# taz.de -- Die Wahrheit: Unter der Nachtsonne
> Teil 5 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um
> Finnland“. Heute heißt das Motto: Mücken am Polarkreis.
IMG Bild: Mücken auf dem Kopf des Autors in der Nacht am Polarkreis.
Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Finne dich selbst“ von Bernd
Gieseking. Ein Jahr später will der Wahrheit-Autor überprüfen, ob auch
alles noch seine Richtigkeit hat, was er seinerzeit über das seltsame Suomi
geschrieben hat. Deshalb umrundet er nun einen Sommer lang für die
Wahrheit, die sonst strikt Umrundungen aller Art ablehnt, Finnland.
Rauma. Gestern Abend angekommen, sehr spät, und ich hatte mir eine „cabin“
(Englisch) gemietet, ein „mökki“ (Finnisch), ein Haus am See, hier auf dem
Zeltplatz. Es gab nur noch eins ohne WC. Also ist alles wie früher.
Anstehen an den Toiletten und im Waschraum. Ich habe ein Zelt mit, das ich
aber seit fünfzehn Jahren nicht mehr aufgebaut habe. Rundum zelten die
Profis. Ich übe das mal in den finnischen Wäldern, nehme ich mir vor, wo
kein Mensch wohnt und wo mir höchstens ein Rentier über die Schulter
schielt.
Ich bekam Lust auf Sauna. „Klar, morgen früh, ab sieben.“ – „Was? Um
sieben?“ – „Bis vierzehn Uhr, immer im Wechsel, Männer, Frauen, gemischt.“
Sauna am Morgen! Das ist hier normal, denn Sauna ist in Finnland kein
Feierabendvergnügen wie bei uns. Eine Sauna zu bauen, ist der Balzakt des
finnischen Männchens. Hineinzugehen ist Teil des täglichen
Hygieneverhaltens. Wie Zähneputzen, und das macht man ja mindestens zweimal
am Tag. Wenn es das Bruttosozialprodukt vertragen würde, würde der Finne
auch zweimal am Tag in die Sauna gehen. Zu welcher Zeit, ist ihm dabei
egal. Hauptsache, er schwitzt.
Der nächste Morgen. Raumas Altstadt ist eine von sieben finnischen
Weltkulturerbestätten. Ein riesiges Areal wunderschöner Holzhäuser, ein
Mischgebiet aus Wohnen und kleinen Shops. Alt. In schlechten Reiseführern
nennt man so etwas „pittoresk“.
Unwillkürlich frage ich mich nach den Dämmwerten, aber in puncto
Raumtemperatur hat der Finne dem Deutschen schon immer was vorgemacht. Wenn
einer weiß, was Kälte ist und wie man sie draußen lässt, dann ist das der
Finne.
Genauso alt wie die Häuser ist das Straßenpflaster. Für Touristinnen in
High Heels ist das, als würden sie den Mount Everest damit besteigen. Ich
spaziere auf Clogs durch die Gassen. Die trage ich, seit ich vierzehn bin.
Die High Heels der Ostwestfalen. Im Vergleich zu Manolo Blahniks ist deren
Absatz zwar eher gebaut wie die Fundamente der Brooklyn Bridge, aber auf
diesem Pflaster sind wir alle gleich.
Nun wird es Zeit, endlich mal Meter zu machen. Ich fahre. Pori, Vaasa,
Pietarsaari, Kokkola, Oulu. Mein nächstes großes Ziel ist Rovaniemi. Ich
will zum Weihnachtsmann! Der wohnt da, oder besser, er residiert da,
inmitten seiner Wichtel, den Weihnachts-„Tonttus“. Und – ha! – er ist sogar
zweimal da, er hat Sprechstunde im „Santa Village“ und im „Santa Park“. Und
zwar gleichzeitig! Angeblich hat „Joulupukki“, oder kurz „Pukki“, wie der
Weihnachtsmann im Finnischen heißt, geheime Wege.
„Pukki“ im Santa Park spricht Englisch mit mir. Dann, keine Viertelstunde
später, im „Village“, spricht er plötzlich auch Deutsch! Das muss Pukki auf
dem zwei Kilometer kurzen Weg hierher grad mal auf die Schnelle gelernt
haben. In der Geschwindigkeit würde ich gern Finnisch lernen.
Santa Park ist eine Art „Disney Land“ unter Tage mit Eisprinzessin,
Tanzshow und gepfeffertem Eintritt. Wenn man Kinder hat, kommt man nicht
dran vorbei. Ich habe keine Kinder. Aber er ist nun mal der Weihnachtsmann,
und ich hatte noch nie das Vergnügen. Also gehe ich hin. Draußen ist Hitze,
drin sitzt Pukki in Mantel und mit Bart. Er sitzt dort quasi in seiner
eigenen Sauna.
Ich habe Wünsche. Er verspricht, dass er mal schaut, was sich machen lässt.
Ich möchte Weltfrieden, Abnehmen ohne Hungern und die Original-Ausgabe der
ersten Folge der Tibor-Comics von 1959. Zumindest Letzteres sollte er
schaffen.
Ob sein Hase ein Foto von uns machen soll, fragt er. „Klar!“ Neben einem
Stoffhasen steht ein Fotoapparat. „Ich habe meinem Hasen-Tonttu die Kamera
geschenkt, und seitdem knipst er, was der Speicherchip hergibt“, sagt
Joulupukki. Die Fotos kosten zwischen 27 und 44 Euro. Ich fotografiere
lieber mein Foto ab. Der weibliche Weihnachtswichtel am Fotostand ist erst
sprachlos, grinst dann aber. Wenn ich an diese Wesen glauben würde, hätte
ich mich vielleicht für den Abend verabreden können.
Ich bin aber schon verabredet und wohne heute privat. Auf Vermittlung von
Väinö, großartiger Pianist, Finne in Berlin, wohne ich heute bei Sara aus
Fulda und Tito aus Porto. Die Endreime sind nicht erfunden.
Um 23.30 Uhr – es ist taghell – treffen wir uns mit Peter, einem Deutschen
mit Hund und Boot. Wir tuckern auf einem Zylinder und mit ein paar Flaschen
Wein den Ounasjoki hoch. Wir fahren Richtung Polarkreis, um Mitternacht, in
gleißender Sonne. Von Mücken bestürmt, stehe ich morgens um zwei am echten
Polarkreis. Peter überprüft das Holzschild am Ufer mit seinem GPS. „Hyvä!“
Gut!
Der Polarkreis ist nicht statisch, sondern bewegt sich. Der Polarstrich in
„Santas Village“, für die Touristen, ist nur aufgemalt. Geografisch ist der
längst gewandert. Da springen Japaner, Polen und Belgier über den ganz
falschen Strich. Der Polarkreis kommt zwar auch irgendwann wieder zurück,
aber das dauert noch ein paar tausend Jahre. (Fortsetzung nächsten
Dienstag)
29 Jul 2013
## AUTOREN
DIR Bernd Gieseking
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