URI: 
       # taz.de -- Projekt für Illegale strauchelt: Papierlosen geht das Geld aus
       
       > Sie leben versteckt mitten in der Gesellschaft: „Papierlose“. Aktion
       > Mensch unterstützte das Projekt „Salutissimo“ der Inneren Mission. Nun
       > fehlt das Geld.
       
   IMG Bild: Brauchen Hilfe: Papierlose
       
       Gut 300 „Papierlose“ hat Holger Dieckmann in den vergangenen drei Jahren
       beraten, vielen auch den Schritt in eine „legale“ Existenz in Bremen
       geebnet. „Papierlos“ sind sie, weil sie illegal nach Deutschland eingereist
       sind, weil sie keine Erlaubnis für Arbeit und Aufenthalt mehr haben oder
       weil ihnen als Kind von Papierlosen nach der Geburt ebenfalls keine
       Dokumente ausgestellt wurden. Sie leben ein Schattendasein ohne Pass –
       besonders prekär wird es, wenn sie krank werden.
       
       Um diesen Menschen zu helfen, initiierte die Innere Mission vor drei Jahren
       das Projekt „Salutissimo“. Die Aktion Mensch unterstützte das Projekt
       befristet für drei Jahre mit 200.000 Euro, diese Förderung lief im
       vergangenen Herbst aus. Die Innere Mission hatte sich mit 38.000 Euro in
       den drei Jahren beteiligt, allein will die Innere Mission die Kosten aber
       auf Dauer nicht stemmen.
       
       „Wo immer es möglich ist, wollen wir beitragen, dass Papierlose ihre
       grundlegenden Rechte, wie medizinische Versorgung, Existenzsicherung,
       Bildung, Beurkundung von Geburten, Schutz vor Ausbeutung auch tatsächlich
       wahrnehmen können“, erklärt Holger Dieckmann seinen Auftrag. Der 44-Jährige
       berät direkt und er verkörpert in Personalunion auch die „Clearingstelle“
       für die „Humanitäre Sprechstunde“, die beim Gesundheitsamt eingerichtet
       worden ist.
       
       „Viele Menschen ohne gültige Papiere leben oft jahrelang hier. Erst wenn
       die Situation kritisch wird, durch Krankheit oder Schwangerschaft zum
       Beispiel, kommen sie zu uns.“ In den teilweise monatelangen
       Beratungsprozessen in seinem Büro in Schwachhausen hat er viel über die
       Lebenssituationen vieler Papierlose erfahren. „Extrem beengte
       Wohnverhältnisse, unzureichende medizinische Versorgung, Mangel an
       Lebensmitteln, Abhängigkeit von wechselnden HelferInnen und die ständige
       Angst entdeckt zu werden sind die größten Probleme von Papierlosen“,
       erklärt Dieckmann. Die Beratungen finden dabei immer vertraulich und auf
       Wunsch anonym statt. „Unser Ansatz ist es, Menschenrechte vor das
       Ausländerrecht zu stellen“, sagt er. Statt einer Verringerung hat sich
       seiner Meinung nach hat der Bedarf an Hilfe für diese Menschen in den
       vergangen Jahren vergrößert. Die Dunkelziffer ist vielleicht zehn Mal so
       hoch wie die Zahl derer, die sich in die Beratung trauen, eine Studie
       schätzte für Bremen bis zu 4.000 Papierlose.
       
       Woher kommen die Papierlosen? „Ich sehe nur die, die sich zu uns trauen“,
       sagt Dieckmann, darunter sind nur wenige mit türkischem Hintergrund.
       Möglicherweise haben die auch stärkere familiäre Netzwerke. Vor allem sind
       es Menschen aus Westafrika, die seine Hilfe in Anspruch nehmen, früher auch
       aus Serbien oder dem Kosovo. Die Flüchtlinge aus den Ländern, die einen
       Asylanspruch begründen können, tauchen nicht bei ihm auf. Allerdings gibt
       es auch Fälle, in denen Menschen ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht
       haben, aber dennoch keinen Zugang zur regulären gesundheitlichen
       Versorgung, etwa Bürger der EU mit rumänischer oder bulgarischer
       Staatsangehörigkeit oder auch Flüchtlinge, die in anderen Staaten der EU
       ein Aufenthaltsrecht haben, dort aber nicht mehr leben können oder wollen.
       
       Die problematische Situation von Papierlosen ist inzwischen offiziell
       bekannt, sagt Diekmann, immerhin. Bei der Einrichtung der Humanitären
       Sprechstunde gab es eine gute Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt. „Das
       reicht aber nicht aus: Die Humanitäre Sprechstunde kann nur eine sehr
       eingeschränkte medizinische Versorgung bieten und ist personell und
       finanziell nicht ausreichend ausgestattet.“ Auch die theoretische Öffnung
       von Schulen und Kindertagesstätten für Papierlose ist für ihn ein Schritt
       nach vorne, es hapere jedoch noch an der Umsetzung. „Viele der papierlosen
       Menschen vertrauen den öffentlichen Einrichtungen nicht und befürchten
       tatsächlich, an die Ausländerbehörde verraten zu werden“, erklärt er.
       
       Defizite gibt es auch bei der psychologischen Beratung von Papierlosen:
       Zwar gibt es mit Refugio ein psychosoziales und therapeutisches
       Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folterüberlebende in Bremen.
       Allerdings sind dort die Kapazitäten derzeit ebenfalls ausgeschöpft. Und
       auch bei den anderen wenigen Stellen, die für Papierlose offen sind, wird
       am Rande der Kapazität gearbeitet.
       
       Um den akutesten Fällen helfen zu können, hat die Innere Mission eine stark
       verkürzte Weiterführung mit weniger Beratungsstunden durch Vereinsmittel
       von „Salutissimo“ bewilligt. Währenddessen soll versucht werden, ein neues
       Finanzierungsmodell für das Projekt auf die Beine zu stellen, so Petra
       Wulf-Lenger von der Inneren Mission. Bernd Schneider, Sprecher der
       Senatorin für Soziales, betont „hohen gesellschaftlichen Wert“ des
       Projektes. Gespräche hat es mit der Sozialbehörde gegeben, aber bisher
       keine Aussicht auf Fördergelder.
       
       7 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benjamin Eichler
       
       ## TAGS
       
   DIR Papierlose
   DIR Bremen
   DIR Bremen
   DIR Flüchtlinge
   DIR Flüchtlinge
   DIR Sachleistungen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Mehr Geld für humanitäre Sprechstunde: Etwas mehr Humanität
       
       Die medizinische Sprechstunde für Papierlose und Menschen ohne Versicherung
       bleibt eine Grundversorgung, erhält aber deutlich mehr Geld
       
   DIR Sprechstunde für Illegalisierte: Bremen will Humanität outsourcen
       
       Bremens medizinische Hilfe für Menschen ohne Krankenversicherung ist
       richtungweisend. Künftig soll sie von externen Trägern abgewickelt werden.
       
   DIR Traumatisierte Flüchtlinge in Bremen: Warten auf die Therapie
       
       Flüchtlinge sollen psychologisch besser betreut werden. Doch Bremen fehlt
       es weiterhin an Geld, TherapeutInnen und DolmetscherInnen.
       
   DIR Anonyme Sprechstunde für Flüchtlinge: Papierlose Patienten
       
       Der Staat verweigert Menschen ohne Aufenthaltsstatus die
       Gesundheits-Versorgung. In Oldenburg fordern Grüne, Linke und Piraten eine
       anonyme Sprechstunde.
       
   DIR Aufstand der Flüchtlinge (2): „Dein Kopf geht davon kaputt“
       
       In Bitterfeld steht ein Flüchtlingscamp. Drei der Bewohner sind seit
       Mittwoch im Hungerstreik. Das Leben in Vorort-Lagern halten sie nicht mehr
       aus.