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       # taz.de -- Arne Vogelsang über NSU in den Medien: „Da entsteht eine permanente Krise“
       
       > Das Projekt Untergrund – Eine Prozessbeobachtung wurde gerade mit dem
       > Bremer Autoren- und Produzentenpreis der Schwankhalle ausgezeichnet.
       > Regisseur Arne Vogelgesang über den NSU als Medienphänomen und das
       > Problem des Theaters, der aktuellen Entwicklung immer hinterherzuhinken.
       
   IMG Bild: Kann Theatermacher wie Arne Vogelgesang nur als Medienphänomen interessieren: Beate Zschäpe beim NSU-Prozessauftakt in München.
       
       taz: Kaum hat der NSU-Prozess begonnen, schon wollen Sie eine Performance
       daraus machen. Warum, Herr Vogelgesang? 
       
       Arne Vogelgesang: Was mich interessiert, ist der mediale Umgang damit. Es
       gibt dazu auch im kommenden Jahr ein Partnerprojekt, in dem es um den
       Massenmörder Anders Behring Breivik, die Islamfeindlichkeit und den
       deutschen Dschihadismus geht. Beide Projekte zusammen sind eine
       Möglichkeit, mal eine Topographie der radikaleren Redeweisen aufzustellen.
       Da bietet sich die NSU an.
       
       Der NSU interessiert Sie also nur als Medienphänomen? 
       
       Es kann mich nur als Medienphänomen interessieren! Wir sind ja keine
       Journalisten, wir können und wollen das nicht duplizieren. Ich sehe unsere
       Arbeit paradoxerweise viel mehr auf der Konsumentenseite, obwohl wir ja
       Kunstproduzenten sind.
       
       Ein Prozess hat ja an sich schon sehr theatrale Züge. Wie kann man daraus
       Theater machen? 
       
       Dieser ganze NSU, so hat man das Gefühl, ist schon Theater – die spielen ja
       zum Teil die RAF nach. Nur stehen im Theater die Toten spätestens nach dem
       Applaus am Ende wieder auf. Das ist ein grundsätzliches Problem für Theater
       heutzutage, weil extrem viel über Repräsentation läuft. Das ganze Internet
       ist ein riesiges Theater, vor allen Dingen in den sozialen Medien. Es ist
       aber eben auch eine soziale Realität erster Ordnung.
       
       Und Sie sind nicht der Erste, der auf die Idee kommt, ein Stück über den
       NSU zu machen. 
       
       Ja, im Kulturbereich schießen die Projekte dazu jetzt wie Pilze aus dem
       Boden. Einerseits arbeitet man sich an politischer Aktualität ab und
       verspricht sich einen Aufmerksamkeitsmehrwert. Andererseits hechelt man der
       Entwicklung immer hinterher. Das ist Teil unseres Konzepts: Es ist ja ein
       Projekt über ein Projekt.
       
       Wie sieht das genau aus? 
       
       Es geht um eine Gruppe aus sehr engagierten jungen Leuten, die teils aus
       dem Theater, teils aus dem politischen Bereich kommen. Sie glauben, es ist
       wichtig, ein Stück über den NSU zu machen. Wissen aber nicht genau, warum
       eigentlich. Geht es um Information, um Meinung, darum politisch aktiv zu
       sein. Das ist eine komische Gemengelage. Sie nehmen das Stück in Angriff
       und es geht grauenvoll schief.
       
       Warum? 
       
       Das eine Problem in der Gruppe sind die politischen Positionen, die sie
       nicht geklärt haben. Aber man hat auch ein riesiges Darstellungsproblem.
       Die Frage ist, wie finde ich mich in diesen ganzen Projektionen über den
       NSU zurecht, wenn ich an Beate Zschäpe nicht rankomme? Die klassische
       Herangehensweise wäre ja ein Monologstück, nachdem man lange mit ihr
       geredet hat. Das geht nicht. Das veröffentlichte Material besteht aber
       schon aus Fiktionen.Darin verfängt man sich – weil das Theater nicht viele
       Techniken für die Darstellung der Darstellung von Menschen entwickelt hat.
       
       Was sagt uns das über politisches Theater überhaupt? 
       
       Brecht sprach vom Gebrauchswert des Theaters – aber der ist schwer zu
       fassen. Der politische Gebrauchswert ist wohl gering – er kann sehr groß
       sein, aber dann ist es vielleicht nicht der intendierte. Ein Theaterstück
       ist ja kein Hammer, mit dem man auf etwas einschlägt – auch wenn man sich
       das manchmal wünscht.
       
       Also ist Ihr Stück eines über das Scheitern von Theater? 
       
       Das ist eine schwierige Balance, die wir da versuchen. Auf der einen Seite
       finde ich es heikel, überhaupt an diese politisierten Materialien
       ranzugehen. Und es geht ja um einen schwerwiegenden Sachverhalt, darum, das
       Leute umgebracht wurden. Auf der anderen Seite erzählen wir das vermittelt
       durch die Darstellung der theatralen Bearbeitung all dessen. Da ist die
       Frage: Wer instrumentalisiert da wen?
       
       Ist die freie Theatergruppe real*theater*kollektiv, die Ihr Stück trägt,
       ein Fake? 
       
       Die Gruppe wird es wirklich gegeben haben, sie muss das Stück ja probieren.
       Aber es ist trotzdem auch Scripted Reality: Wir steuern den
       Produktionsprozess so, dass er gegen die Wand läuft. Das werden wir
       dokumentieren und daraus das eigentliche Stück machen.
       
       Und am Ende steht eine dann „Mockumentary“? 
       
       So könnte man es nennen.
       
       Wie viel von der Beobachtung des NSU-Prozesses wird dann übrig bleiben? 
       
       Schwer zu sagen! Die Frage ist auch, wie viel NSU ist am Anfang überhaupt
       drin – bei dem ganzen Material, das wir gerade ansammeln. Es geht aber
       nicht nur um diese drei Leute des NSU – sondern um ein deutsches Problem.
       
       Welches? 
       
       Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und ein prekärer Umgang mit Gewalt, Hass.
       Viele fragen: Wie konnten die drei so lange unerkannt morden? Naheliegender
       wäre doch die Frage: Warum waren es nur drei, hat der „Untergrund“ nur eine
       Zelle? Die ideologischen Übergänge zwischen „extrem“ und „normal“ sind ja
       fließend.
       
       All die anderen Stücke zum NSU-Komplex – ist das Konkurrenz für Sie oder
       Material und Teil Ihres Konzepts? 
       
       Beides. Und das ist eine total befreiende Situation. Das Theater ist auch
       ein Markt – wenn man eine Idee hat, versucht man, das geheim zu halten und
       möglichst schnell damit durchzukommen, immer in der Angst, jemand anders
       könnte es vorher machen. Man steht unter einem Neuheitsdruck, gerade bei
       politischen Themen. Die fiktive Theatergruppe muss das nicht ausblenden,
       sie kann darüber sprechen.
       
       Also doch keine Konkurrenz? 
       
       Wir können uns dem nicht entziehen. Und das ist auch eine Verbindung in
       andere, emotionale Bereiche – zum Beispiel zu dem Hass, der einen als
       freien Theatermacher überfällt, wenn man abends vor dem Rechner sieht, dass
       „die anderen“ einen Erfolg haben, den man selbst nicht hat. Da entsteht
       eine permanente Krise, ein Gefühl, das weit von künstlerischer Solidarität
       entfernt ist. Das ist für kreative Arbeit im Grunde total schädlich.
       
       Aber Sie bekommen jetzt 15.000 Euro Preisgeld und können sich entspannt
       zurücklehnen, oder? 
       
       Der Preis ist großartig für uns, klar. Man ist etwas wert, kann gekauft
       werden. Mit dem Geld kann ein größerer Teil des Projekts durchgeführt
       werden. Und die Chancen, noch mehr Geld zu bekommen, wenn man welches hat,
       sind ganz gut. Das ist ja meist das Förderprinzip. Aber ob am Ende eine
       gute Arbeit steht, wissen wir auch nicht. Doch ohne die Möglichkeit des
       Scheiterns wird es auch keine Kunst.
       
       12 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
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