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       # taz.de -- Hans de With über Überwachung: „Nicht mit uns!“
       
       > Die G-10-Kommission kontrolliert die deutschen Geheimdienste. Der
       > Vorsitzende glaubt nicht, dass der Bundesnachrichtendienst ihn
       > austrickst.
       
   IMG Bild: Das Ionosphäreninstitut des BND in Rheinhausen. Was genau mit diesen Antennen abgehört wird, ist nicht bekannt.
       
       taz: Herr de With, Sie sitzen der G-10-Kommission des Bundestags vor und
       kontrollieren auf Bundesebene die deutschen Geheimdienste. Was macht die
       G-10-Kommission konkret? 
       
       Hans de With: Sie entscheidet über alle Eingriffe der Geheimdienste in das
       Grundrecht auf Post- und Fernmeldefreiheit, Artikel 10 Grundgesetz.
       
       Das heißt: Der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND) und der
       Militärische Abschirmdienst dürfen nur abhören, wenn Sie zustimmen? 
       
       Ja. Und das gilt auch für das Öffnen von Post, das Lesen von E-Mails und
       den Abruf von Verbindungsdaten.
       
       Wie oft erlauben Sie den Geheimdiensten solche Maßnahmen? 
       
       Die letzten öffentlichen Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2011. Da gab es
       im Schnitt 78 Beschränkungen nach dem G-10-Gesetz im Halbjahr.
       
       Die Polizei hört mehr als hundertmal so viel ab … 
       
       Das will ich nicht kommentieren.
       
       Immerhin darf der Bundesnachrichtendienst auch „strategisch“, das heißt
       anlasslos, den internationalen Telefon- und E-Mail-Verkehr von und nach
       Deutschland überwachen – in der Hoffnung auf Zufallstreffer, die auf
       Terror, Waffenhandel und die Schleusung von Ausländern hindeuten … 
       
       Auch das muss von der G-10-Kommission genehmigt werden. Laut Gesetz kann
       der BND dabei bis zu 20 Prozent des internationalen Verkehrs prüfen,
       tatsächlich scannt er aber nur 5 Prozent. Wir prüfen dabei, neben anderen
       Voraussetzungen, nach welchen Begriffen der BND suchen darf.
       
       Um welche Begriffe geht es? 
       
       Das ist geheim. 2011 waren es über 15.000 Suchbegriffe.
       
       Wie unterscheidet sich die deutsche strategische Überwachung von Programmen
       wie Prism in den USA oder Tempora in Großbritannien? 
       
       Bei Prism und Tempora werden, den Medienberichten zufolge,
       Kommunikationsdaten dauerhaft gespeichert und dann ausgewertet. Der BND
       darf dagegen nur verdächtige Nachrichten speichern, die er im
       Kommunikationsstrom entdeckt.
       
       Wie viele Nachrichten bleiben hängen? 
       
       Im Jahr 2011 gab es rund 2,83 Millionen Treffer – fast alles E-Mails – die
       näher überprüft wurden. Davon erwiesen sich 290 Kommunikationen als
       nachrichtendienstlich relevant.
       
       Viel Aufwand für wenig Ertrag. 
       
       Das müssen andere bewerten, zum Beispiel das Parlamentarische
       Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags, das die Geheimdienste politisch
       kontrolliert. Wir als G-10-Kommission achten nur darauf, dass das Gesetz
       eingehalten wird.
       
       Wie oft trifft sich die G-10-Kommission? 
       
       Einmal im Monat.
       
       Sind die vier Mitglieder der G-10-Kommission dabei ganz unter sich? 
       
       Außer unseren Stellvertreter sind die drei Dienste, das Innenministerium
       und das Kanzleramt mit hochrangigen Beamten vertreten.
       
       Wie läuft so eine Sitzung ab? 
       
       Wir beraten die Anträge der Dienste – erst zur strategischen Überwachung,
       dann die Einzelmaßnahmen. Am Schluss entscheiden wir, ob bei
       abgeschlossenen Maßnahmen die Betroffenen informiert werden.
       
       Wie lange diskutieren Sie über einen konkreten Antrag? 
       
       Neue Anträge brauchen naturgemäß mehr Zeit, als wenn bei einer laufenden
       Abhörmaßnahme nur eine neue Telefonnummer hinzukommt oder wenn eine
       Maßnahme nach drei Monaten verlängert wird. Die Zahl der Anträge nimmt aber
       zu, sodass wir prüfen, ob wir öfter tagen.
       
       Ist eine vielleicht halbstündige Diskussion über einen neuen Abhörantrag
       ausreichend? 
       
       Sie müssen dabei auch die Vorarbeiten einbeziehen: Der Nachrichtendienst
       muss einen Antrag stellen und ihn begründen. Dann prüft das
       Bundesinnenministerium, ob es die G-10-Maßnahme anordnet. Im Vorfeld
       unserer Sitzung arbeiten auch die beamteten Mitarbeiter der G-10-Kommission
       die Anträge durch. Dann erst wird uns in der Sitzung vom antragstellenden
       Dienst der Fall vorgetragen und wir beraten ihn. Dabei hat jeder einen
       Aktenabdruck vor sich,
       
       Als Tischvorlage? 
       
       Ja. Wir könnten zwar vorher Einsicht in die Akten nehmen, aber das ist
       unpraktikabel.
       
       Gehen die Geheimdienstler und Ministerialen aus dem Raum, wenn sich das
       G-10-Gremium berät? 
       
       In aller Regel nicht. Wir müssen ja auch Fragen stellen können.
       
       Wie viele Anträge auf G-10-Maßnahmen lehnen Sie durchschnittlich ab? 
       
       Weniger als zehn Prozent im Jahr. Anträge, die nicht genehmigungsfähig
       sind, werden in der Regel ja gar nicht gestellt. Die Dienste wollen sich
       bei uns schließlich keine blutige Nase holen. Und wenn wir keine
       ausreichenden Antworten auf unsere Fragen bekommen, dann sagen wir: „Kommen
       Sie nächsten Monat wieder.“
       
       Müssen die Geheimdienste immer auf Ihre Genehmigung warten? 
       
       Grundsätzlich ja. In Eilfällen können sie aber sofort handeln und müssen
       die Genehmigung in der nächsten Sitzung der G-10-Kommission einholen.
       Solche Fälle gibt es in jeder Sitzung.
       
       Prüfen Sie, ob sich zum Beispiel der BND an Ihre Beschlüsse hält? 
       
       Wir haben nicht die geringsten Anhaltspunkte, dass wir in irgendeiner Weise
       ausgetrickst werden.
       
       Wurde die G-10-Kommission von den Diensten schon einmal angelogen? 
       
       Mir ist kein derartiger Fall bekannt. Das wäre auch der GAU. Dann würde die
       gesamte Geheimdienstkontrolle nicht mehr funktionieren.
       
       Brauchen deutsche Geheimdienste eine Genehmigung, wenn sie mit US-Diensten,
       wie der NSA, zusammenarbeiten? 
       
       Im Prinzip nein, aber wenn Daten aus der strategischen Fernmeldekontrolle
       an ausländische Stellen übermittelt werden, muss die G-10-Kommission laut
       Gesetz unterrichtet werden.
       
       Wie oft ist das üblicherweise der Fall? 
       
       Null bis weniger als zehn Mal pro Jahr.
       
       Was gilt für Daten, die aus Einzelmaßnahmen gewonnen wurden? 
       
       Falls deutsche Dienste diese weitergeben, muss die G-10-Kommission nicht
       informiert werden. Das finde ich persönlich falsch. Hier müsste das Gesetz
       nachgebessert werden.
       
       Muss die G-10-Kommission informiert werden, wenn die NSA Daten über
       deutsche Bürger, die sie in Deutschland ausgespäht hat, an deutsche
       Geheimdienste weiterleitet? 
       
       Auch das ist nicht vorgesehen.
       
       Der Spiegel schreibt, dass BND-Chef Schindler sich im Interesse der NSA für
       eine laxere Auslegung des G-10-Gesetzes eingesetzt hat. Worum ging es
       konkret? 
       
       Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war völlig erstaunt über diesen
       Hinweis. Ich habe nie feststellen können, dass jemand auf eine laxere
       Auslegung des G-10-Gesetzes drängt. Das würden wir im Übrigen auch nie
       akzeptieren. Nicht mit uns, kann ich da nur sagen.
       
       Welche Rolle spielt Parteipolitik in der Tätigkeit der G-10-Kommission? 
       
       Keine. Wir sind uns am Ende fast immer einig.
       
       Gibt es ähnliche Einrichtungen wie die G-10-Kommission auch in anderen
       Staaten? 
       
       Ja. Aber eine derartige umfassende Genehmigung von geheimdienstlichen
       Einzelmaßnahmen gibt es wohl nur in Deutschland.
       
       Was würden Sie sagen, wenn der BND oder der Verfassungsschutz jetzt auch
       flächendeckend und dauerhaft E-Mails oder Telefonverbindungsdaten speichern
       wollten? 
       
       Das würde den Rahmen des G-10-Gesetzes völlig sprengen. Das müsste deshalb
       der Bundestag entscheiden – nicht die G-10-Kommission. Ich persönlich
       hielte das aber für offensichtlich verfassungswidrig.
       
       2 Aug 2013
       
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