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       # taz.de -- Ambrosia in Berlin: Teuflisches Traubenkraut
       
       > Kopfschmerzen, Heuschnupfen und Asthma: Ambrosia blüht in Berlin und
       > belastet die Luft. Doch die Politik schlafe, kritisiert Meteorologe
       > Thomas Dümmel.
       
   IMG Bild: Das Kraut, das schmerzt: die Ambrosia.
       
       Behaarter Stängel, doppelt gefiedertes Blattwerk, jedes Jahr das Gleiche.
       Die Blüten ranken sich wie kleine Trauben um die Stängelspitze: Die
       Ambrosia artemisiifolis wirkt nicht bedrohlich. Doch die Pflanze bedeutet
       ein Gesundheitsrisiko für die Berliner. „Die Ambrosia ist hochallergen und
       eine Gefahr“, warnt der Meteorologe Thomas Dümmel von der Freien
       Universität (FU) Berlin.
       
       Zur Blütezeit verursacht das Traubenkraut Kopfschmerzen und
       Bindehautentzündungen, Atemnot, Heuschnupfen oder sogar Asthma. Bei
       physischem Kontakt können seltener auch Hautirritationen ausgelöst werden.
       Der Pollenkalender der FU prognostiziert von Mitte August bis Ende
       September eine Konzentration von 21 bis 50 Ambrosia-Pollen pro Kubikmeter.
       Für Juli, Oktober und November wird die Belastung etwas geringer geschätzt.
       In der Luft genügen allerdings bereits fünf bis zehn Ambrosia-Pollen pro
       Kubikmeter, um bei allergischen Menschen Asthma auszulösen oder auch
       Nichtallergiker auf die Pollen reagieren zu lassen.
       
       Meteorologe Dümmel ist deshalb wütend, dass der Senat der Ambrosia nicht
       mehr Aufmerksamkeit schenkt: „Die Politik schläft. Die Jobcenter vermitteln
       weniger Ambrosia-Sammler, weil die Gelder gekürzt werden, und das Thema
       verschwindet aus der Öffentlichkeit.“
       
       2009 gründeten das Institut für Meteorologie der FU, die Senatsverwaltung
       für Stadtentwicklung, die Senatsgesundheitsverwaltung sowie das
       Pflanzenschutzamt das „Berliner Aktionsprogramm gegen Ambrosia“. Bürger
       sollten informiert, Pflanzenbestände analysiert und entfernt werden.
       
       ## Ambrosia-Scouts
       
       Seit 2007 vermitteln die Jobcenter in Berlin 1-Euro-Jobber, sogenannte
       Ambrosia-Scouts, die die Pflanzen vor der Blütezeit systematisch aufspüren,
       verzeichnen und vernichten. Das alles per Handarbeit: Von etwa April bis
       Juni durchstreifen behandschuhte Scouts die Bezirke und rupfen Ambrosia.
       
       „Wenn man es schafft, etwa fünf bis sieben Jahre in Folge die wichtigsten
       Fundstellen in einem Bezirk zu bekämpfen, hat der Bezirk die Chance,
       ambrosiafrei zu werden“, sagt Meteorologe Dümmel. Dies gelte aber nur für
       die Art der Ambrosia artemisiifolis, die sich über ihre Samen mehrt. Dass
       die Zahl der Scouts von Jahr zu Jahr sinke, kann Dümmel nicht verstehen.
       
       Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sowie die Senatsverwaltung
       für Umwelt und Stadtentwicklung fühlen sich zur Stellungnahme nicht berufen
       und verweisen an die Bundesagentur für Arbeit. Die Agentur Berlin-Mitte
       zählte dieses Jahr 140 Ambrosia-Pflücker in insgesamt sieben Bezirken. In
       den Jahren 2012 und 2010 wurden noch jeweils 180 Ambrosia-Scouts
       vermittelt. Die Arbeitsagentur Berlin-Mitte beklagt die Einsparungen des
       Bundeshaushalts im Bereich „Arbeit und Soziales“. Gerade strebten die
       Jobcenter eher die Vermittlung auf den Ersten Arbeitsmarkt an, weil für die
       Maßnahmen des Zweiten Arbeitsmarktes das Geld fehle. Deswegen werden
       weniger Ambrosia-Pflücker vermittelt.
       
       Seit etwa 2006 verbreiten sich zwei Arten der Ambrosia im Berliner
       Stadtgebiet. Die Pflanzen wachsen vor allem auf ungenutzten Geländen, alten
       Bahnstationen oder am Wegrand. Im vergangenen Jahr wurden dem
       Meteorologischen Institut 1.118 Funde gemeldet – mehr als eine halbe
       Million Pflanzen. Thomas Dümmel rechnet allerdings mit einer Dunkelziffer
       von bis zu viermal so viel. Dieses Jahr, sagt Dümmel, könne es sich in
       Berlin um bis zu zwei Millionen Pflanzen handeln.
       
       Die Ausbreitung der Ambrosia artemisiifolis beschränkt sich allerdings
       nicht auf Berliner Stadtgebiet – auch in Brandenburg gedeiht die Pflanze.
       Und Berlin spürt die Auswirkungen: Bei ungünstigen Windverhältnissen
       fliegen Brandenburgs Ambrosia-Pollen ins Stadtzentrum.
       
       Eine Pflanze der Ambrosia artemisiifolis produziert im Durchschnitt 4.000
       Samen. Und es ist der Mensch, der die Samen transportiert – im Vogelfutter,
       im Schnittblumen-Saatgut und durch Erdverlagerung bei Bauprojekten.
       Eigenständig kann sich die Ambrosia artemisiifolis kaum zerstreuen, der
       Samen fällt nicht weit vom Stängel. Dümmel: „Man müsste verseuchtes
       Vogelfutter vom Markt nehmen und mehr Ambrosia-Scouts einsetzen, um die
       Pflanzen auszurotten!“
       
       Die Ambrosia psilostachya ist resistenter. Diese Ambrosia-Art vermehrt sich
       über ihr Wurzelwerk vor allem im Ostteil der Stadt. Wieder ist es der
       Mensch, der die Pflanzen streut. Bei Bauarbeiten und Erdumschichtungen wird
       die Ausbreitung der Pflanze gefördert. Und die Ambrosia-Scouts können gegen
       diese Art kaum etwas ausrichten, da sie meist nur den oberen Pflanzenteil
       der Ambrosia entfernen. Von einer „Zeitbombe im Boden“ spricht Dümmel. Um
       die Psilostachya zu vertreiben, müssten die Scouts mit Werkzeugen
       ausgestattet werden, um die Pflanzen zukünftig samt Wurzel zu entfernen.
       Außerdem sollten Abkommen mit der Baubranche die Ausrottung fördern: „Wenn
       es Baufirmen verboten wäre, Ambrosia-verseuchte Erde auf Baustellen zu
       verwenden, müsste jeder Bauherr darauf achten. Sie sollten verseuchte Erde
       auf eigenen Kosten wieder abtransportieren müssen.“
       
       Laut Dümmel darf der Berliner trotz allem hoffen, dass die Pollenbelastung
       2013 nicht so dramatisch wird wie in den Vorjahren. Die Entwicklung ist
       abhängig vom weiteren Verlauf des Sommers: Ambrosia benötigt warme
       Temperaturen, wenig Regen, lange Herbste.
       
       Falls sich der Sommer dieses Jahr also mit der Sonne zurückhalten sollte
       und damit entsprechend weniger Pflanzen zur Blüte kommen, wird sich der
       Ambrosia-Bestand auch im kommenden Jahr verringern.
       
       21 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Milena Menzemer
       
       ## TAGS
       
   DIR Pflanzen
   DIR Artenvielfalt
       
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