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       # taz.de -- Kolumne "Anderes Temperament": Man liegt ja am selben Strand
       
       > Vielleicht ist auch der einzige Weg, diesen Sommerhype zu ertragen:
       > Einfach mitmachen! So tun, als ob man Tourist sei.
       
   IMG Bild: Heutzutage kann man überall alles grillen: Etwa ein Lamm.
       
       Einst als Touristin in Kairo beobachtete ich ein bizarres Spektakel: Sobald
       die Sonne unterging, liefen zahlreiche Familien über die sechsspurige
       Ausfallstraße auf den dazwischen liegenden schmalen Grünstreifen, breiteten
       Decken aus und Essen. Sie verbrachten dort einen netten Grillabend, während
       sie Autos, Lastwagen und Bussen beim Vorbeifahren zuguckten.
       
       Vor ein paar Tagen musste ich an dieses konstruierte Landidyll denken. Ich
       saß auf einer Bank im Wrangelkiez, deren Standort ich jetzt nicht näher
       nenne, auch wenn die Ballermannhorden von der Schlesischen Straße keine taz
       lesen, aber man kann ja nie wissen. Ein Pärchen, das so nachlässig
       gekleidet war, als würde es auf dem eigenen Balkon sitzen, warf vor dieser
       Bank einen Grill an. Die Bank steht, so viel sei verraten, an einer Straße,
       die zwar nicht sechsspurig ist, aber dennoch Fahrräder, Autos und Lastwagen
       befördert.
       
       Das Pärchen zündete außerdem noch Kerzen an, obwohl die Bank von zwei
       Straßenlaternen umgeben ist. Und unterhielt sich in dieser beklemmenden
       Pärchenurlaubsreduziertheit, als würden um sie herum die Grillen auf den
       Pinien zirpen und das Meer seine Wellen schlagen: „Das wird lecker.“ „Das
       war lecker.“ „Gut, dass wir nicht noch mehr eingekauft haben.“ „Schon schön
       hier, Schatz, oder?“ „Jetzt noch ein Bier.“
       
       Plötzlich fragte der Mann uns, die wir bislang die aufdringliche Intimität
       der beiden mit möglichst viel Aufwand zu ignorieren versucht hatten, ob er
       was vom Späti mitbringen soll. Das war jetzt echt zu viel:
       Touristengekumpel, nur weil man am selben Strand liegt und Deutsch spricht?
       „Nein, danke!“
       
       Aber war es nicht eigentlich ziemlich nett von ihm? Und ist am Ende dieser
       urbane Grünstreifentourismus nicht doch sozial verträglicher als das, was
       wir früher gemacht haben: in südfranzösische Provinzdörfer einfallen, wild
       zelten und grillen, Kerzen in die Felder stopfen, auf die gerade junge
       Weinreben gepflanzt worden waren, „Das wird lecker“, „Das war lecker“ und
       „Jetzt noch ein Bier“ sagen und von einem freundlichen Bauern einen halben
       Liter Wein erschnorren?
       
       Als der Mann vom Späti wiederkommt, packt die Frau zusammen, und sie
       verabschieden sich mit den Worten „Görlitzer x! (Hausnummer geändert) Wenn
       ihr mal Lust habt, kommt vor- bei! Aber wir haben keinen Balkon.“
       
       Dit is Berlin. Noch in den 90ern traf man hier morgens beim Bäcker Menschen
       in Jogginghosen, die keinen Gedanken daran verschwendeten, sich nach dem
       Aufstehen umzuziehen, wenn sie auf die Straße gingen. Heute trifft man
       Menschen in Jogginghosen, die Stunden vor dem Spiegel stehen, um so zu
       wirken, als hätten sie nur mal schnell das Auto vor der Tür umparken wollen
       und dabei zufällig zig Bekannte getroffen und deswegen den ganzen Tag in
       Cafés verbracht.
       
       Und mittlerweile trifft man eben Nachbarn, die ziemlich viel
       Inszenierungsmühe darauf verwenden, so zu wirken, als seien sie Touristen.
       
       Aber vielleicht ist das auch der einzige Weg, diesen Sommerhype zu
       ertragen: Einfach mitmachen! So tun, als ob man Tourist sei. Vielleicht
       probier ich am Wochenende auch einfach mal den schmalen Grünstreifen auf
       der sechsspurigen Karl-Marx-Allee aus.
       
       9 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Akrap
       
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