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       # taz.de -- Der Erfinder des Afrobeat: Sie schlugen ihn und er schlug sich
       
       > Der Nigerianer Fela Kuti gilt als größter Star der afrikanischen Popmusik
       > und als kontroverse Figur. Nun wird sein musikalisches Werk
       > wiederentdeckt
       
   IMG Bild: Sahr Ngaujah spielt Fela Anikulapo Kuti im Musical "Fela!". Der Nigerianische Musiker und Politaktivist faszinierte Fans in der ganzen Welt etwa Paul McCartney oder Stevie Wonder
       
       Musik kann eine Waffe sein, auch heute noch, das haben Pussy Riot in
       Russland bewiesen, wo die Provokationen von ein paar kreischenden Mädchen
       von den Bütteln des Putin-Regimes mit Straflager in Sibirien geahndet
       wurde. Von Victor Jara in Chile bis Wolf Biermann in der DDR reicht die
       Internationale der Protestsänger, die einen repressiven Staat mit ein paar
       Songs herausfordern konnten.
       
       Musiker können Staatsfeinde sein, der Nigerianer Fela Kuti ist somit nur
       einer unter vielen. Doch keiner dieser Oppositionsmusiker erscheint uns
       schillernder als er. Noch hat Fela Kuti außerhalb Afrikas nicht den Status
       eines Bob Marley, aber das könnte sich ändern. Denn 15 Jahre nach seinem
       Tod durch Aids ist sein Bekanntheitsgrad eher steigend denn abnehmend, was
       zuallererst seinem musikalischen Schaffen zu verdanken ist, das erst in den
       letzten Jahren auch außerhalb von Fela Kutis Heimatkontinent gebührend
       gewürdigt wird.
       
       Der von dem Saxofonisten und Sängern Ende der Sechziger ausgedachte
       Afrobeat, diese energetische und rhythmisch hochexplosive Mixtur aus
       westafrikanischem Highlife, nigerianischem Juju, Calypso, Salsa sowie Funk
       und Jazz ist inzwischen reinste Hipstermusik. Indiebands wie Vampire
       Weekend beziehen sich auf sie sowie Damon Albarn von Blur und Thom Yorke
       von Radiohead, außerdem machen zig angesagte Labels nichts anderes, als
       immer noch mehr Afrobeat-Platten von Kuti-Epigonen für eine wachsende
       Hörerschaft auszugraben.
       
       Und das Gesamtwerk des Meisters selbst, immerhin mehr als 50 Alben, wird
       nun ebenfalls wiederveröffentlicht, bereits zum dritten Mal seit seinem
       Tod. Bis zum Herbst will das New Yorker Label Knitting Factory den
       kompletten Katalog überarbeitet neu zugänglich gemacht haben.
       
       ## Vermehrte Beschäftigung mit seiner Person
       
       Mit der Neubewertung von Fela Kutis musikalischem Schaffen einher geht die
       zunehmende Beschäftigung mit seiner Person. Am Broadway lief ein
       überraschend erfolgreiches Musical über sein Leben, demnächst soll eine
       große Fela-Kuti-Dokumentation in die Kinos kommen und ein Spielfilm über
       den afrikanischen Superstar ist ebenfalls geplant.
       
       Man könnte – daran werden wir im Wagner-Jahr auch ständig erinnert –
       versuchen, Künstler und Werk zu trennen. Fela Kutis grandiose Nummern, die
       einen gerne zehn Minuten schwindlig spielen, sprechen schließlich in ihrer
       musikalischen Güte für sich. Das gilt selbst für sein Spätwerk, das als
       schwächer gilt als das der Siebziger und frühen Achtziger.
       
       Doch es würde nichts bringen, denn die Musik, so wollte es Fela Kuti, soll
       letztlich unbedingt beim Hörer eine direkte Verbindung mit ihm und seinem
       Anliegen herstellen. Er wollte mit der Verbreitung seiner Musik, an der er
       trotz seiner widerspenstigen Haltung gegenüber den Verwertungsmechanismen
       der Plattenindustrie interessiert war, vor allem erreichen, dass er selbst
       bekannter wurde.
       
       Was dabei reiner Egozentrik geschuldet war und was tatsächlich seinem
       Sendungsbewusstsein in sozialen und politischen Fragen, ist schwer
       auseinanderzuhalten. In geradezu messianischer Weise sah er sich dazu
       auserkoren, nicht nur seine von Bürgerkriegen und Militärdiktaturen
       zerrüttete Heimat Nigeria zu befrieden, er wollte den ganzen gebeutelten
       afrikanischen Kontinent vereinen. Nur im Panafrikanismus sah er den
       richtigen Weg, die sich nach dem Kolonialismus in Afrika weiter
       ausbreitende Verslumung, die Warlordisierung und die grassierende
       Korruption zu beenden.
       
       ## Fela Kutis Präsidentschaftskandidatur
       
       Die Machthaber in seiner nigerianischen Heimat waren für ihn vom wahren
       Geist Afrikas entfremdete Speichellecker imperialistischer Mächte, die er
       nicht nur als Musiker, sondern Che-Guevara-mäßig mit Taten, symbolischen
       Gesten, dann mit der Gründung einer eigenen Partei und einer
       Präsidentschaftskandidatur herausforderte.
       
       Während eines längeren Aufenthalts in den USA in den Sechzigern las er
       gleich mehrfach die Autobiografie der US-Black-Power-Symbolfigur Malcolm X.
       
       Der Wortgeber der Nation of Islam blieb ein Säulenheiliger für ihn, im
       „Shrine“, seinem Club in Lagos, in dem er jahrelang fast täglich endlos
       lange Konzerte gab, hing immer ein Foto von ihm – neben dem seiner Mutter.
       Die Ideologie der Nation of Islam und der Black Panther, die im weißen Mann
       den zu bekämpfenden Feind der Schwarzen sah, übertrug er auf die
       Verhältnisse in seiner Heimat.
       
       In Nigeria waren zwar Menschen schwarzer Hautfarbe an der Macht, doch für
       Fela Kuti war das sogar noch unerträglicher als wären sie weiß gewesen. „In
       Nigeria ist es schlimmer als in Südafrika“, meinte er einmal, denn in dem
       Apartheidstaat könnte man wenigstens an der Hautfarbe den Feind erkennen,
       während in Nigeria Schwarze andere Schwarze unterdrückten.
       
       Die Black Panther versuchten, die Schwarzen mit sich selbst zu versöhnen –
       „Black is beautiful“ – und damit mit ihren afrikanischen Wurzeln und der
       Kultur Afrikas. Fela Kuti übernahm diese Vorstellungen. „Africa Centre of
       the World“ heißt eines seiner Stücke, „Africa 70“ nannte er seine Band,
       Fela Kuti war Patriot eines ganzen Kontinents.
       
       ## Gegen den Prozess der Verwestlichung
       
       Um kulturelles und geistiges Zentrum der Welt zu werden – so glaubte er –,
       müsste Afrika jedoch den Prozess seiner Verwestlichung beenden. Er sprach
       sich explizit gegen technischen Fortschritt aus und lehnte alles, was er
       nicht für wirklich afrikanisch hielt, ab, wozu er kommunistische Ideen
       genauso zählte wie den Kapitalismus, auch Christentum und den Islam, die
       beiden vorherrschenden Religionen in Nigeria.
       
       Er gründete in Lagos „Kalakuta“, eine Art Kommune, in der er wie ein Guru
       residierte und ein seiner Vorstellung nach echtes afrikanisches Leben
       führte. Dazu gehörte auch die Fortführung der afrikanischen Tradition der
       polygamen Ehe. In einer Yoruba-Zeremonie ehelichte er 27 Frauen, die
       gleichzeitig Sängerinnen und Tänzerinnen seiner Band waren.
       
       Er beschlief seine Frauen abwechselnd, jede Nacht durften sich nach einem
       bestimmten Turnus zwei in seinem Schlafzimmer einfinden. Widerspruch
       duldete er nicht, er war Umsorger und Tyrann gleichzeitig, durch und durch
       homophob, und wenn er es für nötig hielt, schlug er seine Frauen.
       
       Homosexualität und Feminismus hielt er für westliche Bedrohungen
       traditioneller afrikanischer Werte. Größenwahn, Fanatismus, Ignoranz und
       Messianismus lassen sich schwer trennen bei Fela Kuti. Wie ein
       afrikanischer Stammeskrieger präsentierte er sich halbnackt auf seinen
       Konzerten, er lehnte westliche Medizin ab und interessierte sich für
       Schamanismus und Geisterbeschwörung.
       
       ## Am Ende hielt er sich für unsterblich
       
       Es wirkt fast wahnhaft, wie er sich sein eigenes echtes Leben im falschen
       zurechtzimmerte, das ging so weit, dass er sich am Ende für unsterblich
       hielt, seine Infizierung mit dem Aidsvirus leugnete und die Zeichen der
       Krankheit als Transformierung seines Körpers in einen neuen, spirituellen
       Zustand deutete.
       
       Was passiert wäre, wäre der Kulturalist und Aids-Leugner Fela Kuti
       tatsächlich Präsident von Nigeria geworden, lässt sich nur schwer ausmalen.
       Aber bei der „Arabellion“ muss man auch nicht jede Position der
       Revolutionäre gutheißen, den dahinterstehenden Wunsch nach Beendigung der
       Unterdrückung jedoch akzeptieren.
       
       Und als besessener Freiheitskämpfer verdient Fela Kuti seinen
       Ikonen-Status. Zweimal wurde seine Kommune Kalakuta vom nigerianischen
       Militär gestürmt, seine Frauen wurden vergewaltigt, seine Mutter aus dem
       Fenster geworfen, er selbst wurde verprügelt. Sie steckten ihn immer wieder
       ins Gefängnis und schlugen ihn, am Ende war sein Körper völlig vernarbt von
       den Attacken.
       
       Fela Kuti aber sagte: „Die Schläge machen mich nur stärker“, und auf dem
       Cover seines Albums „Sorrow Tears and Blood“ sieht man ihn, wie er stolz
       sein nach einer Prügelei mit der Polizei eingegipstes linkes Bein zeigt und
       dabei unbeirrt in sein Tenorsaxofon bläst.
       
       7 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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