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       # taz.de -- Strafrechtler über den Fall Mollath: „Fehler müssen zugegeben werden“
       
       > Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller wünscht sich, dass die Justiz
       > aus ihren Versäumnissen lernt. Und sie sollte ihre Gutachter öfter
       > wechseln.
       
   IMG Bild: „Mollath beschwerte sich höflich bei den zuständigen Instanzen.“
       
       taz: Herr Müller, am Dienstag ist Gustl Mollath nach sieben Jahren aus der
       Psychiatrie entlassen worden und das Oberlandesgericht Nürnberg ordnete
       eine Wiederaufnahme seines Strafverfahrens an. Wird das ein Riesenprozess? 
       
       Henning Ernst Müller: Der erste Prozess im Jahr 2006 dauerte nur einen Tag.
       Diesmal wird sicher gründlicher untersucht.
       
       Was wird genau verhandelt? 
       
       Es müssen vier Fragen beantwortet werden. Hat Herr Mollath seine Frau
       geschlagen und die Reifen von vermeintlichen Widersachern zerstochen? Wenn
       ja, litt er dabei unter dem Wahn, dass seine Frau und viele andere sich
       gegen ihn verschworen haben, um Schwarzgeldgeschäfte zu vertuschen? Wenn
       ja, war dieser Wahn ursächlich für die Taten? Wenn ja, besteht eine Gefahr
       für die Allgemeinheit, falls Mollath in Freiheit bleibt.
       
       Könnte es sein, dass Mollath am Ende erneut weggesperrt wird? 
       
       Ich glaube, er muss sich wenig Sorgen machen. Eine Gefängnisstrafe ist
       prinzipiell ausgeschlossen. Weil Herr Mollath im ersten Verfahren wegen
       möglicher Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, darf er in der
       Wiederaufnahme nicht schlechter wegkommen.
       
       Und eine erneute Unterbringung in der Psychiatrie ist nur möglich, wenn
       alle vier Fragen mit ja beantwortet werden. Das halte ich angesichts der
       dünnen Beweislage, der lange vergangenen Zeit und des derzeit sehr
       besonnenen Auftretens von Herrn Mollath für äußerst unwahrscheinlich –
       zumal es inzwischen auch unverhältnismäßig wäre.
       
       Ist der Fall Mollath nur die Spitze des Eisbergs? 
       
       Sicher gibt es weitere Fälle unrechtmäßiger Unterbringung. Aber eine solche
       Massierung an richterlicher Vorfestlegung, Verfahrensfehlern,
       oberflächlichen Gutachten und schlechter Verteidigung ist vermutlich eine
       Ausnahme. Dennoch ist es wichtig, aus dem Fall Lehren zu ziehen.
       
       Was kann die Justiz lernen? 
       
       Die Justiz muss lernen, offener mit Fehlern umzugehen. Wo Menschen
       arbeiten, werden Fehler gemacht. Damit müssen wir leben. Wenn Fehler aber
       nicht zugegeben werden, kann man auch nicht aus ihnen lernen. Im Fall
       Mollath hat sich die Justiz viel zu lange hinter der Rechtskraft alter
       Urteile verschanzt und eine Wiederaufnahme blockiert. Wie man gesehen hat,
       kann ein derart schlechtes Fehlermanagement am Ende eine massive
       Vertrauenskrise der Justiz verursachen.
       
       Wenn ein Straftäter in die Psychiatrie eingewiesen wird, muss jedes Jahr
       neu geprüft werden, ob er noch gefährlich ist. Reicht das nicht? 
       
       Theoretisch ja, im Fall Mollath hat der Mechanismus aber versagt. Zu lange
       beriefen sich Richter auf alte Gutachten. Zu lange zitierten Gutachter die
       falschen Feststellungen des ursprünglichen Strafurteils von 2006.
       
       Können Gutachter ein rechtskräftiges Urteil ignorieren? 
       
       Nein. Aber die Rechtskraft bezieht sich nur auf den Tenor eines Urteils,
       nicht auf dessen Begründung. Das heißt: die Gutachter mussten davon
       ausgehen, dass eine Sachbeschädigung stattgefunden hat, aber nicht dass
       dabei Reifen auf besonders perfide und gefährliche Weise aufgeschlitzt
       wurden. Letzteres war bloße Spekulation in den Urteilsgründen. Wenn es
       begründete Zweifel an solchen Aussagen gibt, muss ein Sachverständiger
       entsprechend vorsichtiger agieren. Alles andere halte ich für
       unprofessionell.
       
       Gustl Mollath hat es den Gutachtern nicht leicht gemacht, indem er sich
       meist den Untersuchungen verweigerte … 
       
       Das stimmt. Das darf aber für die Gutachter keine Ausrede dafür sein,
       völlig zu ignorieren, wie ihre eigene Hypothese immer weniger mit der
       Wirklichkeit zu tun hatte. Sie gingen ja davon aus, dass Herr Mollath
       wahnhaft jeden, der ihm entgegentritt, zu den Schwarzgeld-Verschwörern
       zählt.
       
       Mollath hatte zwar viel Kritik an den Verhältnissen in der Klinik, aber er
       stellte dabei gerade keinen Bezug zum Schwarzgeld her. Zudem wurde er nicht
       aggressiv, sondern beschwerte sich höflich bei den zuständigen Instanzen.
       Wer das als Gutachter oder Richter ignoriert, macht keine solide Arbeit.
       
       Haben also nur Richter und Gutachter versagt, oder müssen auch die
       gesetzlichen Regeln geändert werden? 
       
       Es könnte helfen, dass ein Gericht nicht immer mit den gleichen Gutachtern
       zusammenarbeit. Wenn Gutachter ökonomisch von bestimmten Richtern abhängig
       werden, dann besteht die Gefahr, dass sie zu den Ergebnissen kommen, die
       die Richter gerne hören wollen. Besser wäre eine gesetzliche Vorgabe, dass
       die Gutachter für jeden Fall aus einer Liste auszulosen sind.
       
       Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will, dass die untergebrachten
       Straftäter schon nach zwei statt fünf Jahren von neuen Gutachtern
       untersucht werden. 
       
       Mehr Gutachten sind aber nur dann eine Verbesserung, wenn es auch mehr gute
       Gerichtspsychiater gibt. Sonst wird es lediglich mehr oberflächliche
       Gutachten voller Textbausteine geben.
       
       Die Ministerin schlägt auch eine gewisse zeitliche Begrenzung der
       Psychiatrie-Unterbringung vor … 
       
       Jede Begrenzung ist begrüßenswert. Denn die Zahl der in der Psychiatrie
       untergebrachten Straftäter hat sich in den letzten zwanzig Jahren fast
       verdreifacht, auf heute rund 6750 Personen allein in Westdeutschland. Für
       mich ist das ein Hinweis, dass viele Menschen unnötig oder zumindest
       unnötig lange in die Psychiatrie eingewiesen werden. Diese Entwicklung
       sollte rückgängig gemacht werden. 1985 war Deutschland auch nicht
       unsicherer als heute.
       
       9 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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