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       # taz.de -- Tainer in Paraguay über Länderspiel: „Die Stasi war immer in der Nähe“
       
       > Vor dem Länderspiel der DFB-Auswahl gegen Paraguay spricht der Exprofi
       > Jürgen Pahl über Exzesse im Fußballbusiness, Uli Hoeneß und die WM 2014.
       
   IMG Bild: Jubelnder Torwart bei der Frankfurter Eintracht: Jürgen Pahl (l.), Mitte Mai 1984
       
       taz: Herr Pahl, Sie leben seit 15 Jahren in Paraguay und haben dort unter
       anderem als Fußballtrainer gearbeitet? 
       
       Jürgen Pahl: Ja, es war eine sehr erfolgreiche Zeit für mich. Mit meiner
       Mannschaft Deportivo Independencia gelang mir in der Liga, von der Klasse
       her vergleichbar mit der deutschen Oberliga, einmal eine Serie von 58 nicht
       verlorenen Spielen.
       
       Wie schätzen Sie die Entwicklung des Fußballs in Paraguay ein? 
       
       Es gibt einen Rückschlag durch das Ausscheiden in der WM-Qualifikation.
       Aber das nimmt man hier gelassen. Die Jugendförderung läuft auf recht
       niedrigem Niveau, außer bei einigen Erstligavereinen, die sehr
       professionell arbeiten. Deshalb war es auch eine große Leistung der
       Albirroja, dass sie sich von 1998 bis 2010 für jede WM qualifiziert hatte.
       Paraguay ist ein Land mit fünf Millionen Einwohnern und einer relativ
       bescheidenen Fußball-Infrastruktur ohne Leistungszentren. Und dann mussten
       die Spieler neben Meisterschaft und Pokal 22 Qualifikationsspiele in der
       Südamerika-Gruppe mit allen Topteams bestreiten. Das ist schon
       anstrengender als das Pensum der DFB-Auswahl gegen teilweise zweitklassige
       Mannschaften.
       
       Vor der WM 2006 schrieben Sie in einem taz-Sonderheft, dass die Fußballer
       in Paraguay nicht so verdorben seien, weil es einfach weniger zu verdienen
       gibt. Gilt das noch? 
       
       Oh ja. Man kann halt nicht so große Sprünge machen, wenn man nicht so viel
       verdient. In der Zweiten Liga bekommt ein Spieler umgerechnet vielleicht
       250 Euro im Monat und bei Erstligavereinen 300 bis 2.000 Euro. Bei solchen
       Summen bekommt niemand einen Spleen und verliert die Relationen.
       
       Ihr Artikel sorgte seinerzeit für große Resonanz, weil Sie nicht nur die
       Verdorbenheit der Profifußballbranche kritisierten, sondern die
       profitorientierte westliche Gesellschaft als Ganzes. Wie sehen Sie das
       heute? 
       
       Die Auswüchse sind eher noch schlimmer geworden: 50 Millionen und mehr für
       einen Fußballer. Wofür eigentlich?! Jeder, der einigermaßen normal denkt,
       kann darüber nur den Kopf schütteln. Es ist aber der Zeitgeist, und der ist
       nicht immer gesund. Das gilt auch für andere Bereiche. Seit 2006 ist doch
       alles verrückter geworden, Finanzkrise, Eurokrise. Es scheint ja nur noch
       Krisen zu geben. Wir leben in einer Zeit der absoluten Übertreibungen. Und
       die Verlogenheit in der Gesellschaft ist ja nicht geringer geworden, wenn
       man sieht, wie die ehrlichen Steuerzahler für die Gier und das bewusste
       Missmanagement der Banken bluten müssen. Die Reichen müssen ihre Mauern
       immer höher bauen – was für ein trauriges Leben.
       
       Das Leben von Uli Hoeneß erscheint momentan auch sehr traurig. 
       
       Ja, habe ich auch gelesen. Die Frage ist doch, wozu braucht man noch ein
       heimliches Vermögen, wenn man schon ein riesiges offizielles Vermögen hat.
       Ich hätte ihn klüger eingeschätzt. Er hat ja auch vielen ehemaligen
       Sportlern geholfen, auch meinem Freund Norbert Nachtweih, der vor seinem
       Wechsel von Frankfurt zu den Bayern finanziell ruiniert wurde. Andererseits
       schreien jetzt viele auf, die selbst im Glashaus sitzen und diese Zockerei
       betreiben, die die Gesellschaft in den Abgrund führt.
       
       Nachdem Sie 1976 mit Norbert Nachtweih aus der DDR geflohen waren, konnten
       Sie bei Eintracht Frankfurt Karriere machen. Waren Sie damals schon so
       kritisch gegenüber dem Kapitalismus eingestellt? 
       
       Im Gegenteil, ich war ein echter Anhänger des Systems, ein Fan von Helmut
       Kohl und überzeugter CDU-Wähler. Als gut verdienender Profi habe ich
       ordentlich gefeiert und im Monopoly mitgemacht, bis ich das erste Mal
       richtig auf die Nase fiel. Ich hatte gemeinsam mit anderen
       Eintracht-Spielern viel Geld in ein Bauherrenmodell gesteckt. Wir sind mit
       sehr unlauteren Mitteln vorsätzlich geschädigt worden, was einige fast oder
       ganz ruiniert hat.
       
       Gab es zwischen den aus der DDR geflohenen Fußballern in der Bundesliga
       eine Verbindung? 
       
       Norbert und ich waren die ersten, die den Sprung gewagt hatten. Wir halfen
       auch einigen nach uns Geflohenen und führten sie bei der Eintracht ein. Zu
       Jörg Berger hatten wir ein besonderes Verhältnis. Wir hatten ihn aus dem
       Flüchtlingslager in Gießen abgeholt, und er machte mit uns seine ersten
       Schritte bei der Eintracht. Wir Ossis haben uns insofern als sehr dankbar
       erwiesen, als wir für den Verein sehr profitabel wurden. Norbert und ich
       haben nach unserer Ankunft gleich dazu beigetragen, den Uefa-Cup und den
       DFB-Pokal zu gewinnen. Und Norbert ist dann ja noch für 900.000 Mark an die
       Bayern verkauft worden. Die Investition in uns beide hatte sich für die
       Eintracht auf 60.000 Mark belaufen.
       
       Hatten Sie eigentlich Angst, dass die Stasi Sie aufs Korn nehmen könnte? 
       
       Die Stasi war immer in meiner Nähe, sogar in unserem Lokal in Frankfurt, wo
       wir Spieler uns immer trafen. Das weiß ich aus meiner Stasiakte. Mir sind
       auch Dinge widerfahren, bei denen ich letztlich Glück hatte. Aber das ist
       ein sehr langes Thema.
       
       2014 findet in Brasilien die WM statt. Werden Sie vor Ort sein? 
       
       Obwohl ich mich in Brasilien gut auskenne und mein ältester Sohn dort
       geboren ist, werde ich die WM vorm Fernseher verfolgen. Das Turnier wird
       für skrupellose Geschäftemacherei genutzt, und die zu erwartenden Unruhen
       tun ihr Übriges. Es wird sicher wieder ein Riesenaufgebot der Polizei
       geben, um sie zu stoppen. Ich kümmere mich lieber um meine kleine
       Fußballschule, die ich gerade auf größere Beine stellen will, um auch
       international aktiv zu werden.
       
       Machen Sie die jungen Fußballer damit nicht letztlich fit für das von Ihnen
       so kritisierte Profileben? 
       
       In meiner Fußball-Akademie mache ich die jungen Menschen fit fürs Leben und
       entwickele natürlich ihr fußballerisches Können. Mit Fleiß und Willen kann
       man sehr viel erreichen. Wenn es mal einer in den Profibereich schaffen
       sollte, wird er sicher nicht abheben. Denn eines werde ich meinen
       Fußballjungs immer vermitteln: Vergiss nie, woher du kommst!
       
       14 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gunnar Leue
       
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