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       # taz.de -- Kolumne Roter Faden: Ich kann euch immer bombardieren
       
       > Bilder von zutiefst verstörten Menschen, sie sind jetzt überall zu sehen.
       > Giftgas. Ob wir Syrien nächste Woche wieder vergessen haben?
       
   IMG Bild: Überlebende eines Gasangriffs. Und das ist noch eines der weniger verstörenden Bilder aus Syrien
       
       Manche Wochen sind amüsant, andere egal, diese war ungeheuer brutal. In den
       frühen Morgenstunden des 21. August wurden, so syrische AktivistInnen, in
       den Vorstädten von Damaskus weit über tausend Menschen getötet: Giftgas.
       Wer hat es eingesetzt? Die Rebellen, um ein Eingreifen der USA oder der
       Nato zu erzwingen, oder Assad?
       
       Das syrische Regime empfindet die ihm angetragenen Verdächtigungen als
       „unlogisch“ und verbietet den just in der Kapitale eingetroffenen
       UN-Inspektoren, die betroffenen Orte aufzusuchen. Stattdessen werden die
       „normalen“ Bombardierungen fortgesetzt. Und doch: Warum sollte Assad
       ausgerechnet dann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit anordnen, wenn
       UN-Leute im Land sind? Es gäbe günstigere Zeitpunkte.
       
       George Mark Malloch Brown, ehemals Journalist beim Economist und seit 2007
       im britischen Außenministerium für Afrika, Asien und die UN zuständig,
       entwickelt im Interview mit der BBC eine andere Überlegung: Assad müsse
       sich ja nur umsehen. In Ägypten erschießt das Militär dieser Tage
       machttrunken rund 1.000 Anhänger der gehassten Muslimbrüder auf offener
       Straße und verhaftet unzählige andere. Zum Spaß wird dann auch noch Mubarak
       aus dem Gefängnis entlassen.
       
       Und die USA denken nicht daran, ihrem Bündnispartner die Unterstützung zu
       versagen, gar die Militärhilfe zu kürzen, die Geschäfte mit den
       Antidemokraten laufen zu gut. Zudem wird der Einfluss der USA ohnehin
       überschätzt. Auch in Libyen glänzt der ehemalige Befreier durch Passivität,
       was kümmert ihn schon das Chaos? Und was Syrien angeht, verkündete
       US-General Dempsey erst vor einem Monat, ein militärisches Eingreifen sei
       zu riskant und auch zu teuer. Frankreich und die Türkei rüsten seit
       Donnerstag zwar rhetorisch auf, aber dass sie einen Alleingang wagen oder
       die USA umstimmen könnten, dafür spricht wenig.
       
       Und trotz aller beliebten militärischen Überlegungen, die besonders gern
       von weitab unternommen werden, zeigt sich, dass Kriege eben nicht nur
       militärisch zu gewinnen sind. Denn trotz Luftwaffeneinsatz und dem massiven
       Support durch fremde Truppen will es Assad nicht gelingen, die Rebellen in
       die Kapitulation zu zwingen.
       
       ## Eingeschlagen in weiße Tücher
       
       Was also, wenn er jetzt vermehrt auf psychologische Kriegsführung setzte
       und zum Gas greift? Um so seinen Gegnern einmal mehr vor Augen zu führen:
       Ich kann euch jeden Tag bombardieren, das sowieso. Aber ich kann euch auch
       buchstäblich die Luft zum Atmen nehmen, tausend von euch in ein paar
       Stunden ersticken lassen, auch dann wird euch der Westen nicht helfen.
       
       Er wird wieder nur mahnende Worte in die Mikrofone säuseln und weiter
       diplomatisch an Putin scheitern. In diesem Szenario spielten die Videos von
       den in weiße Tücher eingeschlagenen Kindern mit den grauen Gesichtern und
       dem Schaum vorm Mund vor allem Assad in die Hände.
       
       Aber im Krieg der Bilder, der nun selbst für die sich noch immer im
       Sommerloch suhlenden deutschen ZuschauerInnen bedrückend wurde, fand sich
       auch ein erfreulicher Zwischenfall. Und zwar ausgerechnet im russischen
       Staatsfernsehen. Angefragt, um über das jüngst verkündete Strafmaß für den
       Whistleblower Bradley Manning zu diskutieren – er/sie bekam „nur“ 35 Jahre
       –, [1][streifte sich der zugeschaltete US-Journalist James Kirchick] vor
       laufender Kamera regenbogenfarbene Hosenträger übers weiße Hemd.
       
       Und dann ging es los: Über Manning zu reden, habe er gar keine Lust. Er
       wolle über die russischen Antihomogesetze sprechen und über das
       hasserfüllte Klima gegenüber Personen wie ihn. Das Staatsfernsehen
       verbreitete ja nichts als Lügen, 24/7. „Wie können Sie noch schlafen?“
       
       ## Ein netter Traum
       
       Nur langsam, wie in Zeitlupe, realisierte die Moderatorin, die zunächst
       einfach weiter freundlich nickte, dass hier gerade etwas Ungewöhnliches
       passiert. Ein Gast durchbricht die Medienroutine, ein Gast zeigt
       Zivilcourage, und es ist ihm egal, dass kein russischer Sender ihn je
       wieder als Experten einladen wird.
       
       Was, wenn im russischen Staatsfernsehen ein ausländischer Journalist (also
       jemand, den die russische Justiz nicht belangen kann) ungefragt über Syrien
       spräche, darüber, dass Putin mit seiner Blockadepolitik täglichen
       Massenmord und nun auch den Giftgaseinsatz ermöglicht? Ein netter Traum.
       Denn Syrien ist in der russischen Öffentlichkeit überhaupt kein Thema.
       
       Und sonst? Sonst wurde im NSU-Abschlussbericht festgehalten, dass die
       deutschen Behörden, stereotypengeleitet wie sie sind, in bisher
       unvorstellbarer Weise versagt haben. Auch das ist eine gute Nachricht.
       Zumindest, wenn Polizei und Geheimdienste nun nachqualifiziert werden. Es
       besteht Hoffnung, sagen die Experten.
       
       24 Aug 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.youtube.com/watch?v=YVQm3wOjddw
       
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