemlich aus dem Blick: Dem Glam
       von Burlesque, dem James-Bond-Look der 60er, dem Porn Chic der 70er und dem
       Gloss der 80er verfällt Winterbottom mit Haut und Haar. Das Porträt eines
       Epochen- und Sittenwandels ist bis ins Emblematische verdichtet.
       
       ## Nostalgische Ästhetik
       
       „The Look of Love“ bedient eine mit modernen Mitteln erzielte,
       fetischisierend nostalgische Ästhetik, die im Schub der völligen
       Anverwandlung die Oberflächenreize vergangener Zeiten als deren
       ureigentlichen Ausdruck verkauft. Wenn man so will: „Mad Men“ im
       Nacktheitengeschäft – was allerdings übersieht, dass es der gefeierten
       US-Serie ja tatsächlich gelingt, den historischen Wandel der 60er Jahre
       unter ihrem exhibitionierten Look im Detail begreifbar zu machen.
       
       „The Look of Love“ reiht sich dabei in die Abfolge sicher stellenweise
       unterhaltsamer, insgesamt aber eher glückloser Versuche der letzten Jahre
       im Kino ein, die Mentalitäts- und Sittenumbrüche der 60er und 70er anhand
       besonders exponierter Persönlichkeiten festzumachen, ob es dabei nun um den
       Siegeszug von Hasch in „Mr. Nice“, um Pornografie im aktuellen Biopic
       „Lovelace“ oder hier nun um Tittenheftchen geht. Es handelt sich dabei –
       mal mehr, mal weniger – um den Triumph der Ausstattung über die Geschichte.
       
       28 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Groh
       
       ## TAGS
       
   DIR Mad Men
   DIR Murat Kurnaz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Regisseur des Kurnaz-Films: „Ich musste mich entscheiden“
       
       Der Film „5 Jahre Leben“ erzählt Murat Kurnaz' Gefangenschaft in
       Guantanamo. Regisseur Stefan Schaller erklärt, warum er die Rolle
       Deutschlands nicht aufgreift.
       
   DIR Doku über Leben und Werk Bob Marleys: Verrückte Magier
       
       Das Ende der Heiligenverehrung: Regisseur Kevin MacDonald nähert sich in
       der Kinodokumentation „Marley“ mit großer Sorgfalt der jamaikanischen
       Reggaelegende.
       
   DIR Feministische Pornos: Por? Yes!
       
       Alice Schwarzer wollte Pornos noch verbieten, heute machen ihre
       Nachfolgerinnen solche Sexfilme selbst. Dabei scheitern sie oft an ihrer
       eigenen Schwanzfixierung.
       
   DIR Naomi Kleins "Schock-Strategie" als Film: Das Superhirn ist schuld
       
       Die Bilder sind Sklaven des Kommentars: Michael Winterbottom macht aus
       Naomi Kleins "Die Schock-Strategie" einen Agit-Prop Bilderbogen.
       
   DIR Angelina Jolie: Mutter gegen den Terror
       
       Sie ist das Oberhaupt einer Benetton- Kampagnen-Familie und spielt die
       schwangere Frau des von Terroristen getöteten Journalisten Daniel Pearl:
       Angelina Jolie.