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       # taz.de -- Nebenkläger beim NSU-Prozess: Wieder die dunkle Fahrradbekleidung
       
       > Heftige Wortgefechte im NSU-Prozess: Nebenkläger halten einem Ermittler
       > vor, im Mordfall Habil Kılıç nicht die richtige Spur verfolgt zu haben.
       
   IMG Bild: Von Nebenklägern und dem Richter unter Druck gesetzt: Der frühere Ermittler Franz Josef Wilfling.
       
       MÜNCHEN taz | Beim NSU-Prozess haben Angehörige und Vertreter der
       Nebenklage am Donnerstag die Ermittlungsarbeit der Polizei heftig
       kritisiert. Am 22. Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht in München
       wurde der Mord an Habil Kılıç, einem türkischstämmigen Gemüsehändler,
       untersucht. Der damals 38-Jährige war Ende August 2011 in seinem Geschäft
       in München-Rahmersdorf erschossen worden.
       
       Kılıç war das mutmaßlich vierte Opfer, das laut Anklage dem
       „Nationalsozialistischen Untergrund“, bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe
       Böhnhardt und Beate Zschäpe angelastet wird. Die Polizei hatte aber in
       erster Linie im Umfeld des Opfers nach Verstrickungen in die organisierte
       Kriminalität gesucht, statt der Spur von zwei Radfahrern nachzugehen, die
       Zeugen am Tatort gesehen hatten.
       
       Die Schwiegermutter des Opfers berichtete am Donnerstagnachmittag in
       bewegenden Worten, dass ihr erst nach dreieinhalb-stündiger Vernehmung vom
       Tod ihres Schwiegersohnes berichtet worden sei. Zuerst habe man sie
       ausgefragt und wie eine Verdächtige behandelt: „Wie haben sie sich mit
       ihrem Schwiegersohn verstanden, hat mich die Polizistin gefragt“, erklärte
       die Rentnerin, „und ob ich mit ihm Streit hatte.“
       
       Aus den Akten, die der vorsitzende Richter zitierte, geht jedoch hervor,
       dass die Frau am Vernehmungstag sehr erregt und verwirrt gewesen war. Auch
       datierte sie die Uhrzeit der Vernehmung auf den Vormittag, obwohl der Mord
       laut der Ermittlungen erst am Nachmittag verübt wurde.
       
       ## Tochter sollte Schulverweis bekommen
       
       „Vor dem Mord war alles perfekt“, sagt die 73-Jährige. Doch danach hätten
       die zahlreichen Vermutungen, über die in den Medien immer wieder berichtet
       wurden, das Leben der Familie schwer belastet. „Frauengeschichten,
       Rauschgift, wer will schon etwas mit meiner Mörderfamilie zu tun haben“,
       sagte sie.
       
       Die Wohnung der Familie sei nach der polizeilichen Durchsuchung unbewohnbar
       gewesen. Und die Schule, auf der die zum damaligen Zeitpunkt 10-jährige
       Tochter ging, habe das Mädchen des Unterrichts verweisen wollen, aus Angst,
       andere Kinder könnten Opfer eines Anschlags werden.
       
       Zwei Kopfschüsse hatten den damals 38-jährigen Einzelhändler hinter der
       Theke seines Obst- und Gemüsegeschäfts niedergestreckt. Die Ladentüre stand
       offen. Kurz vor dem Mord hatten Kunden dort eingekauft. Auch die
       Polizeistation war nicht weit entfernt. Ebenso wie beim Mord an dem
       Blumenhändler Enver Şimşek, der an einer vielbefahrenen Straße in Nürnberg
       in seinem Transporter erschossen worden war, hatten die Täter offenbar
       keinen abgeschiedenen Ort gesucht.
       
       Wie die Witwe der Ermordeten vor Gericht berichtete, war es Zufall, dass
       Kılıç zur Tatzeit im Laden war. Eigentlich habe sie das Geschäft geführt,
       berichtet die 51-Jährige, der die Aussage sichtlich schwer viel. Er habe
       sie während ihres Türkeiurlaubs vertreten. Das Geschäft habe sie direkt
       nach dem Mord verkauft, berichtete die Frau. „Da war ein Blutbad“, sagte
       sie. „Ich konnte da nicht mehr rein gehen.“ Auch die Hauptangeklagte Beate
       Zschäpe sprach sie direkt an.
       
       ## „Warum haben sie nicht in diese Richtung ermittelt?“
       
       Laut Anklage wird Zschäpe Mittäterschaft in allen zehn Modern und zwei
       Sprengstoffanschlägen zur Last gelegt. „Er wollte nur sein Geld verdienen,
       sonst nichts“, sagte sie zu Zschäpe gewandt. Diese hob den Blick jedoch
       nicht von ihrem Bildschirm.
       
       Es habe viele Zeugenaussagen gegeben, berichtet der Kriminalbeamte, der die
       Ermittlungen im Mordfall Kılıç leitete, jedoch außer einem gefundenen
       Projektil keine relevante Spur. So hätten zwei unmittelbare Nachbarinnen
       unabhängig voneinander ausgesagt, einen dunkelhäutigen Mann gesehen zu
       haben, der aus dem Laden rannt und in einen dunklen Mercedes sprang, der
       daraufhin mit quietschenden Reifen davon fuhr. Im Nachhinein habe sich
       herausgestellt, dass die Aussagen erfunden gewesen seien, so der ehemalige
       Kommissar.
       
       Eine Spur indes, hätte die Fahnder womöglich schon damals zu Böhnhardt und
       Mundlos führen können: Zwei weitere Nachbarinnen hatten zwei junge,
       schlanke Männer in dunkler Fahrradbekleidung beobachtet. Eine Parallele zum
       Mordfall Şimşek im September 2000. Auch dort hatte ein Zeuge zwei Männer in
       dunkler Fahrradbekleidung am Blumenstand des Opfers beobachtet und
       „metallische Schläge“ gehört.
       
       „Warum haben sie nicht in diese Richtung ermittelt“, fragte Rechtsanwalt
       Adnan Menderes Erdal, der einen Verletzten des 2004 verübten
       Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt, den Ermittler
       aufgebracht. „Es ist kein Geheimnis, dass es in Deutschland kranke Menschen
       gibt.“ Die Zeugenaussage aus Nürnberg sei ihm nicht bekannt gewesen, sagte
       der Beamte. Man habe zwar nach den beiden Radfahrern gefahndet, jedoch ohne
       Erfolg.
       
       Diese Erklärung wollten einige Nebenklagevertreter nicht hinnehmen und
       fragte immer wieder nach. „Wir alle hätten diese Serie gerne geklärt“,
       rechtfertigte sich der Beamte, hörbar erregt. Man dürfe die damaligen
       Ermittlungen nicht im Lichte der heutigen Erkenntnisse beurteilen,
       verteidigte er sich. „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das die
       Täter waren.“
       
       In Kooperation mit [1][Radio Lora München].
       
       11 Jul 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://lora924.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marlene Halser
       
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