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       # taz.de -- Anwohner Hüsein Göktas über Altonaer Unruhe: „Das Problem kennen wir“
       
       > Nach Ausschreitungen zwischen Jugendlichen und Polizei hat Hüsein Göktas
       > den Dialog mit den Beamten gesucht. Ein Gespräch über die gefühlte
       > Vertreibung
       
   IMG Bild: Will zwischen Polizei und Jugendlichen vermitteln: Hüsein Göktas
       
       taz: Herr Göktas, als sich Samstagnacht Polizei und Jugendliche
       gegenüberstanden, haben Sie vermittelt. Was haben Sie zu den Polizisten
       gesagt? 
       
       Hüsein Göktas: Ich habe gefragt: Wollen Sie die Leute hier wegschleppen?
       Sie haben geantwortet: Nein. Ich sagte: Ich kann mit ihnen reden. Dann
       werden sie sich zurückziehen. Die Polizisten antworteten: Dann werden wir
       uns auch zurückziehen. Und so war es dann auch.
       
       Donnerstagnacht, als es zu den Ausschreitungen kam, lief das anders. Da
       ließen die Polizisten Sie nicht zu den Jugendlichen. 
       
       Ich habe es versucht. Aber die Polizisten haben gesagt: Die haben
       Laserpointer und jetzt nehmen wir die Pässe.
       
       Waren Sie schon dort, als das passierte? 
       
       Ich kam zehn Minuten später. Ich hatte gegessen und sah aus dem Fenster,
       dass die Jungs festgenommen wurden. Ich hörte die Schreie und sah die
       Polizei.
       
       Was bedeutet dieser Vorfall für die Familien in der Nachbarschaft? 
       
       Die Nachbarn sagen: Es ist schlimm, dass so etwas passiert ist. Aber jetzt
       können wir unsere Probleme besser ausdrücken. Den Jugendlichen in Altonas
       Altstadt wurden so viele Flächen genommen. Fußballplätze, zum Beispiel. Wo
       sollen sie jetzt hingehen? Warum tut der Staat nichts für die Kinder?
       
       Was ist denn aus den Fußballplätzen geworden? 
       
       Auf einem steht jetzt ein Schwimmbad.
       
       Weshalb bringen Sie diese Veränderungen mit den Polizeieinsätzen in
       Verbindung? 
       
       Seit einem Jahr sind es mehr geworden. Als Ikea angefangen hat zu bauen,
       ist das Problem entstanden.
       
       Warum glauben Sie, dass das etwas mit Ikea zu tun hat? 
       
       Ich weiß nicht. Ich weiß aber, dass Ausländer hier in Altona keine
       Wohnungen mehr bekommen. Das habe ich gehört. Das ist die Politik, das habe
       ich auch schon in den 90er-Jahren erlebt. Damals haben sie die Ausländer,
       Drogenabhängigen und Alkoholiker nach Mümmelmannsberg abgeschoben. Das
       Problem kennen wir.
       
       Haben Sie das selbst erfahren? 
       
       Ich musste mit meiner Familie aus dem Karolinenviertel wegziehen. Die Steg
       (Stadterneuerungsgesellschaft, Anm. d. Red.) hat gesagt, sie will sanieren,
       deswegen sind wir hierhergekommen. Aber das Haus ist bis heute nicht
       saniert worden.
       
       Woher wissen Sie, dass Vermieter hier nicht mehr an Leute mit
       Migrationshintergrund vermieten? 
       
       Das merkt man.
       
       Wann ist es für die Leute hier schwieriger geworden? 
       
       Bei der Ausbildung haben es Ausländer meistens schwer. Letztens hat jemand
       zu mir gesagt, dass es genug Ausbildungsplätze bei Aldi, Toom Markt oder
       Lidl gibt. Doch meine Tochter hat über hundert Bewerbungen verschickt. Alle
       haben ihr gesagt, sie hätten momentan nichts für sie, bestimmt, weil sie
       ein Kopftuch trägt.
       
       Wie gehen Sie mit solchen Rückschlägen um? 
       
       Wir versuchen, uns in der Nachbarschaft untereinander auf den Beinen zu
       halten. Ich versuche, Brötchen und Kuchen von einer Bäckerei, bevor sie
       weggeschmissen werden, an die Armen und Bedürftigen zu verteilen. Meine
       Nachbarin, eine deutsche Frau, hat zum Beispiel sieben Kinder. Die kriegen
       jedes Mal Brot.
       
       Viele Deutsche kennen das Fastenbrechen nicht. Stoßen muslimische
       Jugendliche deshalb auf Unverständnis, wenn sie im Ramadan nach
       Sonnenuntergang draußen sind? 
       
       Wenn Silvester oder Weihnachten kommt, feiern wir doch auch mit. Wir sind
       alle Kinder Adams und Evas. Wie kann man über seine Brüder und Schwestern
       etwas Schlechtes denken?
       
       Haben Sie diesen Eindruck? 
       
       Nein, jeder denkt für sich selbst.
       
       In dem Kiosk, vor dem sich die Jugendlichen treffen, liegen jetzt
       Anstecker, auf denen „Stoppt Rassismus“ steht. Viele haben gesagt: Wir
       gehen auf die Straße und wehren uns. Unterstützen Sie das? 
       
       Ich habe mit ihnen geredet. Das will keiner mehr machen. Sie sind hier im
       Stadtteil, sitzen auf der Straße, essen und trinken. Das ist alles. Auch
       die deutschen Nachbarn sagen: Es ist gut, dass die Polizei diese Fehler
       gemacht hat. Jetzt sprechen wir noch mehr miteinander.
       
       16 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lena Kaiser
   DIR Kristiana Ludwig
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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