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       # taz.de -- Proteste in Brasilien: Rote Fahnen, wenig Likes
       
       > Streiks und Verkehrsblockaden: Am Donnerstag waren es die Gewerkschaften
       > und linke Parteien, die auf die Straße gingen. Doch die Protestwelle hat
       > ihren Zenit überschritten.
       
   IMG Bild: Das Demopersonal vom Donnerstag: mehr Kader, weniger „Freunde“.
       
       RIO DE JANEIRO taz | In Brasilien wird wieder demonstriert. Am Donnerstag
       gingen Zehntausende landesweit auf die Straßen, blockierten Autobahnen oder
       streikten. Es waren aber nicht solche Massenproteste, wie sie im Juni das
       Land völlig überraschend überrollt hatten. Diesmal hatten die großen
       Gewerkschaftsverbände zu einem Streik- und Aktionstag aufgerufen; rote
       Fahnen der organisierten Arbeiterschaft und linker Parteien prägten die
       meisten Protestzüge.
       
       Hunderttausende legten in allen großen Städten die Arbeit nieder. Viele
       Schulen, Universitäten, aber auch Banken und Postfilialen blieben
       geschlossen. Unzählige kleine Blockadeaktionen und Demonstrationen brachten
       den Verkehr an vielen Orten zeitweise zum erliegen. In den Metropolen São
       Paulo und Rio de Janeiro versammelten sich jeweils über zehntausend
       Menschen zu mehreren Protestzügen. In den Abendstunden kam es zu
       Auseinandersetzungen mit der Polizei, die die Menschen mit Tränengas von
       den Straßen vertrieben.
       
       Gewerkschaftliche Themen bestimmten das Bild. Die Demonstranten forderten
       die 40-Stundenwoche, einen angemessenen Mindestlohn und ein Ende der
       Privatisierung von Bodenschätzen oder im Gesundheitsbereich.
       
       Die Landlosenbewegung MST, die ebenfalls zu dem Aktionstag aufgerufen
       hatte, kritisierte die stagnierende Landreform und das Primat der
       industriellen Agrarwirtschaft. Aber auch die Forderungen der vergangenen
       Wochen waren präsent, unter anderem mehr Geld für öffentliche
       Dienstleistungen und die Absetzung von korrupten Stadtverwaltungen.
       
       In vielen Städten waren auch private Medien, vor allem der übermächtige
       Konzern „Globo“ Ziel von Demonstrationen. Fernsehsendern und Zeitungen wird
       vorgeworfen, sehr selektiv über die Proteste zu berichten und die Aussagen
       der breiten Bewegung im Sinne der rechten Opposition zu manipulieren.
       
       Die Forderung, den Mediensektor und insbesondere die Verteilung
       öffentlicher Frequenzen endlich entsprechend den Vorgaben der Verfassung zu
       reglementieren, stößt bei der Mitte-Links-Regierung der Arbeiterpartei (PT)
       seit Jahren auf taube Ohren.
       
       ## Die Jungen blieben daheim
       
       „Nein, ich glaube nicht, dass wieder so viele Menschen auf die Straße gehen
       werden. auf Facebook spielt dieser Aktionstag kaum eine Rolle,“ hatte ein
       junger Taxifahrer am Abend zuvor gemutmaßt. „Es sind doch die altbekannten
       Organisationen und auch Parteien, die dazu aufrufen, genau jene, denen die
       Leute nicht mehr trauen.“
       
       Er sollte recht behalten. Viele insbesondere junge Menschen waren am
       Donnerstag zu Hause geblieben, es war nicht ihre Demo. Bei den Protestzügen
       im Juni waren dagegen die Embleme linker Parteien oder Organisationen kaum
       sichtber gewesen und wenn, dann wurden ihre Träger ausgebuht oder sogar
       tätlich angegriffen. Nicht, weil die Mehrheit der Demonstranten Rechte
       waren. Aber rote Fahnen werden mit der PT identifiziert, der es nicht
       gelungen ist, einen anderen, weniger korrupten und effizienteren
       Regierungsstil zu entwickeln.
       
       Nun ist die große Protestwelle mit dem Ende des Confed-Cup ebenso plötzlich
       verebbt wie sie begonnen hatte. Sei es, weil der Elan erschöpft ist oder
       weil Präsidentin Dilma Rousseff in allen Punkten Entgegenkommen
       signalisiert.
       
       Aber ihre politische Wirkung hält an. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass der
       Kongress neue Gesetze entsprechend dem Unmut der Straße verabschiedet:
       Senatoren dürfen jetzt keine Familienangehörigen mehr als Nachrücker
       benennen, geheime Abstimmungen soll es nicht mehr geben, die Ausgaben der
       öffentlichen Hand werden allerlei Regeln unterworfen.
       
       Und täglich gibt es neue Berichte über führende Politiker, die
       Militärflugzeuge oder Hubschrauber für Fahrten ins Wochenendhaus, zu
       Hochzeiten oder gar zu Fußballspielen im Maracanã nutzten.
       
       ## Konstruktive Antwort droht zu versickern
       
       Die Proteste gehen zudem abseits der metropolitanen Zentren weiter.
       Vielerorts werden Rathäuser und Stadtparlamente besetzt, kleine
       Demonstrationen fordern die Absetzung bestimmter Politiker und nutzen die
       Aufruhr im Land, um auf alteingesessene Missstände aufmerksam zu machen.
       
       Für Präsidentin Rousseff ist die Lage kompliziert. Der Protesttag vom
       Donnerstag war zwar eher eine Unterstützung, da die Forderungen an sie
       gestellt wurden, ohne sie selbst und schon gar nicht die regierende PT in
       Frage zu stellen. Doch ihre konstruktive Antwort auf die diffuse
       Protestwelle droht im politischen Intrigenspiel in Brasilia unterzugehen.
       
       Das Plebiszit zur Durchsetzung einer Politikreform scheiterte am Streit der
       Koalitionsparteien und ist nun auf später verschoben worden. Auch andere
       versprochene Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Dienste stoßen auf
       Widerstand – jede Partei, jedes Gremium will sich selbst in den Vordergrund
       drängen. Zugleich sind die Umfragewerte von Rouseff steil abgestürzt, wie
       auch die der meisten anderen Mandatsträger.
       
       12 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Behn
       
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