URI: 
       # taz.de -- Wie Deutschtürken wählen: Von Stammparteien enttäuscht
       
       > Etliche türkischstämmige Deutsche könnten bei den Bundestagswahlen nicht
       > mehr die SPD wählen. Sondern die Union - dank Sarrazin.
       
   IMG Bild: Sarrazin und die Beschneidungsdebatte treiben die Deutschtürken weg von SPD und Grünen hin zur CDU.
       
       BERLIN/KÖLN taz | Die unklare Haltung der SPD zu Thilo Sarrazin und seinen
       kruden Thesen rächt sich bei den kommenden Bundestagswahlen. Nach einer
       Umfrage des Dortmunder Forschungsinstituts „futureorg“ kommt die SPD bei
       den traditionell sozialdemokratisch wählenden Deutschtürken nur noch auf
       42,9 Prozent – nach 50,2 Prozent bei den Bundestagswahlen im Jahr 2009. Die
       CDU legt dagegen von 11,4 Prozent vor vier Jahren auf jetzt 20,3 Prozent
       zu.
       
       Viele Deutschtürken seien von ihren Stammparteien enttäuscht, sagte
       Studienleiter Kamuran Sezer. „Bei der SPD führen wir das in erster Linie
       auf die Person Thilo Sarrazin und die damit verbundene Debatte zurück“,
       sagte er. Aber auch die Grünen verlieren rund zehn Prozentpunkte und kommen
       nur noch auf 21,6 Prozent.
       
       Die Wähler seien enttäuscht von türkischstämmigen Abgeordneten beider
       Parteien, zum Beispiel durch deren Auftreten in der Beschneidungsdebatte.
       Den Aufschwung der CDU erklärt Sezer mit ihrer „vorsichtigen Öffnung“ hin
       zur türkischen Community. Die Partei sei auch die erste gewesen, die eine
       türkischstämmige Ministerin berufen habe, die ehemalige niedersächsische
       Sozialministerin Aygül Özkan.
       
       An den Verlusten der Grünen zeigt sich indes auch die tiefe Spaltung unter
       den türkischstämmigen Wählern. Die Gezi-Park-Bewegung in der Türkei hat
       auch sie polarisiert. Einige Deutschtürken sehen mit Skepsis, wie sich die
       Grünen zu den Protesten verhalten haben, sagte Sezer. Der Auftritt der
       grünen Parteichefin Claudia Roth in Istanbul, die bei ihrem
       Solidaritätsbesuch mitten in die Räumung des Gezi-Parks geriet, wird ihr
       von Traditionalisten schwer übel genommen.
       
       Die Repräsentativität der Studie ist umstritten. Teilgenommen haben nur 570
       Internet-Nutzer, die sich auf der Plattform Endax registriert haben. Sezer
       räumt ein, dass „fast keine kurdischstämmigen Deutschen“ daran teilgenommen
       haben. Das erkläre zum Teil das schlechte Abschneiden der Linkspartei.
       
       ## Migranten mit konservativem Weltbild
       
       Auf bislang wenig Resonanz stößt die erste mehrheitlich von Migranten
       gegründete Partei, die zur Bundestagswahl antritt: das „Bündnis für
       Innovation und Gerechtigkeit“ (BIG). 6,9 Prozent der türkischstämmigen
       Wähler würden sie wählen. Hier sammeln sich Migranten mit konservativem und
       wirtschaftsliberalem Weltbild. Kritiker bezeichnen die Partei als Ableger
       der islamistischen AKP, der Partei des türkischen Ministerpräsidenten Recep
       Tayyip Erdogan.
       
       Das weist der BIG-Bundesvorsitzende Haluk Yildiz zurück: „Wir sind die
       einzige Partei, die sich nicht zum Geschehen in der Türkei geäußert hat.“
       Allerdings gehört Yildiz zu den Unterzeichnern eines Aufrufs, in dem es
       heißt, der türkische Staat müsse „um der Staatsräson willen mit der
       gebotenen Härte gegen die Krawallmacher durchgreifen“.
       
       Die Ereignisse in der Türkei könnten der Kleinpartei einen Schub geben –
       auch wenn sie nur in NRW, Baden-Württemberg und Berlin mit Landeslisten
       kandidiert. „Die Berichterstattung in Deutschland gibt die Geschehnisse in
       der Türkei nicht richtig wieder“, sagt Yildiz. Viele Migranten würden sich
       von den etablierten deutschen Parteien abwenden, weil deren
       Spitzenpolitiker die harte Gangart der türkischen Regierung gegenüber der
       Demokratiebewegung ablehnen, glaubt er. „Diese Wähler werden sich bei den
       Bundestagswahlen für eine andere Partei entscheiden, das kann uns nützen.“
       
       Die BIG-Partei hat sich kurz vor den letzten Landtagswahlen in NRW
       gegründet und in Bonn ihr Zentrum. Dort sitzen auch zwei ihrer Mitglieder
       im Stadtrat, darunter mit Hülya Dogan die erste Kopftuch tragende
       Parlamentarierin Deutschlands. In Berlin hat sich BIG durch eine
       schwulenfeindliche Aktion gegen die Schulpolitik des Senats bekannt
       gemacht. Sie lief Sturm gegen ein Projekt zum Abbau von Ressentiments gegen
       Homosexuelle.
       
       Yildiz‘ Ziel ist, bei den Bundestagswahlen unter die ersten zehn Parteien
       zu kommen. Allerdings hat sie das Problem, dass sie nicht nur von der
       deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Nach den Erkenntnissen der
       Meinungsforscher von „futureorg“ erreicht die BIG-Partei auch in der
       türkischen Community viele nicht.
       
       17 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR D. Schnur
   DIR A. Krüger
   DIR P. Beucker
       
       ## TAGS
       
   DIR Deutschtürken
   DIR Thilo Sarrazin
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR CDU
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Menschen
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Wahlkampf
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR FDP
   DIR CSU
   DIR Google
   DIR Flüchtlinge
   DIR Franz Müntefering
   DIR Frank-Walter Steinmeier
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR SPD und Migranten: Sarrazins schweres Erbe
       
       Doppelpass-Versprechen und neues Personal: Die SPD will das Vertrauen von
       Bürgern mit Migrationshintergrund wiedergewinnen.
       
   DIR Kandidaten mit Migrationshintergrund: Eine von 99
       
       Cansel Kiziltepe kämpft in Berlin um ein Direktmandat. Nur drei Prozent
       aller Direktkandidaten haben bundesweit einen Migrationshintergrund.
       
   DIR Wahlkampf der CDU: Redet bloß nicht wie sie!
       
       Merkels Reden schläfern ein, sie meidet klare Aussagen. Die CDU rät ihren
       Wahlkämpfern in einem internen Papier lieber zur bildhaften Sprache.
       
   DIR Kandidatencheck zum Selberklicken: Zeig mir, wo du stehst
       
       Energiewende, Steuerpolitik, Whistleblower. Welche Meinungen vertreten die
       Direktkandidaten zu den wichtigen Themen der Wahl?
       
   DIR Kommentar Koalitionsoptionen: Mehr Farbenspiele wagen
       
       Der Drops scheint gelutscht: Angela Merkel bleibt nach der Wahl Kanzlerin.
       Doch da ginge noch was, wenn sich die Parteien nicht gegenseitig
       blockierten.
       
   DIR SPD ist wieder mitgliederstärkste Partei: 3.000 Genossen Vorsprung
       
       Die Volksparteien verzeichnen weiterhin einen deutlichen Mitgliederschwund.
       In der Wählergunst liegen Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün gleichauf.
       
   DIR SPD-Wahlkampf in Bayern: CSU geht gedopt ins Rennen
       
       Ist ein gedopter Gegner zu besiegen? SPD-Spitzenkandidat Christian Ude
       tritt in Bayern gegen eine auch finanziell übermächtige CSU an.
       
   DIR Googles digitaler Wahltreffpunkt: Steinbrück verzweifelt gesucht
       
       Nach wem wird häufiger im Netz gesucht? Welche Politikthemen beschäftigen
       die Nutzer besonders? Das soll eine neue Webseite von Google zur Wahl
       zeigen.
       
   DIR Innensenator über Flüchtlinge: „Hamburg wäre überfordert“
       
       Von SPD-Innensenator Michael Neumann fordern Flüchtlinge in Hamburg ein
       Bleiberecht. Er sagt, er könne nicht gegen das Gesetz handeln.
       
   DIR Müntefering kritisiert SPD-Wahlkampf: „Mir standen die Haare zu Berge“
       
       Franz Müntefering hält den Wahlkampfauftakt seiner Partei für misslungen.
       Peer Steinbrück weist derweil Gerüchte über mögliche Koalitionen zurück.
       
   DIR SPD im Wahlkampf: Der talentierte Herr Steinmeier
       
       Auf Wahlkreistour will der SPD-Fraktionschef Bürgernähe zeigen. Die
       Berliner Geschehnisse holen ihn aber auch in Brandenburg ein.