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       # taz.de -- Technikphilosoph über Spähprogramme: „Das waren offene Geheimnisse“
       
       > Physiker und Philosoph Sandro Gaycken über die Ausspähpraktiken der
       > Geheimdienste, das Problem der Innentäter und unangebrachte Panik.
       
   IMG Bild: Rund und neugierig. Die ehemalige Abhörstation der NSA in Bayern.
       
       taz: Herr Gaycken, hat Edward Snowden, als er die umfassenden
       Ausspähpraktiken diverser Geheimdienste enthüllte und offenlegte, dass etwa
       die US-Behörde NSA allein in Deutschland auf monatlich rund 500 Millionen
       Kommunikationsvorgänge zugreift, auch Detailinformationen präsentiert, die
       Sie überrascht haben? 
       
       Sandro Gaycken: Nein. In der Sicherheits-Community waren das offene
       Geheimnisse. Es gab nur keine Beweise. Politisch und auch für Leute, die
       persönlich betroffen sind, ist es natürlich ein Unterschied, ob ich etwas
       im Prinzip weiß oder konkret weiß, dass jemand Zugriff auf meine Daten hat.
       
       Constanze Kurz, mit der Sie 2008 das Buch „1984.exe“ herausgegeben haben,
       hat kürzlich in der Sendung „Anne Will“ gesagt, die deutschen Unternehmen
       müssten Verschlüsselungspraktiken einführen, um gegen Industriespionage
       gewappnet zu sein. Gibt es denn Firmen, die bereits gut gegen Angriffe
       gerüstet sind? 
       
       Ja, wobei das auch eine Bewegung ist, die erst in den letzten Jahren
       losgetreten wurde. Viele kleine und mittelständische Unternehmen, die sich
       jetzt bemühen, etwas zu tun, haben aber gerade das Problem, dass es nicht
       so viele Anbieter gibt, die einem verständlich machen können, was man denn
       eigentlich braucht. Das habe ich in diesem Sommer gerade erlebt, bei
       verschiedenen Konferenzen mit mittelständischen Unternehmen. Das
       Bewusstsein ist da.
       
       Für größere Unternehmen wie Siemens gilt das natürlich schon länger.
       Dennoch haben Firmen dieser Größenordnung auch noch recht substanzielle
       Probleme, weil relativ viel Geld im Spiel und also das Interesse relativ
       groß ist, da reinzukommen. Die haben wie die NSA viel mit „Innentätern“ zu
       kämpfen – und mit Spezialangriffen, mit denen keiner rechnet.
       
       Sie sind selbst als Berater tätig. Was raten Sie jenen, die ihre Expertise
       anfordern? 
       
       Ich rate denen, erst einmal kritisch zu sein mit dem Markt. Der ist
       hierzulande unterentwickelt. Einige Produkte haben ein neues Label
       bekommen, aber letztlich ist es die gleiche Soße wie vor fünf Jahren.
       Einige Spezialfirmen aus den USA bieten mehr an, aber die sind dann auch
       gleich exorbitant teuer. Da ist es insbesondere für mittelständische
       Unternehmen schwierig, sich das überhaupt anzuschaffen.
       
       Wichtig ist: Sich schlau zu machen, was man eigentlich genau braucht. Denn
       wenn man Mist gekauft hat, bleibt man darauf sitzen. Wer Geld ausgegeben
       hat, der bekommt von der Chefetage nicht noch mal extra was, wenn er sagt,
       man habe das Falsche gekauft und brauche eigentlich was anderes.
       
       Problematisch ist, dass die Berater, die in dem Bereich tätig sind, in der
       Regel nicht unabhängig sind. Die arbeiten für IT-Sicherheitsfirmen, die
       selbst etwas verkaufen wollen. Das gilt sogar für viele Wissenschaftler.
       
       Was leistet das beim Bundesinnenministerium angesiedelte Bundesamt für
       Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)? 
       
       Die hilfesuchenden Firmen können sich dort zwar gut informieren, wenn sie
       Nachfragen in Sachen Industriespionagebekämpfung haben. Aber das BSI mischt
       sich kaum in den Markt ein. Die Behörde hat nur wenig Ressourcen. Außerdem
       will man den bestehenden IT-Markt nicht verärgern.
       
       Derzeit ist viel die Rede davon, dass wir unser Telekommunikationsverhalten
       ändern und etwa die E-Mail-Kommunikation verschlüsseln müssen. 
       
       Der Durchschnittsbürger muss sich nicht vor der NSA fürchten, glaube ich.
       Da ist Panik unangebracht.
       
       Sollten Journalisten ihr Kommunikationsverhalten überdenken? 
       
       Ja! Informantenschutz ist wichtig! Generell ist es wichtig, das
       Kommunikationsverhalten in jenen Bereichen zu ändern, wo reale Konsequenzen
       zu befürchten sind. Das heißt, wir müssen unsere Wirtschaft und unsere
       Geheimschutzbereiche besser versiegeln und eine stärkere Counter
       Intelligence aufbauen.
       
       Das Problem ist, dass wir dafür eine stärkere politische Führung brauchen.
       Die Führungskräfte der BSI agieren sehr vorsichtig und bürokratisch. Auch
       die Ministerien agieren als Verwalter im Hintergrund. Deshalb kommt derzeit
       von keiner Stelle ein richtiger Impuls.
       
       Von wem müsste der denn kommen? 
       
       Vom Gesetzgeber, also aus dem Bundestag. Dafür gibt es allerdings keine
       Anzeichen. Aus dem Markt kommt der Impuls jedenfalls nicht, solange die
       Kunden alles kaufen, was im Regal steht. Dann gibt es auch keinen Grund,
       viel Geld auszugeben für neue teure Entwicklungen.
       
       Erschwerend kommt hinzu, dass die neuen IT-Hochsicherheitskonzepte, die ich
       favorisiere und für die es auch einige Ideen in den Computer Sciences gibt,
       von manchen Unternehmen erst einmal als nachteilig aufgefasst werden.
       
       Inwiefern? 
       
       IT-Hochsicherheitskonzepte greifen in Geschäftsprozesse ein. Die werden
       erst einmal umständlicher und langsamer. Man muss Sachen verschlüsseln,
       darf nicht überall ins Internet und nicht alles übers Internet verschicken.
       Das setzen die Firmen von selbst nicht um, da muss man sie eigentlich per
       Gesetz dazu zwingen.
       
       Es hat vom BMI jetzt einen mutigen Vorstoß gegeben – das
       Informationssicherheitsgesetz. Man will Unternehmen dazu zwingen, Vorfälle
       zu veröffentlichen und Minimalstandards zu akzeptieren. Nur
       Minimalstandards einzufordern, ist aber schwierig.
       
       Bei Gesetzesinitiativen besteht immer das Problem, dass man nicht zu viele
       starten sollte, weil sich sonst alle Betroffenen überrollt fühlen. Wenn man
       also sein Pulver verschießt für so eine Aktion, die eher am unteren Ende
       ansetzt als am oberen Ende, ist das politisch kontraproduktiv.
       
       Diese Aspekte spielen in der politischen Diskussion im Nachgang der
       Snowden-Enthüllungen aber kaum eine Rolle. Da geht es ja eher um Fragen wie
       die, ob es statthaft ist, Freunde auszuspionieren. 
       
       Für die breite Öffentlichkeit mag das zutreffen. In Firmen und Behörden
       spricht man aber durchaus darüber, wie man sich schützt. Die Frage ist, wie
       viel Vertrauen man Staaten und Unternehmen noch entgegenbringen will, die
       schon alles Mögliche versprochen haben.
       
       Sollte man nicht einfach mal das technische Problem an der Basis lösen,
       selber etwas entwickeln und verhindern, dass man ausgespäht wird? Das wäre
       konsequenter, als sich beruhigen zu lassen.
       
       13 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Martens
       
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