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       # taz.de -- Kommentar Ägypten: Die Liberalen wollen Blut sehen
       
       > Muslimbrüder gehörten „ausgemerzt“, meinen Ägyptens Liberale. Dafür
       > schließen sie einen Teufelspakt mit den Militärs. Demokratie soll dann
       > später folgen.
       
   IMG Bild: Blut an den Händen, Blut auf den Straßen: Ein Demonstrant auf dem Tahrir-Platz.
       
       Mohammed ElBaradei rammt einer Frau das Messer in den Rücken – die Frau
       repräsentiert Ägypten. [1][Diese Karikatur] wird in diesen Tagen
       tausendfach über Facebook und Twitter verbreitet: Die ägyptische
       Dolchstoßlegende ist geboren.
       
       Beide, der Karikaturist und der Karikierte, rechnen sich dem liberalen
       Lager zu. Doch nur ElBaradei hat aus dem Blutbad, das die Sicherheitskräfte
       angerichtet haben, seine Konsequenzen gezogen und trat als Vizepräsident
       zurück. Für diesen Schritt erntet er gerade in liberalen Kreisen massive
       Kritik. „Eine falsche Entscheidung zur falschen Zeit“, die „eine
       ausländische Intervention fördert“, werfen ihm Fernsehkommentatoren vor.
       
       Das Oppositionsbündnis „Nationale Rettungsfront“, dem er vorstand,
       distanziert sich von ihm ebenso wie die „Verfassungspartei“, die ElBaradei
       selbst gegründet hat. Der preisgekrönte, kritische Autor und Journalist
       Gamal al-Ghitani bezeichnet den Friedensnobelpreisträger gar als „Gefahr
       für das ägyptische Volk und den ägyptischen Staat“. ElBaradei als
       Landesverräter: All die anderen Beschimpfungen, die auch im Umlauf sind,
       spare ich mir.
       
       Viele von Ägyptens Liberalen wollen heute Blut sehen. Sie glauben
       ernsthaft, dass die Muslimbrüder, die sie als Terrororganisation
       bezeichnen, ausgemerzt werden müssen. Dafür haben sie sich mit dem Militär
       verbündet. Neben den Seilschaften des alten Mubarak-Regimes gehören sie zu
       den größten Cheerleadern des Putsches.
       
       ## Restaurierung des alten Regimes
       
       Der Pakt mit dem Teufel soll Stabilität schaffen; die partielle
       Restaurierung der alten Herrschaft nehmen die Liberalen hierfür in Kauf.
       Den Weg Richtung Demokratie möchten sie dann später fortsetzen – ohne
       Muslimbrüder. Die Idee ist: Das Militär sorgt für Ruhe, indessen mithilfe
       technokratischer Übergangsminister Land und Wirtschaft schrittweise wieder
       normalisiert werden.
       
       Paradoxerweise hatten die Liberalen dem gestürzten Präsidenten Mohammed
       Mursi und seinen Muslimbrüdern immer vorgeworfen, nur der Präsident für
       seine Anhänger zu sein und den Rest des Landes für deren Interessen in
       Geiselhaft zu nehmen – nach dem Motto: The winner takes it all. Doch mit
       dem Militär im Rücken verhalten sie sich jetzt ganz genauso.
       
       Wieder wird der politische Gegner dämonisiert. Mohammed Nour Farahat, ein
       führendes Mitglied der winzigen Sozialdemokratischen Partei Ägyptens,
       reichte gar eine Petition an den Übergangspräsidenten ein und fordert, die
       „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ der Muslimbrüder als
       Terrororganisation zu verbieten. Es müsse alles unternommen werden, um der
       Welt zu zeigen, dass die Protestlager „friedlich aufgelöst wurden“. Das ist
       kein Witz.
       
       ## Aus Opfern wurden Mittäter
       
       Ägyptens Liberale zählten unter dem Mubarak-Regime und unter Präsident
       Mursi zu den Opfern. Heute sind sie zu Mittätern geworden. Im Sinne von
       „Augen zu und durch“ rechtfertigen sie daher die Brutalität des Militärs
       als notwendiges Übel auf dem Weg, die Islamisten als politische Kraft
       auszuschalten. Ein kleinerer Teil ist schockiert und hat sich
       zurückgezogen, und nur ein winziger ist wie ElBaradei bereit, politische
       Verantwortung zu übernehmen.
       
       Das größte Problem der Liberalen ist, dass sie die Bürde ihrer
       Mittäterschaft so schnell nicht loswerden. Im Gegenteil. Die Muslimbrüder,
       verbittert, desillusioniert vom demokratischen Prozess und mit vielen
       offenen persönlichen Rechnungen und den Hunderten Toten der letzten Tage,
       werden die neue Militärherrschaft und alles, was aus ihr hervorgeht, nicht
       akzeptieren.
       
       Will man sie kleinkriegen, geht das nur mit einem Unterdrückungsapparat,
       der den Mubaraks in den Schatten stellen dürfte. Dann schlägt endgültig die
       Stunde des alten Regimes. Und die Liberalen werden wieder das sein, was sie
       in Ägypten immer waren: Zaungäste einer Auseinandersetzung des Militärs mit
       dem Sicherheitsapparat und den alten Mubarak-Seilschaften auf der einen und
       den Muslimbrüdern auf der anderen Seite.
       
       16 Aug 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://blogs.taz.de/arabesken/2013/08/16/zwei-karikaturen-die-die-polarisierung-agyptens-reprasentieren/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karim Gawhary
       
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