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       # taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 15: Rien ne va plus
       
       > Was bisher geschah: DIE LUST übernimmt die Kontrolle über Leenas Körper
       > und klaut ihr eine neue Garderobe zusammen. Als Eintrittskarte in die
       > Welt der Reichen und für einen ganz großen Coup
       
   IMG Bild: Unfreiwillig landet Leena am Roulette-Tisch. Und gewinnt.
       
       „Keinen Lippenstift!“, sagte Leena energisch. „Auf keinen Fall.“
       
       „Wie du willst“, gab DIE LUST nach. „Vergiss die Preisschilder unter den
       Schuhen nicht.“
       
       „Die hast du schon abgemacht, wegen der Diebstahlsicherung“, schnaubte
       Leena. Sie stand an einem Waschbecken im Untergeschoss des Spielcasinos am
       Potsdamer Platz und sah in den Spiegel, in dem eine durchschnittlich große
       Brünette mit Maßen, wie sie vor 60 Jahren als Nonplusultra galten, in einem
       hochgeschlossenen meerwasserblauen Kleid auf zu hohen Schuhen balancierte
       und mit sich selbst sprach.
       
       Leena wirkte wie eine Grundschullehrerin, die auf Elizabeth Taylor macht.
       Unfreiwillig, wohlgemerkt, denn alles, was sie trug, hatte DIE LUST in den
       vergangenen anderthalb Stunden für sie ausgesucht und gestohlen.
       
       „Was hast du vor?“, fragte sie resigniert. „Ich steh nicht auf einarmige
       Banditen und abgesehen davon habe ich kein Geld für solche Eskapaden.“
       
       „Du hast alles, was du brauchst, Baby.“ DIE LUST warf Leena einen Kussmund
       zu.
       
       „Spar dir das Getue“, fauchte Leena. „Du weißt, dass ich nicht freiwillig
       hier bin.“
       
       DIE LUST lächelte nachsichtig und lehnte sich in der Schaltzentrale in
       Leenas Hirn zurück. „Mach es dir bloß nicht zu gemütlich!“, warnte Leena.
       „Was immer du vorhast: Morgen gehört mein Körper wieder mir!“
       
       „Wenn du meinst“, sagte DIE LUST gelangweilt. „Können wir endlich das Geld
       eintauschen?“
       
       Leena schwante Übles. „Was für Geld?“, wollte sie wissen.
       
       „Dein ,Notgroschen‘. Ich hab ihn in deine Tasche gesteckt.“
       
       „Du hast was?“ Leena starrte sie fassungslos an. „Wie kannst du es wagen?
       Der ist für Notfälle gedacht, für …“
       
       „Exakt, meine Liebe!“, trällerte DIE LUST. „Wenn du kein Notfall bist, wer
       dann? Los jetzt!“ Schnappatmung ist auch keine Lösung, erkannte Leena und
       verließ mit offenem Mund die Toiletten.
       
       Während das Untergeschoss voller Automaten Verzweiflung geatmet hatte,
       suggerierte das Obergeschoss Eleganz. Rote Teppiche, vornehme Outfits,
       gepflegtes Getuschel. Leena umklammerte das Beutelchen mit Jetons, das ihr
       an der Kasse ausgehändigt worden war. DIE LUST steuerte sie zielstrebig auf
       einen der Roulettetische zu. Der Croupier nickte freundlich.
       
       „Und jetzt?“, flüsterte Leena.
       
       „Mögen die Spiele beginnen“, befahl DIE LUST mit großer Geste.
       
       Leena legte den Mindesteinsatz von zwanzig Euro auf Schwarz – ein hilfloser
       Versuch von Selbstbestimmung und um DIE LUST zu ärgern. Letzteres mit
       Erfolg: DIE LUST stöhnte gequält. Der Croupier sagte enttäuschenderweise
       „Nichts geht mehr!“ statt „Rien ne va plus“. Die Kugel landete auf der
       Acht. Der schwarzen Acht. Vierzig Euro. Leena ließ sie liegen.
       
       Siebzehn. Schwarz. Achtzig. Ihr Bauch wurde warm.
       
       „Ich gewinne!“, flüsterte sie aufgeregt.
       
       „Kein Wunder“, ätzte DIE LUST. „Minimales Risiko.“
       
       „Langsam nährt sich das Eichhörnchen“, konterte Leena.
       
       „Es heißt ’Mühsam nährt sich das Eichhörnchen‘“, verbesserte DIE LUST. „Und
       überhaupt: Schon mal darüber nachgedacht, warum Eichhörnchen nicht die
       Könige des Tierreichs sind, sondern Löwen? Angriff, Biss, Erfolg. Ganz
       einfach.“
       
       „Ich mag Eichhörnchen.“
       
       „Machen Sie Ihr Spiel“, leierte der Croupier.
       
       Als Sicherheitsnetz für die achtzig Euro auf Schwarz schob Leena einen
       Fünfzig-Euro-Jeton auf Rot.
       
       „Chancengleichheit“, sagt eine Stimme neben ihr. „Glauben Sie, dass es die
       gibt?“ Leena neigte den Kopf. Die hagere Frau musste die Siebzig längst
       hinter sich gelassen haben. Sie war in violetten Taft gehüllt und die
       dicken Gläser der Brille schrumpften ihre Augen zu Stecknadelköpfen.
       
       „Eigentlich nicht“, gab Leena zu. „Aber ich darf auf keinen Fall
       verlieren.“
       
       „Dann spielen Sie nicht!“, riet die Frau. „Oder … gewinnen Sie.“ Sie
       schubste ein Häufchen Jetons auf die Kreuzung von 23, 24, 26 und 27.
       
       „Nichts geht mehr.“
       
       Schweigen. Das leise Schwingen des Tisches übertrug sich auf Leenas Bauch.
       Die Kugel rollte in die 27. Die Frau gluckste vergnügt.
       
       „Gewagt“, murmelte Leena. „Die Wahrscheinlichkeit für so was liegt bei zehn
       Komma acht Prozent.“
       
       „Ich wusste, es würde dir gefallen“, frohlockte DIE LUST. „Mit deinem
       Zahlenfetisch!“ Sie schüttete Leenas gesamte Jetons aus dem Beutelchen auf
       den Tisch. 680 Euro nach Abzug der bereits investierten 70. Die 80 auf
       Schwarz waren verloren. Auf Rot lagen 100 Euro.
       
       „Machen Sie Ihr Spiel.“
       
       Leena baute Jetontürme. In ihrem Mund sammelte sich Speichel. DIE LUST
       lauerte. „Es ist zu riskant“, entschied Leena. „Wir hören auf.“
       
       DIE LUST schoss vor – Angriff, Biss! – und schob mit Leenas Händen die
       Jetons auf 17. Alle.
       
       „Nichts geht mehr“, erinnerte der Croupier.
       
       9 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tania Witte
       
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   DIR Lust
   DIR Fortsetzungsroman
   DIR Fortsetzungsroman Lust. Ausgerechnet
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   DIR Fortsetzungsroman
       
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       Die Autorin Tania Witte schreibt ab sofort jede Woche den Fortsetzungsroman
       „Lust. Ausgerechnet“. Protagonistin Leena wird mit ihrer Lust konfrontiert.