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       # taz.de -- Debatte politischer Islam: Kopflose Islamisten
       
       > Mit der Absetzung von Präsident Mursi hat endlich der Niedergang des
       > politischen Islam begonnen. Das ist ein historisches Ereignis.
       
   IMG Bild: Sie werden an ihrer Sturheit scheitern: Muslimbrüder
       
       Es kam anders. Entgegen der Prophezeiung vieler westlichen Experten war der
       Siegeszug des politischen Islam nur von kurzer Dauer. Der zweite
       Volksaufstand in Ägypten vor wenigen Wochen ist dafür der beste Beleg. Die
       beliebte These, dass die arabischen Völker nur entweder von
       Militärdiktaturen oder von Islamisten regiert werden könnten, ist damit
       erwiesenermaßen falsch. Wer predigte, der Westen müsse endlich den
       politischen Islam als Garant von Stabilität akzeptieren und sich ihm
       annähern, sollte schleunigst umdenken.
       
       Sowohl in Istanbul als auch in Kairo zeigten und zeigen die
       Protestbewegungen, dass die politische Herrschaft der Islamisten auf
       heftigen Widerstand breiter Teile der Bevölkerung stößt. Ausgerechnet in
       Ägypten, der historischen Wiege des politischen Islam, setzte eine
       Koalition aus Liberalen, Demokraten und Militärs (sogar mit der passiven
       Unterstützung der Salafisten) den Herrschaftsansprüchen der Muslimbrüder
       ein vorläufiges Ende. Das ist ein historisches Ereignis.
       
       Die Entmachtung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi ein Jahr nach
       seiner Wahl verändert nicht nur die politische Landschaft am Nil, sondern
       wird eine Kettenreaktion auslösen, die die gesamte Region verändern wird.
       Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts befindet sich der politische
       Islam in der Offensive. Nun hat er endlich seine erste schwere Niederlage
       erlitten.
       
       Unabhängig davon, dass das Duell zwischen den Muslimbrüdern auf der einen
       Seite und dem Bündnis von Armee und dem demokratisch-laizistischen Lager
       auf der anderen Seite längst nicht entschieden ist, eines steht bereits so
       gut wie fest: Die Muslimbrüder befinden sich in einer ideellen und
       politischen Sackgasse und verkommen zu einer bloßen Protestbewegung mit dem
       einzigen Ziel, die verlorene Macht um jeden Preis zurückzuerobern und den
       gestürzten Präsidenten Mursi wieder einzusetzen.
       
       ## Versagen auf allen Ebenen
       
       Sie werden an ihrer Sturheit scheitern. Die Mehrheit der Muslimbrüder
       zeigen bis heute nicht das geringste Interesse, ihren politischen Kurs zu
       überdenken. Dabei hat der immerhin zum Ausbruch der gegenwärtigen Krise und
       zu ihrer politischen Isolierung geführt.
       
       Die islamistische Führung hat auf allen Ebenen, politisch, wirtschaftlich
       und sozial, total versagt. Über eine politische Vision für die Entwicklung
       Ägyptens verfügt sie nicht. Die Losung, der Islam sei die Lösung, konnte
       das Fehlen eines politischen Programms nicht kompensieren.
       
       Durch ihre Versuche, den Staat und die Gesellschaft zu islamisieren, trug
       sie nur dazu bei, den Graben zwischen dem laizistischen und religiösen
       Lager zu vertiefen, und verhinderte so eine nationale Diskussion über die
       Zukunft des Landes. Jede Suche nach einem Konsens wurde abgelehnt.
       
       Zudem haben die Islamisten bewiesen, dass sie unfähig sind, staatliche
       Institutionen zu lenken. Ihnen fehlen erfahrene Führungskräfte, denn ihre
       Organisation ist strikt autoritär organisiert und basiert allein auf
       Gehorsam. Führungskompetenzen sind hier nicht gefragt. Dazu kommt ihr
       politischer Konservatismus, der jeder gesellschaftlichen Veränderung
       feindlich gegenübersteht.
       
       ## Armut stieg sprunghaft an
       
       Die politischen Misserfolge der Muslimbrüder konnten nicht durch den
       geringsten Erfolg auf sozialökonomischem Gebiet ausgeglichen werden. Ganz
       im Gegenteil: Arbeitslosigkeit, Inflation, Armut und soziales Elend stiegen
       während der einjährigen Regierungszeit des Präsidenten Mursi sprunghaft an.
       Der Tourismussektor kam fast zum Erliegen. Zudem verlor Ägypten das
       Vertrauen der ausländischen Investoren. In der Folge stieg die Armut massiv
       an.
       
       Das totale politische Versagen der Muslimbrüder hat zu ihrer Entzauberung
       und zum Verlust ihrer politischen Legitimation bei der Mehrheit der Ägypter
       geführt. Nur von der Verschwörung des Militärs zu sprechen ist daher zu
       einfach. Und die Muslimbrüder sind offensichtlich nicht in der Lage, aus
       ihren Fehlern zu lernen und sich den politischen Realitäten des 21.
       Jahrhunderts zu stellen.
       
       Deshalb beharrt die Führung der Islamisten auf ihren selbstmörderischen
       Konfrontationskurs und treibt die Polarisierung der Ägypter weiter voran.
       Trotzdem werden sie scheitern, denn Realpolitik verlangt, dass man
       Kompromisse macht. Und so leitet die politische Niederlage der ägyptischen
       Muslimbrüder, die sich als internationale Bewegung versteht, die Phase des
       Niedergangs des politischen Islam ein. Das hat regionale und internationale
       politische Folgen.
       
       ## Erdogan ist geschwächt
       
       An erster Stelle erlitt die Annäherung des politischen Islam in den Ländern
       der Arabellion mit dem Westen einen harten Rückschlag. Die Muslimbrüder
       haben bewiesen, dass sie nicht in der Lage sind, die westlichen Interessen
       in der Region zu garantieren. Die Tatsache, dass man im Westen nicht die
       Rückkehr des entmachteten ägyptischen Präsidenten, sondern nur seine
       Freilassung verlangt, spricht für sich.
       
       Zu den Hauptverlierern des zweiten Volksaufstands gehört die Achse
       Ankara/Doha, die die muslimische Bruderschaft in Ägypten finanziell und
       politisch unterstützt hat. Die wütende Reaktion des türkischen
       Ministerpräsidenten Erdogan auf die Entmachtung des ägyptischen Präsidenten
       bringt seine Sorge um die türkischen wirtschaftlichen Interessen in Ägypten
       und seine Angst vor einem Aufschwung der türkischen Protestbewegung gegen
       seinen eigenen autoritären Regierungsstil zum Ausdruck.
       
       Das Gleiche gilt für Katar, der als einziger Golfstaat Partei für die
       Muslimbrüder ergriffen hat. Inzwischen führt der von Doha gelenkte
       Fernsehsender al-Dschasira eine beispiellose Medienkampagne gegen die neuen
       ägyptischen Machthaber.
       
       Dass Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate den Sturz
       der ägyptischen Islamisten mit 12 Milliarden US-Dollar für das Nilland
       honoriert haben, gehört zur Ironie der Geschichte. Denn diese Länder
       unterscheiden sich in ihrer Machtausübung kaum von den Muslimbrüdern. Ihre
       Ächtung selbst durch Golfstaaten aber zeigt, dass ihre Zeit abläuft.
       
       26 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Abdel M. Husseini
       
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