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       # taz.de -- Massaker an Bergarbeitern in Südafrika: Von Aufarbeitung keine Spur
       
       > Vor einem Jahr erschoss die Polizei in Marikana 34 streikende Kumpel. Die
       > Arbeit einer Kommission kommt wegen knapper Finanzen nicht voran.
       
   IMG Bild: Beerdigung eines der getöteten Minenarbeiter am 1. September 2012 in Sasolburg.
       
       MARIKANA taz | Die weißen Holzkreuze liegen am Fuße des Berges auf dem
       Boden. Sie stehen nicht mehr aufrecht nahe der Armensiedlung Nkaneng, als
       Mahnmal für die 34 Menschen, die dort vor genau einem Jahr von
       Polizeikugeln getötet wurden.
       
       Aber sie erinnern an den tragischen 16. August 2012, der das düsterste
       Kapitel in der südafrikanischen Post-Apartheid-Geschichte besiegelte:
       Protestierende, mit Macheten und Stöcken bewaffnete Kumpels werden von der
       Polizei erschossen. Sie ließen ihr Leben für mehr Lohn. Das Massaker in der
       Gemeinde Marikana hat tiefe seelische Wunden hinterlassen.
       
       Thembi Mathumbu blickt von ihrer einfachen Hütte auf den Berg, nur wenige
       Meter entfernt. „Als ich damals Schüsse hörte, habe ich mich unter dem Bett
       versteckt“, sagt die 63-Jährige. Sie lebt allein und vermietet kleine
       Baracken in ihrem Hinterhof an Bergarbeiter. „Unsere Männer wollten nicht
       sterben. Doch die Polizei hatte bessere Waffen.“ Mathumbu sagt, die Manager
       des Platinunternehmens seien schuld: Sie wollten nicht mit den
       Minenarbeitern verhandeln.
       
       Die Schlote des Platinbergwerks der Firma Lonmin stoßen dunkle Rauchwolken
       in den blauen Winterhimmel. Polizeiwagen stehen in Bereitschaft auf
       steinigen Schotterwegen. Der Wind wirbelt Dreck über die Hüttenlandschaft.
       Nichts hat sich in der armen Gemeinde verändert seit dem Massaker. Sogar
       das Blutvergießen geht weiter. In dieser Woche wurde eine Gewerkschaftlerin
       der National Union of Mineworkers (NUM) auf dem Weg zum Schacht erschossen.
       
       Zwischen den rivalisierenden Arbeitervertretungen in Marikana herrscht
       Krieg, zwölf Menschen sind seit vergangenen August umgebracht worden – die
       meisten davon prominente Gewerkschaftsmitglieder. Die mit der
       regierungstreuen NUM rivalisierende Association of Mineworkers and
       Construction Union (AMCU) hat für den heutigen Tag zum Gedenken an die
       Toten von Marikana eingeladen. Auch die NUM soll kommen. Aber die tiefen
       Gräben zwischen den Organisationen sind nur schwer zu überwinden. Lonmin
       hat AMCU inzwischen als Verhandlungspartner akzeptiert, zum großen Ärger
       der größeren NUM.
       
       ## Große Angst und kein Vertrauen
       
       Lonmin akzeptierte letztes Jahr die Lohnforderungen der AMCU teilweise,
       gestreikt wird nicht mehr. Aber: „Wir haben noch nicht das Geld erhalten,
       das sie uns letztes Jahr versprochen haben“, sagt Paulos Matshiba. Wie
       viele der Bergleute stammt er aus dem Nachbarland Lesotho. Er arbeitet seit
       rund einem Jahr bei Lonmin. Der 55-jährige Bergmann war dabei, als seine
       Kollegen starben, doch er konnte sich retten. „Ich rannte um mein Leben“,
       sagt er. Die Erinnerungen sind schmerzvoll. „Ich muss meine Familie
       ernähren“, sagt er. „Die ganzen Morde hier machen uns Angst. Ich kann
       niemandem vertrauen.“
       
       Südafrikas Präsident Jacob Zuma setzte nach dem Massaker eine
       Untersuchungskommission ein, um das Vorgehen der Polizei zu durchleuchten.
       Unter Vorsitz des Richters Ian Farlam schleppte sich die Kommission durch
       das Jahr. In 114 Sitzungen wurden Zeugen verhört. Doch die Finanzen wurden
       knapp und verzögerten die Anhörungen.
       
       Es fehlt an Geld für die Anwälte der Hinterbliebenen. Nun soll die
       Regierung zahlen, aber Anwälte in der Kommission streiten sich vor Gericht
       über die Finanzierung ihrer Arbeit. Die Kommission steckt ständig in
       Verhandlungen, um diese Probleme zu lösen. Die Polizei, die ihre tödlichen
       Schüsse als Notwehr bezeichnet, hat bisher keine Konsequenzen gezogen,
       keine Verantwortung übernommen.
       
       „Die Situation in Marikana bleibt angespannt“, sagte jetzt
       Polizeikommissarin Ria Phiyega. „Menschen werden bei Tageslicht in Marikana
       erschossen. Es gibt sicher Zeugen, aber niemand will etwas sagen.“
       
       Es hat ein Jahr gedauert, bis die Polizei eine Friedensinitiative für die
       Toten in Marikana ins Leben rief – nur zwei Tage vor dem Jahrestag.
       Unternehmensbosse, Gewerkschaftsvertreter und Gemeindeführer verpflichteten
       sich zu einem gemeinsamen „Forum gegen Gewalt“. Aber Südafrikas
       Polizeiminister Nathi Mthethwa konnte zur Unterzeichnung nicht kommen: Er
       hatte wichtige Kabinettsangelegenheiten zu erledigen.
       
       16 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martina Schwikowski
       
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