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       # taz.de -- Kunst in Luxemburg: Die 50er-Jahre-Weltfamilie
       
       > Wer Luxemburg besucht, sollte sich die Schwarz-Weiß-Fotos der
       > Dauerausstellung „Family of Man“ nicht entgehen lassen.
       
   IMG Bild: Meereslust und der Blick der 50er Jahre - Foto der Ausstellung.
       
       Was ist der Mensch? Diese kolossale Frage wollte Edward Steichen als
       Direktor des Museum of Modern Art mit einer Fotoausstellung beantworten. Er
       sammelte weltweit vier Millionen Aufnahmen. 503 davon wählte er aus und
       zeigte sie in der Monumentalschau „Family of Man“. Ein pathetischer Titel,
       der mitten im Kalten Krieg die Idee einer allgemein verbindenden
       Menschlichkeit propagierte, den Glauben an eine universell zu lesende
       Sprache der Bilder. Steichen vermachte diese Ausstellung dem Staat
       Luxemburg. Von hier emigrierten seine Eltern als Tagelöhner nach Amerika.
       Die größte Fotoausstellung aller Zeiten hatte bis in die 60er Jahre mehr
       als 150 Ausstellungsorte und 10 Millionen Besucher.
       
       Auf einfache Holzbretter geklebt, waren die Schwarz-Weiß-Bilder nicht für
       die Ewigkeit bestimmt. In einem jahrelangen aufwendigen Verfahren wurden
       sie wiederhergestellt und sind nun erneut im Schloss Clervaux bei Luxemburg
       zu sehen. Die Restaurierung des Schlosses wurde Steichens modernistischer
       Vision untergeordnet. Das Gebäude wurde komplett entkernt und zur
       Präsentation der Ausstellung neu gestaltet.
       
       Es ist eine schwindelerregende Hängung von Fotos: verschiedenste Größen,
       ineinandergeschachtelte Bilder, die die gesamten Räume erfassen, auf Bein-
       und Augenhöhe angeordnet, auch die Decken werden nicht ausgelassen.
       Steichens Komposition der Fotos ergibt einen ganz eigenen Rhythmus.
       
       „Gott sagt, es werde Licht.“ Mit diesen Worten aus der Bibel und einer Art
       Urknallaufnahme beginnt die Schau. Vier Meter groß ist der Abzug von Wynn
       Bullock: Eine mädchenhafte, nackte Frau liegt im Kleefeld eines
       verwunschenen Waldes. Die Bilder werden nach scheinbar universell gültigen
       Themen gruppiert. Eine Eloge auf die Mutter- und Vaterschaft mit dem
       Bibelzitat „Bone of my bones, and flesh of my flesh“ eingeführt. Sich
       umschlingende Liebespaare und Hochzeiten in aller Welt, ein Tanz der großen
       Gefühle mit monumentalen Landschaften kombiniert. Harmonische Kinderspiele.
       Lernen, Studieren. Überleben durch Arbeit, heroische Posen für die Männer,
       die Frauen bei der Hausarbeit festgehalten. Familien und Freunde gemeinsam
       am Tisch zur Mahlzeit.
       
       Dann Spiel, exzessiver Tanz, ausufernde laute Freude und Musik. Ikonen der
       Fotogeschichte, die Mitleid und Einsamkeit, Verbrechen, Krieg und Trauer
       zeigen. Ohne zeitliche Angabe, ohne Erklärung werden die Fotos ausgestellt.
       Nur das Land und der Urheber sind benannt.
       
       „Das Erste, was die Besucher heute fragen: Wo und wann?“, sagt die
       Konservatorin Anke Reitz. „Who is the slayer, who the victim? Speak.
       Sophokles“. Steichen wollte, dass dieses Zitat ausreicht. Gut und Böse sind
       nicht immer so eindeutig wie bei dem weltbekannten Foto von 1943: Eng
       beieinander, mit furchtsamem Blick und erhobenen Händen werden die
       Aufständischen von der bewaffneten SS aus dem Warschauer Ghetto vertrieben.
       
       Steichen glaubte und hoffte noch auf die Wirksamkeit politischer
       Organisationen. Das vorletzte Bild ist eine dokumentarische Aufnahme der
       Vollversammlung der UN. Umstritten schon immer die Schlussaufnahme: die
       Explosion einer amerikanischen Wasserstoffbombe.
       
       Neben den unbekannten Fotografen birgt die Ausstellung auch die
       Wiederbegegnung mit den großen Fotojournalisten und Dokumentaristen wie Eve
       Arnold, Elliott Erwitt, David Seymour, Alfred Eisenstaedt, Dorothea Lange,
       George Rodger. 2003 wurde die Ausstellung ins Weltdokumentenerbe der Unesco
       aufgenommen. Es ist ein gigantisches Werk, das uns heute die Sichtweise der
       50er Jahre zeigt.
       
       Wer weiter zum Thema Fotografie reisen möchte, der ist südlich von
       Luxemburg-Stadt, in Dudelange, richtig. In der ehemaligen Bergbauregion
       wird eine Ausstellung gezeigt, die Steichen für das MoMa kuratierte: „The
       bitter years“.
       
       In den 30er Jahren wurden im Auftrag der Farm Security Administration die
       arme Landbevölkerung und die Zeit der wirtschaftlichen Depression
       dokumentiert. Jean Back, der Direktor des CNA (Centre National de
       l’Audiovisuel), sagt: „Echte Fotografen lassen sich nicht für Propaganda
       einspannen. Nie zuvor wurden eine Krise und ihre Auswirkungen auf die
       Lebensumstände so schonungslos gezeigt.“ Die Fotos von Armut, Hunger und
       Vertreibung, Dürre und Erosion scheinen wie zeitlose archetypische
       Dokumente einer Katastrophe.
       
       In den Brachen der Stahlindustrie, dem verrotteten schonungslos nüchternen
       Umfeld, wurde der ehemalige Wasserturm zum Ausstellungsort umgestaltet. Ein
       idealer Ort für die Fotos der großen Dokumentaristen wie Dorothea Lange
       oder Carl Mydans. Mit Blick auf das Viertel der italienischen Einwanderer,
       auf die heute verrosteten Abklingbecken. „Es sind Bilder, die nicht alt
       werden“, sagt Back, „authentisch und voller Kraft.“
       
       17 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schrott
       
       ## TAGS
       
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