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       # taz.de -- 70. Filmfestival von Venedig: Drei Dimensionen der Endlosigkeit
       
       > Der Wettbewerb fällt dieses Jahr in Venedig erstaunlich nordamerikanisch
       > aus. Das älteste Filmfestival der Welt öffnet mit dem 3-D-Film „Gravity“.
       
   IMG Bild: Die Schwerkraft verlieren im Science-Fiction-Film „Gravity“ Sandra Bullock und George Clooney.
       
       Die Mostra internazionale d’arte cinematografico von Venedig ist das
       älteste Filmfestival der Welt. Im August 1932 fand es zum ersten Mal statt;
       am Mittwoch Abend wird es in der Sala Grande am Lido zum 70. Mal eröffnet,
       und wenn es nicht das 82. Mal ist, so liegt das daran, dass es in manchen
       Jahren ausfiel.
       
       Wer ein wenig in der Vergangenheit stöbern möchte, dem sei ein Besuch der
       Website [1][labiennale.org] ans Herz gelegt. Unter „70° Future Reloaded“
       finden sich dort Clips mit Archivmaterial aus vielen Jahrgängen, etwa aus
       dem Jahr 1968, als unter dem Eindruck der Studentenunruhen Verwirrung
       herrschte: Sollte man ein Gegenfestival ins Leben rufen? Am Ende erhielt
       Alexander Kluge für „Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ den Goldenen
       Löwen.
       
       Ausschnitte aus Wochenschauen erinnern an die Jahre, in denen sich deutsche
       und italienische Faschisten vortrefflich verstanden. Man sieht Goebbels,
       wie er, in weißer Gala-Uniform, die Stufen zum Casinò hinaufsteigt, man
       sieht ein Filmtheater voller Hakenkreuzfahnen, und auf der Piazza San Marco
       prangt ein Plakat von Veit Harlans Propagandafilm „Der große König“ aus dem
       Jahr 1942.
       
       Giuseppe Volpi, Politiker, Unternehmer, Hotelbesitzer, Freund Mussolinis
       und Präsident des Festivals, ließ 1937 das wuchtige Casinò errichten,
       dessen hoch aufragende Fassade viel Platz für faschistische Banner bot.
       Noch heute heißen die beiden Preise, den der beste Schauspieler und die
       beste Schauspielerin erhalten, Copa Volpi, und das Casinò ist so wuchtig
       wie eh und je.
       
       ## Filmfestivals als Museen der Kultur
       
       Wie wird sich die Mostra in diesem Jahr positionieren? Der Direktor der
       Mostra, Alberto Barbera, seit einem Jahr im Amt, gibt sich in seinem
       Geleitwort denn auch ein wenig zurückhaltend. Wenn es um die Zukunft von
       Filmfestivals gehe, schreibt er, seien viele Fragen offen, und die Mostra
       werde sie nicht beantworten können.
       
       Das „Universum der bewegten Bilder“ sei von „wachsender Fragmentarisierung
       und Schizophrenie“ befallen, Filmfestivals würden an Bedeutung gewinnen,
       weil sie wie Museen eine Kultur bewahrten, zugleich büßten sie ihre
       Exklusivität der Digitalisierung wegen ein. Die Mostra nimmt an dieser
       Entwicklung teil, indem sie eine „Sala Web“ einrichtet. Einige Filme aus
       dem Programm sind online als Stream zugänglich.
       
       ## 20 Filme im Wettbewerb
       
       Der Wettbewerb fällt in diesem Jahr erstaunlich nordamerikanisch aus.
       Insgesamt konkurrieren 20 Filme um den Goldenen Löwen, sechs davon kommen
       aus den USA, einer aus Kanada, ein weiterer ist eine
       britisch-US-amerikanische Koproduktion. Vertreten ist unter anderem der
       Dokumentarist Errol Morris, der in „Standard Operating Procedure“
       versuchte, via Re-Enactment die Foltermethoden in Abu Ghraib anschaulich zu
       machen. Er steuert einen Film über Donald Rumsfeld bei, „The Unknown
       Known“.
       
       Kelly Reichardt, 2010 mit dem Western „Meek’s Cutoff“ zu Gast in Venedig,
       schaut in „Night Moves“ militanten Umweltaktivisten zu. David Gordon Green
       kehrt mit „Joe“ in die Gefilde des „Southern Gothic“ zurück, und James
       Franco ist nimmermüde: Nachdem er im Mai in Cannes eine Faulkner-Adaption
       vorgestellt hat, reist er nun mit „Child of God“, der Verfilmung eines
       Romans von Cormac McCarthy, an den Lido.
       
       Aus Deutschland kommt „Die Frau des Polizisten“ von Philip Gröning, ein
       knapp dreistündiges Ehedrama aus einer Provinzstadt, und auch sonst setzt
       Alberto Barbera auf europäische Autorenfilmer wie Philippe Garrel oder
       Stephen Frears. Der heutige Eröffnungsabend gehört dem mexikanischen
       Regisseur Alfonso Cuarón und dessen 3-D-Film „Gravity“. Darin geht es um
       eine Wissenschaftlerin (Sandra Bullock) und einen Astronauten (George
       Clooney), deren Raumschiff havariert.
       
       Sie finden sich alleine in der Unendlichkeit des Alls wieder, die
       Sauerstoffreserven sind knapp, eine Schnur bewahrt sie davor, voneinander
       wegzudriften. Wer sich an den Eindruck gewaltiger Tiefe erinnert, den Ang
       Lee letztes Jahr in seinem 3-D-Film „Life of Pi“ dem Himmel und dem Meer
       abgewann, wird neugierig sein auf die drei Dimensionen der Endlosigkeit.
       
       28 Aug 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://labiennale.org
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cristina Nord
       
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