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       # taz.de -- Proteste in Armenien: Sitzblockade bei 40 Grad im Schatten
       
       > Seit mehr als einer Woche belagern Hunderte Demonstranten das Rathaus in
       > Jerewan. Sie protestieren gegen drastische Preiserhöhungen.
       
   IMG Bild: Demonstranten in Jerewan fordern die Hauptststädter auf, nicht die erhöhten Fahrpreise zu zahlen.
       
       BERLIN taz | Der Bürgermeister der armenischen Hauptstadt Jerewan, Taron
       Margaryan, gerät dieser Tage mächtig ins Schwitzen. Das liegt nicht nur an
       den Temperaturen von 40 Grad. Seit über einer Woche belagern Hunderte
       Demonstranten seinen Amtssitz und fordern den Rücktritt des
       Stadtoberhaupts. Einen ersten Erfolg haben die Protestierenden bereits zu
       verzeichnen. Am 25. Juli musste Margaryan eine 50-prozentige Preiserhöhung
       für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücknehmen.
       
       Die Erhöhung auf 150 Dram (umgerechnet 0,28 Euro) war fünf Tage zuvor in
       Kraft getreten. Sofort machten Aktivisten mobil. Sie organisierten Proteste
       und forderten die Fahrgäste an den Haltestellen auf, den neuen Preis nicht
       zu bezahlen. Sänger und Fernsehmoderatoren stellten ihre Privatwagen zur
       Verfügung. Mittlerweile gibt es eine Internetseite, auf der Bürger
       kostenlose Mitfahrten anbieten.
       
       Doch nicht nur höhere Fahrtkosten treiben die Menschen auf die Straße. Auch
       für Lebensmittel, Heizung und Strom sind die Preise drastisch gestiegen.
       Dies ist eine Folge der Preispolitik des russischen Unternehmens Gazprom,
       das Armenien mit Gas beliefert und seit dem 7. Juli pro tausend Kubikmeter
       300 statt wie bisher 245 Euro verlangt.
       
       Der neue Gaspreis löste erregte Debatten im Parlament aus. Welche Maßnahmen
       denn die Regierung gegen das russische Monopol zu ergreifen gedenke und
       warum Gaslieferungen aus dem Nachbarland Iran keine Möglichkeit für
       Armenien seien, wollten Oppositionspolitiker wissen. Premier Tigran
       Sargsyan blieb Antworten schuldig. Er kündigte lediglich an, die Regierung
       werde die Preiserhöhung mit 30 Prozent subventionieren.
       
       ## Isoliert und von Russland abhängig
       
       ## 
       
       Die Kaukasusrepublik Armenien ist isoliert und von Russland abhängig. Der
       Konflikt mit Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach macht Gas- und
       Öllieferungen aus Baku unmöglich. Die Grenze zur Türkei ist wegen des
       Streits über die Anerkennung des türkischen Genozids an den Armeniern im
       Jahr 1915 geschlossen. Seit 2007 verläuft eine Pipeline von Iran nach
       Armenien. Das wäre eine Alternative zu russischem Gas. Von armenischer
       Seite wird die Pipeline jedoch von „ArmRosGazprom“ (ARG) verwaltet. 80
       Prozent der ARG-Aktien gehören Gazprom.
       
       Russland und Armenien sind seit den 90er Jahren strategische Partner. Die
       einzige Militärbasis, die Russland im Südkaukasus unterhält, befindet sich
       in Armenien.
       
       Auch in den Bereichen Energie und Wirtschaft ist Armenien eng mit Russland
       verbunden. Mit 123 Milliarden US-Dollar war Russland im 2012 nach
       Frankreich der zweitwichtigste Auslandsinvestor. Mehr als 80 Prozent des
       Energiesektors, die Eisenbahn, zwei der drei größten
       Telekommunikationsgesellschaften sowie ein Großteil der Banken und
       Versicherungen sind in russischer Hand.
       
       „Das ist keine strategische Partnerschaft, sondern eine Beziehung zwischen
       Sklaven und Herren“, sagt Artsvik Minasyan von der Oppositionspartei
       Armenische Revolutionäre Föderation über die armenisch-russische
       Beziehungen. Er forderte die Regierung bereits mehrmals zum Rücktritt auf,
       da sie dem Druck aus Russland nichts entgegensetzen könne.
       
       Für den Expräsidenten der Zentralbank Armeniens, Bagrat Asatryan, ist klar,
       warum Moskau jetzt die Daumenschrauben anzieht. „Mit der Gaspreiserhöhung
       versucht Russland, Armenien zu zwingen, in die geplante Eurasische Union
       (EAU) einzutreten“, so Asatryan. Eine Zollunion im Rahmen der EAU existiert
       bereits. Ihr gehören Russland, Belarus und Kasachstan an. Asatryan ist
       sicher, dass Armenien wieder niedrigere Gaspreise bezahlen würde, wenn es
       Mitglied der Zollunion würde.
       
       Doch das würde Armeniens Pläne einer Annäherung an die EU zunichte machten.
       Brüssel und Jerewan haben ihre Verhandlungen über ein
       Assoziierungsabkommen, das auch eine Freihandelszone vorsieht,
       abgeschlossen. Das Dokument könnte im November bei einem Gipfel in Vilnius
       unterzeichnet werden.
       
       5 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tigran Petrosyan
       
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