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       # taz.de -- Protest gegen Flüchtlinge: Neonazis werden überstimmt
       
       > Erneut marschiert die NPD in Hellersdorf auf und hetzt gegen Flüchtlinge.
       > Der Wunsch von Senat und Bezirk bleibt unerfüllt: endlich Ruhe für die
       > Geflohenen.
       
   IMG Bild: Wieder mehr und lauter und bunter: Protest gegen die NPD in Hellersdorf.
       
       Minutenlang ätzt der Mann mit dem blauen NPD-Shirt über
       „Möchtegernasylanten“. „Unsere Solidarität“, sagt Sebastian Schmidtke,
       „gilt den Bürgern hier und niemand anderem.“ Dann kündigt der Berliner
       NPD-Chef an, dass seine Partei nun öfter wiederkommen werde. Die 100
       Neonazis um ihn herum klatschen höhnisch.
       
       Am Samstag ist die NPD wieder nach Hellersdorf gekommen. Bereits vier Tage
       zuvor hatte sie auf dem Alice-Salomon-Platz gegen ein Flüchtlingsheim
       demonstriert, nur eine U-Bahn-Station entfernt. Seit einer Woche leben in
       der früheren Schule gut 50 Asylsuchende – zum Unmut auch einiger Anwohner.
       
       Rund 700 Bürger und Politiker stehen den Flüchtlingen am Samstag zur Seite,
       überlärmen die NPD mit gellenden Pfiffen. Doch die Neonazis verhindern
       erneut genau das, was Land und Bezirk zuletzt für die Flüchtlinge
       einforderten: Ruhe. „Mäßigung auf allen Seiten“, verlangte Sozialsenator
       Mario Czaja (CDU). Die Unterkunft sei „nicht der Ort für politische
       Auseinandersetzungen vor medialer Kulisse“.
       
       Die jedoch sucht die NPD an diesem Nachmittag. Mit einem
       Wahlkampftransporter fährt die Partei vor, reiht sich mit Deutschlandfahnen
       auf. Viele Jungnazis sind gekommen, schwarz gekleidet, betont grimmiger
       Blick. „Haut ab“, schallt es ihnen entgegen. „Kommt doch“, grölen die
       Neonazis zurück. Rund 400 Polizisten und Gitter verhindern das.
       
       Hinter den NPDlern stehen auch eine Handvoll Anwohner. Ein Mann läuft nach
       vorne, streckt den Gegendemonstranten den Hitlergruß entgegen – und wird
       sofort festgenommen. Zu verstehen sind die NPD-Redner kaum, zu laut sind
       die Gegendemonstranten. Auch viele Politiker sind da. Am Montag sollen die
       Auseinandersetzungen Thema im Innenausschuss werden.
       
       Unter den Gegendemonstranten steht auch Karim*, ein palästinensischer
       Flüchtling. Vor einer Woche gehörte er zu den Ersten, die in die Schule
       einziehen sollten – und sofort wieder zurück in die Erstaufnahmestelle nach
       Spandau fuhr. Er sei nun gekommen, um sich selbst ein Bild von der Stimmung
       zumachen, sagt Karim. Mit fahlem Gesicht schaut er auf die Neonazis. „Diese
       Leute haben keine Gefühle.“
       
       Doch Karim soll zurück nach Hellersdorf, spätestens am heutigen Montag, so
       wie ein Dutzend weiterer Rückkehrer. Die Heimleitung in Spandau habe
       bereits ihre Zimmerschlüssel eingezogen und mit Sanktionen gedroht,
       berichtet er. Momentan schlafe er in einem anderen Raum, nun werde er in
       die Wohnung eines Freundes ziehen. Nach Hellersdorf jedenfalls gehe er
       nicht mehr. „Zu gefährlich.“
       
       Inzwischen gibt es aber auch Unterstützung für das Heim im Bezirk. Eine
       Anwohnerin, gebürtige Polin, zeigt ein Plakat: „Danke für alle toleranten
       Menschen“. Unterstützer berichten von zahlreichen Spenden. Die
       Alice-Salomon-Hochschule will ab Oktober im Heim Seminare abhalten (siehe
       Interview Seite 22). 
       
       Um die Kundgebung machen die meisten Hellersdorfer aber einen Bogen. Immer
       wieder drängen die Polizisten Gegendemonstranten zurück. Auch Pfefferspray
       wird eingesetzt, 21 Leute werden festgenommen. Auf rechter Seite gibt es
       vier Festnahmen. Zwei NPD-Plakate werden beschlagnahmt, wegen des Verdachts
       der Volksverhetzung. Nach zweieinhalb Stunden geleitet die Polizei die
       Neonazis zur U-Bahn. In Lichtenberg marschieren diese noch kurz durch die
       Weitlingstraße, an deren Ende sich ein Neonazi-Treff befindet, dann ist
       Schluss.
       
       Vorbei ist der braune Spuk dennoch nicht. 1.000 neue Asylsuchende erwartet
       Czaja in diesem Jahr noch. Schon heute sind alle Plätze belegt. Im Dezember
       soll deshalb in Pankow eine weitere Unterkunft für 220 Asylbewerber
       entstehen. Auch dort, kündigt die NPD an, werde man „aggressiv
       entgegentreten“. Die Ruhe, sie bleibt den Flüchtlingen vorerst verwehrt.
       
       * Auf eigenen Wunsch wird Karim beim Vornamen genannt
       
       25 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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