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       # taz.de -- Emanzipationsroman „Was mir zusteht“: Hausfrauennöte und Todesangst
       
       > Parinoush Saniees Roman „Was mir zusteht“ wurde im Iran zum
       > Emanzipations-Bestseller. Er erzählt von einem extraordinären
       > Frauenleben.
       
   IMG Bild: Saniee erforschte die Lebensumstände iranischer Frauen.
       
       Ein Zimmer für sich allein wünschte Virginia Woolf einst den Frauen. Die
       Iranerin Masumeh Sadeghi darf als junge Frau noch nicht einmal eine
       Schublade ihr eigen nennen. Privatsphäre Fehlanzeige.
       
       In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wird Masumeh in eine recht
       traditionelle iranische Familie hineingeboren, bekommt aber erst, als sie
       sich in den Steve McQueen ähnelnden Apothekengehilfen verguckt, die ganze
       Härte der patriarchalischen Gesellschaft am jungen Leib zu spüren. Sie wird
       zwangsverheiratet und hat mit ihrem Ehemann Hamid Glück und Pech zugleich.
       
       Er ist ein emanzipierter Geist, politisch aktiver Kommunist, der im
       Untergrund gegen das Schah-Regime opponiert. Er lässt seiner Frau alle
       Freiheiten, verbittet sich aber Gebete und weibliches Getue und ist
       obendrein so gut wie nie zu Hause, wobei er seine eigene Familie auch noch
       in Todesgefahr bringt.
       
       Die Soziologin und Psychologin Parinoush Saniee erzählt ihren ersten Roman
       aus der Sicht ihrer Protagonistin Masumeh. Ihr Leben entfaltet sich dabei
       im Wechsel der Jahreszeiten vor unseren Augen und damit auch die
       unheilvolle Geschichte des Iran von den fünfziger Jahren bis zum Ende des
       ersten Golfkriegs. Der Roman ist bereits vor zehn Jahren im Iran erschienen
       und wurde dort ein Bestseller, wobei die Regierung Nachdrucke immer wieder
       zu verhindern suchte. Vergeblich. Vor zwei Jahren erschien schon die 21.
       Auflage. 2010 erschien das Buch dann in Italien, jetzt in der ganzen Welt.
       
       ## Sittengemälde des Landes
       
       Auch hierzulande könnte es ein Erfolg werden, was an der eingängigen
       Erzählweise wie der packenden Handlung liegt. Saniee versteht es nämlich,
       unterschiedliche Leseranforderungen mit ihrem Roman zu bedienen. Er bietet
       außer einer dramaturgisch hübsch aufgebauten Lovestory auch einen
       anrührenden Eheroman wie ein Sittengemälde des Landes über Jahrzehnte
       hinweg und erzählt obendrein die Geschichte einer höchst talentierten
       Mutter und halbwegs emanzipierten Frau.
       
       Das alles zentriert sich im Leben der Masumeh Sadeghi, die sich in
       unterschiedlichen Rollen zu bewähren sucht: als Tochter, als Ehefrau, als
       Mutter, als Studentin, als Hausfrau, als Gattin eines politischen Häftlings
       und so fort. Davon erzählt sie in einer schnickschnacklosen Sprache, die ab
       und an durchaus mit rosamundepilcherhaften Bildern operiert, was auch dem
       blumigen iranischen Sprachgebrauch geschuldet sein dürfte.
       
       ## Tiefe Einblicke in den Schädel einer Frau
       
       Das Buch ist dennoch in einfacher Sprache erzählt und bietet seinen Lesern
       in erster Linie Anschauungsmaterial, nicht Analyse, was den iranischen
       Zensurbestimmungen entgegenkommen dürfte. Dabei steht alles drin, und
       gerade das, was uns die Autorin verwehrt, gewährt tiefe Einblicke in den
       Schädel einer Frau, die zwar ihren Platz in der Gesellschaft suchen muss,
       aber doch Teil von dieser ist und sein will und damit ein Wertesystem
       vertritt, das hierzulande vielen fremd vorkommt.
       
       Der Begriff der Scham ist dabei essenziell für die Handlungen und
       Überzeugungen der Protagonisten. Dabei wird in dem Buch schön deutlich, was
       Auslandsaufenthalte bewirken können, wie sie Systeme sehr sachte ins Wanken
       bringen. Der Roman basiert auf Saniees Recherchen über die Lebensumstände
       iranischer Frauen der vergangenen 50 Jahre.
       
       Ausgesprochen gern begleitet man ihre aufgeweckte Protagonistin, die man
       die meiste Zeit als Heldin bezeichnen möchte, durch ihr atemberaubendes
       Leben, bewältigt die Geburt dreier Kinder mit ihr wie die Hausfrauennöte,
       die Todesangst um den eigenen Mann, den Sturz des Schah-Regimes, die
       verfrühten Teheraner Frühlingsgefühle, den religiösen Eroberungswahn
       Chomeinis, die Islamische Revolution und den langen Krieg mit dem Irak.
       
       Zuweilen fühlt man sich belästigt von der stilistischen Einfalt, dann
       wieder packt einen diese Geschichte, die ein ebenso exemplarisches wie
       extraordinäres Frauenleben präsentiert, in ihrem schauderhaften
       Wirklichkeitssinn unmittelbar. Am Ende des Romans ist Masumeh 51 Jahre alt,
       ihre Haare sind grau, ihre Kinder erwachsen, und es herrscht wieder Frieden
       im Land. Ein Happy End sieht trotzdem anders aus. Zumindest in unseren
       Augen.
       
       Parinoush Saniee: „Was mir zusteht“. Deutsch von Bettina Friedrich. Knaus
       Verlag, München 2013, 479 Seiten, 19,99 Euro
       
       16 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Shirin Sojitrawalla
       
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