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       # taz.de -- Sommerserie „Geschmackssache“: Ein Leben mit den Bienen
       
       > „Fleißige Tiere!“ Erika Moritz schwärmt von den Bienen. Auch wenn
       > Monokultur und Chemie sie stressen, hat jeder Honig seine eigene Note
       
   IMG Bild: Sie studiert das Bienenleben und verkauft Honig in Potsdam, er bleibt lieber auf dem Dorf und arbeitet am Bienenstock: Erika und Siegfried Moritz
       
       GRABOW taz | „Guck mal, ne Biene!“ Erika Moritz kann ihre Überraschung
       nicht verbergen. Eine ihrer Bienen hat sich doch herausgetraut aus dem
       Stock, krabbelt über den Buchweizen, inspiziert jede Blüte und lässt sich
       von der Frau nicht stören, die mit ihrem Finger über das Insekt streicht.
       Die Imkerin hockt am Feldrain, prüft mit der Hand sanft den Buchweizen, der
       wirkt wie ein Verdurstender in der Wüste. Halb kann er sich noch aufrecht
       halten, halb ist er schon hingesunken. Diese Hitze! Winzig sind die weißen
       Blüten und schon fast wieder vertrocknet. Buchweizen ist eine fette
       Bienenweide. Wenn genug Wasser vom Himmel fällt.
       
       „Ach, det is doch nüscht!“ Siegfried Moritz mag gar nicht hinschauen. Die
       Euphorie seiner Frau will er nicht teilen. Hier eine Biene, irgendwo noch
       eine. Buchweizenhonig gibt das noch lange nicht. Furztrocken ist der Acker.
       Ja, wenn es 20 bis 25 Millimeter, also mindestens zwei Wassereimer voll auf
       den Quadratmeter regnen würde, „dann kann man zugucken, wie’s wächst“,
       verheißt Imker Moritz.
       
       Aber heute? Siegfried Moritz blinzelt in den Himmel, die staubtrockene
       Brise bringt nicht einen Tropfen. Und so schleppt Moritz aus seinem
       Transporter zwei Kannen Wasser, die er in eine Wanne am Waldrand kippt. Im
       Wasser schwimmt ein Stück Styropor wie ein Floß, darauf hocken Bienen. Auch
       Bienen haben Durst. Die Tränke ist auch ein Indikator dafür, ob die Bienen
       Nektar finden, ergänzt Erika Moritz. Hocken die Bienen nur am Wasser,
       sieht’s mit Nektar mau aus.
       
       „Schwülwarmes Wetter mögen sie nicht“, sagt Siegfried Moritz und verzieht
       sich in das Innere des Bienenwagens. Imker, so scheint es, sind
       Eigenbrötler, sie tragen bei der Arbeit stichfeste weiße Jacken, helle Hüte
       mit Gaze vorm Gesicht, wirken ein bisschen wie Außerirdische und sind mit
       sich und den Bienen allein.
       
       ## Trugbild Biene Maja
       
       Imker finden kaum noch Kollegen zum Plausch, in vielen Dörfern gibt es
       keinen einzigen mehr. Und wer kann denn noch eine Biene von einer Wespe
       unterscheiden? Siegfried Moritz kann sich darüber richtig aufregen. Schon
       Kinder werden mit der Biene Maja groß – und mit dem Trugbild, dass Bienen
       schwarz-gelbe Körper hätten.
       
       „Ja, Bienen stechen schon mal. Ich hab da kein Problem mit.“ Siegfried
       Moritz winkt ab. 24 Völker wohnen im Bienenwagen in 24 Beuten,
       geschlossenen Holzkästen mit schmalen Fluglöchern. 24 Königinnen legen
       drinnen unentwegt Eier und halten so den Bienenstaat am Leben.
       
       Erika Moritz könnte stundenlang über die „fleißigen und nützlichen Tiere“
       sinnieren. Aus den Eiern werden Larven, aus den Larven Puppen, aus den
       Puppen schlüpfen nach 21 Tagen Bienen. Sie arbeiten erst im „Innendienst“,
       sind Reinigungsbienen, Ammen, Wächterinnen und halten das Innere des
       Bienenstocks bei 35 Grad.
       
       Erst nach 17 Tagen beginnen sie den Trachtflug, das Honigsammeln. Je länger
       Erika Moritz redet, eine kleine Frau mit Schüttelfrisur, umso mehr leuchten
       ihre Augen. Ein perfekt organisierter Haushalt mit über 50.000
       Mitbewohnern.
       
       ## Die seltsamen Drohnen
       
       Als sie von den Drohnen zu erzählen beginnt, zieht ihr Mann die Stirn
       kraus. Die männlichen Bienen sind seltsame Existenzen, schlüpfen aus
       unbefruchteten Eiern, können nicht stechen, keinen Honig sammeln, krabbeln
       nutzlos herum, bis sie von den weiblichen Bienen, die sie gefüttert haben,
       aus dem Stock geworfen werden, wo sie elendig verhungern. Macht sich aber
       eine junge Königin zum Hochzeitsflug auf, schwirren die Drohnen hinterher.
       Doch maximal 20 von ihnen können sich vermählen. Die Königin fliegt mit
       einer prächtig gefüllten Samenblase heim. Und die Bienenmänner? Haben sich
       verausgabt und stürzen tot vom Himmel.
       
       Drohnen aus unbefruchteten Eiern? Siegfried Moritz guckt zweifelnd. Er
       macht keinen Hehl daraus, dass ihm seine Frau für eine Imkerin ein bisschen
       zu viel redet. Siegfried Moritz treibt zur Eile, startet den roten
       Transporter und zieht mit einer mächtigen Staubfahne davon. „Iss deutschen
       Honig!“, fordert ein Aufkleber an der Seite.
       
       Die sechzehn Völker hinterm Dorf Haseloff haben es besser getroffen. Hier
       wirtschaftet ein Biobauer, die Weide ist vielfältiger, fast wirkt sie wie
       eine Heidelandschaft. Dieser Bauer ist die Ausnahme. Imkerei und
       Landwirtschaft sind zwei Dinge, die nicht mehr recht zusammenpassen. Erika
       und Siegfried Moritz inspizieren kurz die Bienenstöcke, lehnen sich auf die
       Kästen mit sorgenvollen Gesichtern. Verglichen mit den massigen, dröhnenden
       Mähdreschern, die jetzt über die Getreidefelder hetzen, wirkt ihr
       Bienenwagen wie eine Postkutsche aus Fontanes Zeiten.
       
       Das Machtverhältnis ist eindeutig. Die großen Agrarbetriebe bestimmen, was
       wächst – und wie etwas wächst. Und was heute wächst! Hybridraps, der kaum
       noch Nektar hat. Die Bienen verhungern auf den Rapsblüten. Und die Chemie
       erst. Erika Moritz findet kein Ende, als sie aufzählt, wann die Landwirte
       die chemische Keule schwingen. Die Betriebe sprühen gegen Unkraut, gegen
       Pilze, sie sprühen, damit die Getreidehalme kurz bleiben, sie sprühen,
       damit die Halme stabil bleiben, und sie sprühen vor der Ernte, damit das
       Getreide gleichmäßig abreift.
       
       ## Glyphosat, ein wahrer Totschläger
       
       Und sie sprühen „Roundup“, einen Unkrautvernichter, der alles erledigt, was
       wächst. Viele dieser Mittel enthalten Glyphosat, einen wahren Totschläger,
       nach dem konventionelle Bauern inzwischen so süchtig sind wie Säufer nach
       Schnaps.
       
       Und die Bienen? Es wäre ihnen schon geholfen, wenn die Mittel nur zu
       Tageszeiten versprüht würde, zu denen Bienen nicht aktiv sind. Aber wer von
       den Lohnarbeitern in den klimatisierten Maschinen weiß noch etwas von den
       Bienen? Und wie soll sich so ein winziges Wesen gegen die Erfindungen von
       Monsanto und Bayer wehren?
       
       Es ist der permanente Stress, es sind die Monokulturen, es ist der ganze
       chemische Cocktail, der den Bienen zusetzt. Als ihre Bienen verreckten,
       weil ein Bauer am Feldrain Roundup gespritzt hatte, fiel dem Imkerpaar
       Moritz sogar ein Bieneninstitut in den Rücken. Das könne nicht sein,
       schließlich sei das Mittel zugelassen. Die Experten folgerten, die beiden
       könnten einfach nicht sachgerecht mit der Varroa-Milbe umgehen. Manchmal
       bekommt auch Erika Moritz einen dicken Hals.
       
       ## Sündenbock Varroa-Milbe
       
       Die Varroa-Milbe, aus Asien eingewandert, saugt Bienenlarven aus und ist
       ein bequemer Sündenbock. Solange sie sich ausbreitet, können Chemiekonzerne
       beim Thema Bienensterben auf die Milbe verweisen. Dass die Varroa leichtes
       Spiel hat bei den durch Chemikalien geschwächten Völkern, wird oft
       unterschlagen.
       
       „Wir haben keine politische und wirtschaftliche Unterstützung“, wirft Erika
       Moritz ein. Und selbst der Deutsche Imkerbund kann sich kaum aufraffen,
       politische Forderungen zu stellen, schimpft Siegfried Moritz. „Es sähe
       anders aus, wenn fünf oder sechs Imker im Bundestag säßen“, poltert
       Siegfried Moritz.
       
       Die Imkerei ist trotzdem eine schönes Gewerbe. Die Familie betreibt es seit
       1948, Erika und Siegfried Moritz sind 1984 eingestiegen, lange waren sie
       Imker im Nebenerwerb. Als beide ihre Arbeit verloren, meldeten sie 2007 die
       Imkerei als Gewerbe an.
       
       Schnell hat sich Siegfried Moritz in die Imkerkluft geworfen. „Hier,
       Stockmeißel und Hebezange. Das sind meine Hauptwerkzeuge.“ Moritz legt das
       Dach einer Beute beiseite und zieht mit der Zange behutsam einen Rahmen
       heraus. Der ist schwarz vor Bienen. Die Tiere krabbeln geschäftig über die
       Waben. „Hier, eine Drohne.“ Moritz weist auf ein gedrungenes, dickes Tier.
       Die werden sehr bald sterben, unkt Moritz und sucht weiter Rahmen für
       Rahmen ab.
       
       ## Königin mit einem Krönchen
       
       „Hier, die Königin!“ Eine große, auffallend lange Biene entzieht sich
       wieder und wieder den Blicken. Auf ihrem Rücken trägt sie einen roten
       Klecks, wie ein Krönchen. Fast kehrt ein bisschen Andacht ein, doch schnell
       steckt Moritz den Rahmen zurück. Die Königin möchte nicht gestört werden,
       etwa 2.000 Eier legt sie am Tag.
       
       In einer engen Küche hinten auf dem Vierseithof der Moritz in Grabow, einem
       120-Einwohner-Dorf, schaltet Erika Moritz die Schleuder an. Zuvor hat sie
       die wächsernen Deckel der Waben entfernt und die Rahmen, schwer vom Honig,
       in die Zentrifuge gehängt. Die beginnt zu surren, und der Honig gehorcht
       allmählich der Fliehkraft. Nach einer Weile fließt er in den Eimer, klar
       und zäh wie flüssiges Gold.
       
       Als Siegfried Moritz den Probierlöffel reicht, füllt der Stolz des
       Imkerpaars den gekachelten Raum ganz aus. Kornblume, Linde, Robinie, Heide,
       Edelkastanie – jeder Honig und jeder Jahrgang hat seine eigene Note. Es ist
       wie beim Wein.
       
       ## Der Buchweizen steht doppelt so hoch
       
       Die Moritz verkaufen ihren Honig seit 2007 auf Wochenmärkten in Potsdam.
       Etwa 80 Völker haben die beiden. Im September geht das Bienenjahr zu Ende.
       Die Königin hört allmählich auf, Eier zu legen. Als Ersatz für den Honig,
       den sie den Bienen genommen haben, füttern die Imker Zuckerlösung.
       
       Vorher werden die Moritz noch zwanzig Völker in die Ruppiner Heide bringen.
       Der fast geleeartige Heidehonig ist beliebt, erzählt Erika Moritz. So wie
       der malzige Buchweizenhonig. Den wird es auch wieder geben, berichtet sie
       bald darauf am Telefon. Ein Landregen sei gekommen, 50 Millimeter. Der
       Buchweizen stehe jetzt blütenweiß und doppelt so hoch. Den Rest besorgen
       wie seit Millionen von Jahren die Bienen.
       
       16 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Gerlach
       
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