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       # taz.de -- Neue Musik von Moderat: Emotionalität ohne Kitsch
       
       > Als Produzententrio Moderat veröffentlichen Modeselektor und Apparat das
       > Album „II“. Es bringt elektronischen Pop auf die große Bühne.
       
   IMG Bild: Moderat: „Wir sprechen eine sehr ähnliche Sprache. Das hat viel mit Gefühl und Wahrnehmung zu tun.“
       
       Spätestens jenseits der 30 kennt das wohl jeder. Wir müssen mal wieder …!
       Allein sich mit Freunden fürs Kino zu verabreden, erfordert wochenlanges
       Planen. Zusammen wegfahren? Ein Ding der Unmöglichkeit! Schwer genug,
       Arbeit und aktuelle Lebenszusammenhänge unter einen Hut zu bringen.
       
       Solche Widerstände überwunden hat Moderat, denn die Berliner
       Electro-Formation ist aus zwei unabhängig voneinander erfolgreichen
       Projekten entstanden: aus Apparat aka Sascha Ring und dem DJ- und
       Produzenten-Duo Modeselektor, Gernot Bronsert und Sebastian Szary.
       
       Schön für alle Fans dieser Supergroup, dass die drei so etwas wie einen
       gemeinsamen Urlaub hinbekommen haben. So nennen Bronsert, Szary und Ring
       das halbe Jahr, das sie in ihren jeweiligen Terminkalendern freigeräumt
       haben, um am zweiten Album „II“ zu basteln. „Moderat ist für uns eine
       kleine Insel“, erklärt Ring im Skype-Interview, „auf der jeder anders sein
       darf, als er sonst von der Welt wahrgenommen wird: Ich gelte als
       verträumter Indieelektroniktyp, die beiden eher als Ravesäue.“
       
       Sieben Jahre nach der ersten gemeinsamen Arbeit „Auf Kosten der
       Gesundheit“, einer eher verfrickelten EP, hatten die drei 2009 mit
       „Moderat“ ihr Debütalbum herausgebracht. Es war eingängig und clever,
       euphorisch und melancholisch – mit Songs, die sowohl im Club als auch auf
       dem Sofa funktionierten. „Moderat“ wurde das Konsensalbum des Jahres.
       
       ## Hoch über dem Alex
       
       Verbracht haben Moderat ihren Urlaub im letzten, nicht enden wollenden
       Winter hoch über dem Alexanderplatz, und weil vor dem Studiofenster immer
       Wolken hingen, „wurden wir nicht abgelenkt“, erzählt Bronsert. „Als es
       ernst wurde, saßen wir zusammen und haben Entscheidungen getroffen.“ Klingt
       kuschelig. „Na ja, wir waren nicht in Watte gepackt, eher in Stahlwolle“,
       grinst Bronsert.
       
       Er, Szary und Ring spielen sich mit sichtbarem Vergnügen gegenseitig die
       Bälle zu. Auch wenn die Herren Modeselektor von sich sagen, dass ihre
       Beziehung über Freundschaft hinausgeht, dass sie wie Brüder sind – ihren
       Kollegen Ring hatten sie zwei Jahre lang nicht gesehen.
       
       „Mein Gefühl im Vorfeld war, dass Sascha nach dem ersten Moderat-Album
       keine Lust mehr auf Elektronik hatte, sondern mit seiner Band bestuhlte
       Konzerte geben wollte“, erzählt Bronsert von Modeselektor. „Unsere Musik
       dagegen wurde nach dem Debütalbum noch physischer. Wir haben uns zurück zu
       unseren Wurzeln begeben. Als Liveact waren wir von jeher Chaos-Punks, laut
       und bassig. Früher im Club haben wir Schampus verspritzt und stagegedivt.
       Das machen wir jetzt wieder, nur auf großen Bühnen.“
       
       Und doch gab es sie noch, die gemeinsame Schnittmenge zwischen den dreien.
       „Bevor wir irgendwas hatten, bevor es wirklich um Musik ging, hatten wir
       eine gemeinsame Grundstimmung gefunden.“
       
       In der Tat hat sich Ring in den Jahren vom Klangdesigner zum Songschreiber
       und Bandleader entwickelt und mit seinen letzten Projekten, dem nach einem
       Gedicht des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley benannten Album
       „The Devil’s Walk“ (2011) und „Krieg und Frieden (Music for Theatre)“,
       einer Auftragsarbeit für Theaterregisseur Sebastian Hartmann, weit von
       ihrer gemeinsamen Vergangenheit im Technobetrieb entfernt.
       
       Ende der neunziger Jahre war Ring Miteigentümer von Shitkatapult, dem
       Vorzeigelabel für rumpeligen Techno-Punk. Zu jener Zeit lernte er bei
       Partys, die Modeselektor mit den Berliner Nightlife-Profis Die Pfadfinderei
       veranstalten, Bronsert und Szary kennen. Das Grafik- und Videokollektiv
       sorgte damals für Visuals in Clubs, heute konzipieren sie Bühnenshows.
       
       ## Gegen den Einheitsbrei
       
       Modeselektor und Apparat landeten für ein paar Jahre auf Ellen Alliens
       Label BPitch Control, das durch Paul Kalkbrenners Soundtrack zu „Berlin
       Calling“ zu so etwas wie dem Aushängeschild des Berliner Techno-Mainstreams
       wurde. Obwohl man sich in der Szene kennt und bei Bedarf vernetzt: Ring und
       Modeselektor wurde „schnell klar, dass wir anders sind als der
       elektronische Einheitsbrei in dieser Stadt“, behauptet Bronsert. „So haben
       wir uns zusammengetan und viel auf technischer Basis kommuniziert.“
       
       Jahre später bewiesen sie mit Moderat, dass man elektronische Musik
       emotionaler, weniger funktional interpretieren kann, als das in den von
       funktionalem Tooltechno dominierten Berliner Clubs üblich war. „Obwohl
       wir“, wirft Ring ein, „nicht wirklich in Clubs auftreten, sondern auf
       Bühnen.“ Einen Grund dafür, dass sie trotz divergierender Interessen
       schnell zu besagter „Grundstimmung“ gefunden haben, sehen sie nicht zuletzt
       in ihren Biografien.
       
       „Wir sprechen eine sehr ähnliche Sprache. Das hat viel mit Gefühl und
       Wahrnehmung zu tun“, erklärt Bronsert. „Wir haben den gleichen Background,
       auch wenn wir ein paar hundert Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen
       sind, haben historische Ereignisse ähnlich erlebt und teilen eine
       musikalische Sozialisation.“
       
       Ihre Jugend in einer ostdeutschen Kleinstadt zu Nachwendezeiten – bei Szary
       und Bronsert lag diese Stadt am Rand von Berlin, bei Ring im Harz – hatte
       nicht viel Ablenkung zu bieten, aber ein gesellschaftliches Vakuum und
       dementsprechende Freiräume. „Nach der Wende herrschte eine gewisse
       Anarchie, ein guter Nährboden für die Technokultur“, erzählt Ring.
       
       „Man konnte ein Soundsystem aufbauen, ohne gleich verhaftet zu werden.“
       Bronsert ergänzt: „Techno war unser Zufluchtsort“ – ein Lebensgefühl, das
       auch der kürzlich auf ihrem Label Monkeytown erschienene Dokumentarfilm „We
       Are Modeselektor“ von Romi Agel und Holger Wick anschaulich vermittelt.
       
       Auch HipHop war Teil dieses Zeichensystems, was sich bis heute im Sound von
       Modeselektor niederschlägt, und zusammen mit dem Skaten und
       Graffitisprühen, eine eher urbane Jugendkultur darstellt. „Bei uns gab es
       keinen Asphalt und keine Züge, an die man hätte sprühen können. Dafür
       leerstehende Häuser und viel Zeit, sich auf die Musik zu konzentrieren.“
       
       ## Botschafter der Currywurst
       
       Ihr Background ist wohl auch ein Grund dafür, dass Bronsert eine
       bodenständige Skepsis formuliert gegenüber einem Medienimage von Berlin,
       das im Berghain den Nabel der Welt sieht. „Unsere Prominenz im Ausland
       nutze ich gern, um diesem Klischee von der Extremfeierei etwas
       entgegenzusetzen.“
       
       Dementsprechend freute er sich, als ihn kürzlich am Imbiss Konnopke
       spanische Touristen ansprachen, die die Currywurstbude in einem
       Modeselektor-Interview erwähnt fanden und sich den Laden angucken wollten.
       Im Zweifelsfall spreche er lieber solche Antiempfehlungen aus, denn „es
       gibt ein Berlin, was viel größer und wichtiger ist als das, was in den
       Medien vorkommt“.
       
       Und wie klingt das alles übersetzt in Musik? Subtiles Songwriting trifft
       bei Moderat immer noch auf sphärische Hymen und Magengrubenbässe, und so
       schließt „ II“ überraschend nahtlos an den Vorgänger an – auch wenn das
       Debütalbum eher ein Experiment war.
       
       Seinerzeit hieß die Frage: Wie kann man die Welten von Apparat und
       Modeselektor zusammenführen? „Jetzt war es so: Sascha, Szary und Gernot
       gehen ins Studio, ohne diesen Klüngel aus unseren eigenen Kosmen.“ Dass sie
       nicht, wie Ring es formuliert, versucht haben, einen „Megamix aus all ihren
       Ticks“ zu basteln, sondern besagtes „Grundgefühl“ auszudrücken, lässt ihr
       neues Album stimmig wirken. Genau wie die Tatsache, dass diesmal keine
       Gastsänger zu hören sind, sondern Ring, stimmlich gewachsen, ganz
       unterschiedliche Nuancen füllt.
       
       Emotionalität ohne Kitsch. Ganz so frisch wie sein Vorgänger klingt „ II“
       nun nicht, was wohl daran liegt, dass in den letzten Jahren im Fahrwasser
       von Dubstep allerhand Bass-Pop entstanden ist und der Moderat-Sound einfach
       nicht mehr neu ist. Trotzdem: „II“ ist ein Grower, es eröffnen sich auch
       beim zwanzigsten Hören neue Nuancen. Eben keine „funktionelle“ Tanzmusik,
       sondern was fürs ganze Leben. Und – obwohl ein Schnappschuss aus dem langen
       Berliner Winter – der Soundtrack für den Sommer.
       
       1 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stephanie Grimm
       
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