URI: 
       # taz.de -- Kroatiens Küste: Europäischer Standard
       
       > Gastfreundschaft oder Räubermentalität? Eine persönliche Annäherung an
       > die Veränderungen durch Tourismus.
       
   IMG Bild: Auf der kroatischen Insle Krk.
       
       Als ich das erste Mal Mitte der sechziger Jahre die Küste der damaligen
       Jugoslawischen Sozialistischen Republik Kroatien entlangtrampte, waren
       Fischer bereit, dem freakigen ausländischen Jugendlichen ihre speziellen
       Jagdgründe zu zeigen. Am Abend mit Wein und Schnaps gemeinsam die
       gegrillten Fische zu genießen, gehörte selbstverständlich zur
       Gastfreundschaft. Lange vor dem Krieg 1991 bis 1995 war die kroatische
       Küste Anziehungspunkt für Millionen von deutschen und österreichischen
       Touristen.
       
       Sie kamen wegen des glasklaren Wassers der Adria, wegen der
       Sehenswürdigkeiten in Sibenik, Trogir, Split und Dubrovnik. Sie kamen auch
       wegen der damals im Sozialismus niedrigen Preise. Viele hatten sich bei
       Familien an der Küste oder auf den mehr als 1.300 Inseln Kroatiens
       eingemietet und Freundschaft geschlossen. Manche dieser Freundschaften
       halten bis heute an. Die Sehenswürdigkeiten sind gleichgeblieben, die
       Touristen bunter geworden.
       
       Jetzt sind es neben Deutschen, Italienern und Österreichern vor allem
       Urlauber aus Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei, die das slawische
       Meer genießen. Sie haben es sogar in unser Dorf Slatine auf der Insel Ciovo
       geschafft. „Nicht nur die Zusammensetzung der Touristen, vor allem die
       Mentalitäten haben sich verändert“, meint Gerhard, der es wissen muss. Er
       ist ein pensionierter österreichischer Polizist, der mit einer Frau aus dem
       Dorf verheiratet war und seit vierzig Jahren als passionierter Segler die
       Adria durchpflügt. „Es hat sich eine Heiduck-Mentalität breitgemacht“,
       behauptet er.
       
       ## Regionale Produkte werden nicht genutzt
       
       Die Heiducken waren Räuber, hatten wie Robin Hood aber den Ruf, die
       Mächtigen der Welt herauszufordern. Sie überfielen in dem jahrhundertelang
       zum osmanisch-türkischen Reich gehörenden Hinterland Kaufleute und
       Karawanen, kaperten Schiffe Veneziens und der stolzen Republik Ragusa
       (Dubrovnik). Von dem Freiheitskampf ist wenig geblieben, „von der Räuberei
       aber viel“, witzelt Gerhard beim abendlichen Bier am Hafen.
       
       Gab es noch vor zehn Jahren unten an dem kleinen Hafen nur ein während des
       ganzen Jahres geöffnetes Restaurant, wo sich Fischer, Bauern und die
       Touristen bei mäßigen Preisen und gutem Essen mischten und mit manchem
       Liter Wein anstießen, so sind jetzt im Sommer mehrere Restaurants geöffnet.
       Sie arbeiten nur während der Sommersaison.
       
       „Das Essen ist schlecht, die Besitzer kaufen das billigste Zeug im
       Großhandel ein“, sagt Gerhard. Sie kämen gar nicht auf die Idee, die
       schmackhaften lokalen Gemüse, die Zucchini, die im Freien gewachsenen
       Tomaten und Kartoffeln, auf den Speiseplan mit dalmatinischer Küche zu
       setzen, sie nutzten nicht einmal das heimische Olivenöl. „Die Fische
       stammen aus der Zucht und nicht aus dem Meer, die Preise selbst für eine
       Pizza sind höher als in Wien“, empört er sich. Die Besitzer wollten ihre
       Investition schnell amortisieren.
       
       ## Kurzfristiger Profit
       
       „Welcher Gast kommt da ein zweites Mal? Das interessiert diese Leute nicht.
       Für die zählt nur, dass täglich neue Touristen kommen. Das meine ich mit
       Heiducken-Mentalität.“
       
       Kurzfristiger Profit steht gegen langfristiges Denken und Planen, wie
       überall am Mittelmeer. Während das alte Dorf mit seinen jahrhundertealten
       Steinhäusern auf dem Hügel liegt, wurden in den letzten Jahren billig
       gebaute Ferienhäuser direkt an der Küste hochgezogen. Wer mit den günstigen
       Krediten von einst gebaut hat, muss heute hohe Zinsen bedienen.
       
       Manchmal, sehr oft sogar, möchte ich das alles gar nicht wissen. Dann
       flüchte ich unter den Baum oberhalb des Hauses am Rande des Dorfes. Bei
       Sonnenaufgang bietet sich ein herrlicher Blick auf das über 1.000 Meter
       aufsteigende Küstengebirge, das türkisblaue Wasser der Adria, die
       Perlenkette der sieben Wasserburgen von Kastela, die hinter der Halbinsel
       Marian versteckte Stadt Split und deren Hafen, in dem sich die Fährschiffe,
       Fischerboote und die riesigen Kreuzfahrtschiffe treffen. Im Herbst bringt
       der aus dem Süden kommende „Jugo“ Regen und Gewitter.
       
       Das Meer sieht dann grau aus. Wenn der trockene und kalte „Bora“ im Winter
       von dem mit Schnee bedeckten Küstengebirge über das Meer und die Insel
       fegt, brechen sich meterhohe Wellen am Hafen des Dorfes. Die Gischt fliegt
       über die Uferstraße und sammelt sich an den Schutzmauern der Häuser.
       
       Kroatien besitzt eine dramatische Küste. Wer liebliche Sandstrände
       bevorzugt, ist hier fehl am Platze. Ich mag das Dramatische. Und dennoch.
       Wenn nach einem Sturm wieder einmal unzählige Plastikflaschen, Hölzer aus
       achtlos ins Meer gekipptem Bauschutt und andere eklige Überbleibsel unserer
       modernen Kultur an den Felsenstrand meines Dorfes geschwemmt werden, sinkt
       erneut die Stimmung.
       
       ## Kroatien und die EU
       
       Auch wenn die Zeiten vorbei sind, als Autofahrer noch Coladosen achtlos aus
       dem Fenster warfen. Vor Jahren noch verschmutzten am Strand angeschwemmte
       Teerflocken die Pfoten meines Hundes, weil wieder einmal ein Schiff das
       Motorenöl einfach ins Meer abgelassen hatte. Das ist länger nicht mehr
       vorgekommen.
       
       „Jetzt, mit Europa, wird strenger kontrolliert“, sagt Ante, einer der
       wenigen Fischer unseres Dorfes. Vier Monate lang musste sein Boot dieses
       Jahr im Hafen bleiben. Der Fischbestand sollte sich erholen. Das ist
       gelungen. Stolz zeigt er auf die Doraden und die vielen Sardinen, die er
       jetzt verkaufen kann. Mehr Ökologie hat die EU dann doch nicht zugelassen.
       
       Als Kroatien im Jahr 2008 eine ökologische Fischereizone in der Adria
       durchsetzen wollte, stellten sich Italiener und Spanier quer. Das hätte
       ihre Fabrikschiffe eingeschränkt. Vor allem Italiens Expremier Berlusconi
       protestierte. Mit Erfolg. Brüssel zwang dann Zagreb, solche Pläne
       aufzugeben. Für Ante ist die EU, der Kroatien gerade beigetreten ist,
       deswegen nicht gerade populär.
       
       27 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
       ## TAGS
       
   DIR Kroatien
   DIR Tourismus
   DIR Küste
   DIR Reiseland Kroatien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA