URI: 
       # taz.de -- SPD-Geburtstag: Ein Kaiser und die SPD
       
       > Die Sozialdemokraten feiern zu ihrem 150. Geburtstag das Deutschlandfest
       > – das seinem Namen alle Ehre macht.
       
   IMG Bild: Abendstimmung beim "Deutschlandfest" der SPD
       
       Vielleicht ist es doch mehr ein Volksfest als eine Wahlkampfveranstaltung?
       Am Samstagvormittag zu Beginn der großen Geburtstagsparty, die die SPD am
       Brandenburger Tor für sich schmeißt, ist es jedenfalls nicht der Name des
       SPD-Kanzlerkandidaten, den man am häufigsten hört. Von Roland Kaiser wird
       gesprochen, nicht von Peer Steinbrück – selbst da, wo Sozialdemokraten
       zusammenstehen. Auch Raed Saleh, Fraktionsvorsitzender der Berliner SPD und
       erster hochrangiger Genosse mit Migrationshintergrund, outet sich als Fan
       des deutschen Schlagers: „Wir haben eine sehr schöne Sprache, die viel
       Gefühl ausdrückt – da kann man doch wunderbar drin singen!“
       
       Aber Roland Kaiser kommt erst am Sonntag. Jetzt, am Samstagnachmittag, ist
       doch erst mal er dran: Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat der
       Sozialdemokraten und als bekennender Norddeutscher nicht berühmt dafür, mit
       viel Gefühl zu singen.
       
       Etwa 200.000 Menschen sind auf der Straße des 17. Juni versammelt, als der
       Kandidat anhebt. Sein „Donnäwäddä“, mit dem er die ZuhörerInnen begrüßt,
       klingt tatsächlich echt bewegt. So geht es aber nicht weiter. Nur kurz
       berührt Steinbrücks Ansprache den Anlass des Festes, die Parteigeschichte,
       die eigentliche Grundlage der erstaunlich stabilen emotionalen Bindung
       vieler GenossInnen und WählerInnen an die SPD. Dann hebt er an zur
       klassischen Wahlkampfrede mit den üblichen Versprechungen und Worthülsen,
       „Stillstand“, „Aufbruch“. Selbst wenn Steinbrück sich auf
       sozialdemokratische Traditionen bezieht („Auf der Grundlage dieser Werte
       bewerbe ich mich darum …“), klingt das bestenfalls sachlich.
       
       45 Minuten dauert die Ansprache – die ZuhörerInnen brauchen bei gut 33 Grad
       in der Sonne Stehvermögen. Die meisten bringen das mit: Sie sind
       GenossInnen. Ihr Lob für den Kandidaten bleibt dennoch meist verhalten.
       
       „Im Kern recht gelungen“, sagt etwa ein grauhaariger Zuhörer mit
       SchwuSo-T-Shirt (Schwule Sozialdemokraten): Er hätte sich mehr deutliche
       Kritik an der aktuellen Bundesregierung in dieser „Wahlkampfauftaktrede“
       gewünscht – denn dass es eine solche war, steht für die meisten im Publikum
       außer Frage.
       
       Zwei junge Sozialdemokraten, Berliner, Mitte 20, sind gegensätzlicher
       Meinung: „Überraschend emotional und mitreißend“ fand der eine Steinbrücks
       Rede, „sehr erwartbar“ dagegen der andere. Ihm mangelt es ohnehin an
       „Leidenschaft“ auf dem Fest: „Das Konzept ist zu simpel und nach Schema F“,
       beklagt er: „Fressbuden und SPD-nahe Künstler, von denen aber auch keiner
       ein wirklich leidenschaftliches Plädoyer für die Partei abgibt.“
       
       Tatsächlich hält sich das Verhältnis zwischen Fress- und Informationsbuden
       auf der Straße des 17. Juni angenehm die Waage: Bratwurst- und Biergeruch
       bleiben im Hintergrund, die Stände sozialdemokratischer
       Arbeitsgemeinschaften und Mitmachangebote finden durchaus Interesse beim
       Publikum – manchmal auch überraschtes: „Guck mal, hier ist ja noch viel
       mehr als Roland Kaiser!“, sagt eine kinderwagenschiebende Frau zu dem sie
       begleitenden Mann. Knubbel bilden sich manchmal dort, wo tatsächlich echte
       Politiker über das Fest marschieren – zumal wenn sie das mit der
       entsprechenden aufmerksamkeitheischenden Entourage tun: Steinbrück,
       begleitet von Bodyguards und Polizisten, wird umringt. Nebenher spaziert
       beinahe unbeachtet Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse vorbei.
       
       ## Mangelnde Leidenschaft
       
       „Inszenierte Volksnähe“ sei das, findet der junge Berliner Genosse, der die
       mangelnde Leidenschaft seiner Partei beklagt: „Hier wird das Klischee
       bedient, Politiker seien weit weg von den Menschen, wir Sozis aber nicht.“
       
       Der junge Mann leidet ganz offenbar an seiner Partei. Und man wünscht sich
       wirklich, sie würde öfter auf ihre vielen klugen, jungen Mitglieder hören.
       „Deutschlandfest“ hat die SPD ihre Geburtstagsfeier genannt. Die Berliner
       Jusos sind dem Fest deshalb ferngeblieben. Zu nationalistisch sei ihnen der
       Name, schrieben sie dem Parteivorstand. Eine Antwort blieb aus. Und die
       ironisch „Jubeldemo“ genannte Gegendemonstration Autonomer gegen das
       Parteifest bleibt dort völlig unbemerkt.
       
       Nicht übersehbar ist aber, wie deutsch das Deutschlandfest tatsächlich im
       alten Sinne ist: Im Publikum sucht man vergeblich nach dem üblichen
       Berliner Verhältnis von Eingeborenen und Eingewanderten. Höchstens drei,
       vier Prozent der BesucherInnen haben augenscheinlich Migrationshintergrund.
       Auf das dem Anteil von EinwanderInnen an der Bevölkerung entsprechende
       Viertel kommen dagegen die auf dem Fest Arbeitenden: die Ordner etwa oder
       die VerkäuferInnen an den Ständen.
       
       Aziz Bozkurt, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Migration der
       Berliner SPD, die auch einen Stand auf dem Fest hat, seufzt darauf
       angesprochen tief. „Eigentlich gehört die Migrationsbewegung fest zu
       unserer Parteigeschichte“, sagt er. „Angefangen spätestens von den ins
       Ruhrgebiet eingewanderten Bergarbeitern. Leider konnten wir das hier nicht
       deutlich machen“, so der junge Genosse: Die Partei lerne das erst langsam.
       
       Nena, Die Prinzen, Klaus Hoffmann oder Michael Schulte heißen die
       KünstlerInnen, die am späteren Samstagabend beim Deutschlandfest noch
       auftreten. Beim Verlassen des Platzes eine kleine Szene zwischen einem
       kommenden und einem gehenden Genossen: „Na, was hat Peer heute wieder für
       einen Fauxpas begangen?“ – „Nix, diesmal war es einfach nur langweilig!“ –
       „Ach, mit unserer 150-jährigen Parteigeschichte überleben wir den auch
       noch!“
       
       Am Sonntag dann endlich Roland Kaiser. Eine halbe Stunde lässt der Barde
       seine Fans warten, dann der Auftritt: „Du bist ein Brunnen, der kein Wasser
       gibt – ohne Liebe“, singt Kaiser. „Herz über Kopf“ heißt der Song. Das
       Geräusch, das aus der wartenden Menge aufsteigt, ist weniger ein
       begeisterter Aufschrei als ein erleichtertes Stöhnen.
       
       18 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alke Wierth
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA