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       # taz.de -- Interview: Tanz im August: Mit den Künstlern wachsen
       
       > Bettina Masuch leitet das Festival Tanz im August. Ein Gespräch über
       > veränderte Sehgewohnheiten, den Mut zum Risiko und die Wechselwirkungen
       > zwischen Stadt und Festival.
       
   IMG Bild: Die Trisha Brown Dance Company.
       
       taz: Frau Masuch, Tanz im August feiert 25-jähriges Jubiläum. Spiegelt sich
       das im Programm? 
       
       Bettina Masuch: Ich habe versucht, die Vergangenheit des Festivals mit dem
       zu verbinden, was seine Zukunft sein könnte. Als Nele Hertling das Festival
       1988 gegründet hat, gab es keine so reiche internationale Tanzlandschaft in
       Berlin oder in Deutschland, wie wir sie heute haben. Das hat sich sehr
       verändert. Jetzt kann man übers Jahr viel mehr internationalen
       zeitgenössischen Tanz sehen. Von dort wollte ich die Brücke dahin schlagen,
       wo man die Zukunft des Tanzes sieht.
       
       Wie wollen Sie in die Zukunft sehen? 
       
       Es gibt zum ersten Mal eine Zusammenarbeit mit dem Theater an der Parkaue,
       mit Kinder- und Jugendtanz. Das ist mir wichtig, denn in diesem Bereich ist
       in den letzten Jahren sehr viel passiert. Die Stücke von Jan Martens,
       „Victor“, und von Ugo Dehaes, „Girls“, sind hervorragende Beispiele für die
       Auseinandersetzung mit dem, was Jungsein oder Adoleszenz sein kann.
       Mittlerweile treten Kinder und Jugendliche ganz selbstverständlich in
       Produktionen auf, die weit über dem Niveau eines pädagogischen Projekts
       sind.
       
       Spielt die Berliner Szene im Programm keine Rolle? 
       
       Doch. Über die Jahre war das Festival ein Impulsgeber, neue Choreografen in
       die Stadt zu holen. Bei dem brasilianischen Choreografen Bruno Beltrao war
       das so, er ist mit Tanz im August zum ersten Mal nach Berlin gekommen und
       wurde dann zu einem regelmäßigen Gast im Spielplan des HAU. Das Festival
       steht mit der Stadt in Wechselwirkung. Deshalb auch die beiden
       Uraufführungen der Berliner Choreographen Laurent Chetouane und Jochen
       Roller zum Ende des Festivals.
       
       Tanz im August ist ein Höhepunkt im Tanzkalender, die Stadt schmückt sich
       mit dem Festival. Aber reicht das, um Berlin zur Tanzstadt zu machen? 
       
       Natürlich ist es typisch berlinerisch, sich immer etwas größer zu machen,
       als man wirklich ist. Das kann auch etwas Positives haben, weil es auch
       Ansprüche für die Zukunft formuliert. Tanz im August ist sicher das größte
       deutsche Tanz-Festival, aber verglichen mit anderen europäischen Festivals
       ist es ein kleiner Player. Wir haben ein Budget von 800.000 Euro – dieses
       Jahr sind es 900.000, weil wir 100.000 Euro von der Lottostiftung bekommen
       haben. ImpulsTanz in Wien hat 5 Millionen. Da sieht man den Unterschied.
       
       Damit kann Berlin nicht konkurrieren. 
       
       Große internationale Compagnien einzuladen, ist mit dem Budget eigentlich
       nicht zu machen. Man darf nicht vergessen, dass Kosten wie die Mieten in
       den Häusern, wo wir auftreten, gestiegen sind. Alle Häuser sind gezwungen,
       viel ökonomischer zu denken. In der Vergangenheit, als das Festival anfing,
       gab es Spielstätten noch umsonst. Und Reisekostenzuschüsse von Botschaften
       fallen im Zuge der ökonomischen Krise fast ganz weg.
       
       Was fehlt dem Tanz vor allem in der Stadt? 
       
       Seit der Gründung der Uferstudios vor drei, vier Jahren ist in der Stadt
       eine Situation entstanden, in der sich junge Choreografen ausprobieren
       können. Das nutzen viele, man sieht den Reichtum der jungen Szene. Die
       Probleme beginnen, wenn die Choreografen älter werden …
       
       … und die Tänzer. 
       
       Absolut. Das große Problem ist eigentlich, dass es hier keine langfristige
       Tanzförderung gibt. Dass man als Choreograf, wenn man langfristig mit der
       gleichen Gruppe von Leuten arbeiten möchte, hierfür keine Förderung findet.
       Sasha Waltz ist die große Ausnahme, die das trotz widriger Umstände
       geschafft hat. Aber eigentlich fehlt dafür ein Förderinstrument.
       Choreografenpersönlichkeiten, die das Bedürfnis haben, mit einer größeren
       Compagnie zu arbeiten, zu wachsen, sich weiterzuentwickeln, die wandern ab.
       
       Sie sind schon als Jugendliche oft im Wuppertaler Tanztheater bei Pina
       Bausch gewesen. Warum schafft es Berlin nicht, Tanz auch zu einer so großen
       Marke zu machen? 
       
       Was ich beobachten konnte an mir und an der Situation in Wuppertal: Man
       wächst als Zuschauer mit den Künstlern. Sehgewohnheiten verändern sich,
       wenn man sich regelmäßig mit einer bestimmten Ästhetik auseinandersetzt.
       Pina Bausch konnte in Wuppertal in Ruhe arbeiten, mit denselben Leuten, ein
       großer Vorteil. Sie konnte auch Fehler machen. Wenn die Förderung nur
       projektweise greift, wie heute, müssen die Choreografen viel stärker auf
       Erfolg kalkulieren, weil sie mit jeder Produktion eine Visitenkarte abgeben
       für die nächste Förderung. Es fehlt der Raum, auch mal Risiken einzugehen
       und zu probieren, was man noch nicht kann.
       
       Seit zwei Jahren kämpft in Berlin eine Koalition Freie Szene für
       Mindestlöhne für die Künstler, zumindest in geförderten Projekten. Zur Zeit
       verdienen diese oft nur drei bis fünf Euro die Stunde. Halten Sie die
       Forderung für machbar? 
       
       Ja. Aber man muss das ganze System umstellen. Das Geld wird ja nicht mehr.
       Die Qualität der Tanzausbildung in Europa hat zugenommen, es gibt jedes
       Jahr mehr gut ausgebildete Tänzer und Choreografen, aber es gibt nicht mehr
       Arbeitsmöglichkeiten. Bisher war die Strategie bei Förderentscheidungen,
       vielen ein bisschen zu geben, um den Rest musste sich jeder selbst kümmern
       – so hält man die Szene einigermaßen ruhig. Die andere Möglichkeit wäre,
       weniger zu produzieren und sich stärker zu einzelnen Künstlern zu bekennen.
       Das bedeutet, dass andere komplett leer ausgehen.
       
       Finden Sie das die richtige Lösung? Ich glaube, uns wird gar nichts anderes
       übrigbleiben.
       
       Die Koalition der Freien Szene setzt ja auf eine dritte Möglichkeit: Arbeit
       mit neu eingenommenen Geld durch die Bettensteuer für Touristen. 
       
       Das ist absolut richtig. Aber eine Stadt allein kann das nicht lösen, das
       ist ein europäisches Problem. Überall werden durch die ökonomische Krise
       die Budgets für Kultur zusammengestrichen. Die Tanzszene hat sich
       erfolgreich internationalisiert, hängt damit aber auch von Koproduktionen
       ab – Häusern, die sich zusammen schließen, um ein Projekt zu finanzieren.
       Das kann ein vereinzeltes Land nicht auffangen.
       
       Klaus Wowereit, der Berliner Bürgermeister und Kultursenator, hat gute
       Kontakte zum Tanz gepflegt. Trotzdem kommt kein befriedigendes Konzept für
       den Tanz zustande. Ist das Interesse der Politik am Tanz geheuchelt? 
       
       Was fehlt, ist eine mutige Entscheidung in eine neue Richtung. Aus meiner
       Sicht gibt es genug potente Schauspielhäuser und Opernhäuser in Berlin. Es
       ist absehbar, dass zwei dieser Häuser in den nächsten zwei, drei Jahren
       frei werden, weil die Verträge der Intendanten auslaufen, die Volksbühne
       und das Berliner Ensemble. Da könnte man ja mal ein Haus dem Tanz geben.
       
       Wo gibt es denn Vorbilder? 
       
       Andere Großstädte wie Paris oder London haben Häuser, die nur dem Tanz
       gewidmet sind.
       
       Ist es nur für Tanzszene wichtig, dass mehr für den Tanz getan wird oder
       profitiert die Kultur insgesamt davon? 
       
       Wenn man sich New York oder London ansieht, kann man feststellen, dass der
       interessantere Tanz an der Tate Modern oder im Moma läuft – dort wurde
       erkannt, dass der zeitgenössische Tanz auch auf ein Bedürfnis der Bildenden
       Kunst trifft, sich vom Objekt zu lösen und die lebende Skulptur ins Museum
       zu holen. Da ist etwas entstanden, was im Tanz lange vorbereitet wurde.
       
       16 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Bettina Müller
       
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