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       # taz.de -- Sommer-Serie „Geschmackssache“: Blut, Schweiß und Wurst
       
       > Warum wird ein junger Mensch heute noch Fleischer? Christian Cornely aus
       > Aachen führt eine Metzgerei in vierter Generation. Er trotzt dem Trend.
       
   IMG Bild: Sein eigenes Aushängeschild: Christian Cornely in seinem Geschäft in Aachen.
       
       AACHEN taz | Als der Sohn klein war, nahm der Vater ihn mit zum
       Schlachthof. Kalt war es da, und der kleine Christian zog sich eine warme
       Jacke über. Was er sah, hat sich ihm eingeprägt. Wie Kühe und Schweine,
       imposante Tiere, in der Kälte dampften. Und wie sie wenig später,
       ausgeweidet und zweigeteilt, an Haken hingen. Heute sagt der Sohn dazu: „Im
       Prinzip ist es dann wie ’n Stück Holz für’n Schreiner.“
       
       Wer den Verkaufsraum der Fleischerei Cornely betritt, den empfängt ein
       angenehm kühler Lufthauch. Eine der Verkäuferinnen sagt: „Sie woll’n sischa
       zum Chef.“ Aus den hinteren Räumen tritt Christian Cornely, 40 Jahre, groß,
       breites Kreuz, kräftige Stimme. Auf seinem roten Polohemd prangt der
       Schriftzug „Cornely“, darunter der Umriss eines Schweins. Er trägt eine
       rote Schürze, die er in den kommenden Stunden nicht ablegen wird. „Isch
       zeich Ihnen mal allet“, sagt er. „Sie wer’n sisch wundern.“
       
       Nur wenige Schritte von der Kühle des Verkaufsraums entfernt liegt der
       eigentliche Metzgerraum. Den Besucher empfängt ein Schwall schwülwarmer
       Luft. Aus einem Wasserbecken steigt Dampf auf, der rutschfeste Boden ist
       feucht von der jüngsten Reinigung. Der Schinken hängt in einer alten
       Räucherkammer über glimmenden Sägespänen. Alles in allem misst der Raum
       höchstens 25 Quadratmeter.
       
       „Guck’n Se“, sagt Cornely, „hier wird gekocht, hier wird geräuchert. Mit
       Rauch wie vor hundert Jahren.“ Cornelys Sätze sind gefärbt vom Dialekt
       seiner Heimat, dem Aachener Platt. Es ähnelt dem Kölschen.
       
       ## Die Blicke der Menschen
       
       Vor 14 Jahren hat das Einzelkind Christian die Fleischerei von seinen
       Eltern Helmut und Hildegard Cornely übernommen. Der Bestandsschutz sichert
       seine Betriebsgenehmigung. „Normalerweise is es nisch mehr erlaubt, hier zu
       arbeiten.“ Warum? „Aah“, sagt der große Mann und wischt mit seinen Händen
       unsichtbare Widerstände beiseite: „Wejen allem.“
       
       Warum entscheidet sich ein junger Mensch heute noch für einen extrem
       anstrengenden Handwerksberuf? Was lässt einen die Blicke der Menschen
       aushalten, die nicht daran erinnert werden wollen, dass ihr Essen mal Augen
       hatte?
       
       Im Fall von Christian Cornely hat die Antwort viel mit einer langen
       Familientradition zu tun. Seit 1907 zerteilen, würzen, kochen, garen und
       verkaufen die Cornelys in Aachen Fleisch. Seit vier Generationen,
       angefangen mit Urgroßvater Egidius Cornely, einem Mann mit
       Kaiser-Wilhelm-Bart. Seit 1932 tut sie es hier in der Großkölnstraße, nur
       rund hundert Meter von Rathaus und Dom entfernt. Eine 1-a-Lage.
       
       Die Cornelys haben durchgehalten. Vor 60 Jahren gab es rund 200
       Fleischereien in der Stadt, heute sind es noch 18 – ein Überlebenskampf.
       Dies ist auch eine Geschichte über Ausdauer. Und über die Frage, wo
       Beharrlichkeit endet und der Starrsinn beginnt.
       
       ## Fremdwort 40-Stunden-Woche
       
       Als Christian Cornely 1998 den Betrieb vom Vater übernahm, baute er die
       Räume aufwendig um: rutschfester Boden überall, Maschinen und Regale aus
       rostfreiem Edelstahl. 240.000 Mark kostete es ihn, den gestiegenen
       Anforderungen des EG-Lebensmittelrechts gerecht zu werden. Gleichzeitig
       durfte er die kleinen Geschäftsräume nicht erweitern: Denkmalschutz. Das
       ist der Nachteil eines alten Hauses in bester Lage, nur hundert Meter
       entfernt von Rathaus und Dom. Banken zögerten, dem jungen Meister einen
       Kredit zu geben: Wer wisse denn, wie lange sich ein kleiner, eigenständiger
       Betrieb noch hält? Auch deshalb, sagt Cornely, gäben viele Fleischer auf.
       Aber für den Niedergang seines Handwerks gibt es viele Gründe.
       
       „Freizeit, Urlaub, Familie, 40-Stunden-Woche – dat sind Fremdworte“, sagt
       der Fleischermeister. „Dat war für misch nicht ersichtlich, welche
       Entbehrungen et bedeutet.“ Er arbeitet von Montag bis Samstag, 55 bis 60
       Stunden pro Woche. Allein 2011 sank die Zahl selbstständiger
       Fleischerbetriebe bundesweit um 527 – auf 14.969.
       
       Viele Kollegen eröffnen Filialen oder betreiben Catering. Cornely ist
       darauf nicht angewiesen. In den letzten sieben Jahren stieg sein Umsatz um
       30 Prozent. „Klar, isch muss nich am Hungertuch nagen“, sagt er. „Aber dat
       ich im Winter dat Tageslicht nich seh, dat sieht keiner.“
       
       ## Tour durch den Betrieb
       
       Vor zwei Jahren zerbrach die Beziehung zu seiner Ehefrau, die auch im Laden
       arbeitete. Er möchte nicht so viel darüber reden. Lieber beeilt er sich mit
       der kleinen Tour durch seinen Betrieb. Gleich kommen seine acht und zehn
       Jahre alten Töchter aus der Schule. Zwischen dampfenden Garbecken und
       Räucherkammer fragt er: „Sollen wir mal ins Kühllager gehen?“
       
       Wen rohes Fleisch, Gerüche und schweres Heben nicht abschrecken, der kann
       auf vergleichsweise sichere Jobs vertrauen. Cornely beschäftigt sieben
       Verkäuferinnen und zwei Metzgermeister. So ist es meist: Männer sind
       Fleischer, Frauen Verkäuferinnen. Nur jeder 50. Fleischerlehrling war 2011
       eine Frau. Fast drei Viertel der knapp 5.000 Fleischerlehrlinge im Jahr
       2011 kamen von der Hauptschule. Cornely hat den Realschulabschluss.
       
       Auf halber Treppe zum Keller greift der Chef in ein Regal. Dort stehen
       Plastikdosen voller Nelken, Senfkörner, Majoran und Pistazien. Bei Cornelys
       wird Wurst nach alten Rezepten gewürzt. Das bindet Kunden, schreckt aber
       die McDonald’s-Generation ab: „Fragen Sie mal ’ne 15-Jährige, wat man mit
       ’ner Muskatnuss macht“, sagt Cornely mit kräftiger Stimme. „Die wird Ihnen
       wahrscheinlich sagen: ’Einpflanzen.‘ “
       
       In der Schwüle sagt der Meister: „Die EG möchte et am liebsten so: Vorne
       kommt das Schwein in den Schlachthof, hintenraus die vakuumierte Wurst aus
       der Fabrik.“ Lokale Schlachtung von Tieren aus der Region? Kontrolle über
       die Herkunft und kurze Anfahrtswege, damit die Tiere nicht so lange unter
       Stress leiden? Das interessiere Brüssel nicht. Das Ergebnis sei
       austauschbare, immer gleich schmeckende Supermarktwurst. Der Griff ins
       Regal erspart den Extrastopp beim Fleischer, und die abgepackte Wurst ist
       länger haltbar.
       
       ## Die Sache mit dem Schlachthof
       
       Cornely bekümmert so etwas. Er ist gern Fleischer. Anders hielte er den
       Stress nicht aus. Er ist stolz darauf, zu wissen, dass sein Fleisch von
       Bauernhöfen stammt, die maximal 30 Kilometer entfernt liegen. Er erwähnt
       nicht, dass der nahe gelegene Schlachthof Eschweiler, von dem auch er sein
       Fleisch bezieht, kurz zuvor seinen Betrieb unterbrechen musste. Das
       Landesverbraucherschutzamt hatte bemängelt, dass Tiere dort nicht
       ausreichend betäubt würden.
       
       Cornely sagt, er könne sehen, wenn ein Tier vor seinem Tod geprügelt worden
       sei. Dann gebe es blaue Flecken, die noch in Fleischstücken sichtbar sind.
       Solche Ware lasse er zurückgehen. Es geht um seine Fleischerehre. Während
       des BSE-Skandals hörte er den Vorwurf, er verarbeite Hirn in seiner Wurst.
       „Da wär ich fast aus der Hose gesprungen.“
       
       Im ersten Stock des schmalen Hauses hat Cornely sein Büro. Früher war es
       das Wohnzimmer seiner Eltern. Helmut und Hildegard Cornely sind
       vorbeigekommen, um von früher zu erzählen.
       
       Vor 40 Jahren musste Vater Helmut noch am Schlachthof persönlich den
       Fleischpreis aushandeln. Es ging hochdramatisch zu. „Manche klagten: ’Nää,
       du machs’ mich kaputt un’ ming Familie.‘ Da gab et Händler bei, die konnten
       auf Kommando heulen“, erinnert sich Vater Cornely. Besiegelt wurde das
       Geschäft per Handschlag. Dann hörte das Heulen schlagartig auf.
       
       ## Ein ehrlicher Beruf
       
       Als Christians Eltern den Betrieb 1970 übernahmen, schafften sie als Erstes
       die Sitte ab, dass der Meister montags selbst schlachtet. Getötet wird
       seither allein im Schlachthof.
       
       Waren die Cornelys nie Vorbehalten ausgesetzt, weil sie ihren
       Lebensunterhalt mit toten Tieren verdienen? Vater Cornely atmet tief durch
       und sagt: „Fleischer ist ein ehrlicher, anstrengender Beruf.“ Sohn
       Christian nickt. Ende der Durchsage.
       
       Der 73-Jährige und seine 66-jährige Frau sehen erholt aus. Wie war es, 1998
       nach insgesamt 40 Jahren im Fleischergewerbe aufzuhören? Vater Helmut
       lächelt wieder: „Isch bin so wat musisch veranlagt. Isch hab ’ne große
       Klassiksammlung, Literatur, meine Frau.“ Nach kurzer Pause fügt er hinzu:
       „Früher kauften bei uns die Karajans ein.“ Seine Frau unterbricht ihren
       Mann nur einmal. Ruhig sagt sie: „Wir sind gerne in Rente gegangen.“
       
       Die beiden haben die Gefahr, dass Beharrlichkeit zu Starrsinn wird,
       umschifft. Nach 40 harten Arbeitsjahren wagten sie den Bruch. Die ganze
       Verantwortung übergaben sie Sohn Christian.
       
       ## Lokale Spezialitäten
       
       Der muss die Frage, wann aus Selbstständigkeit Selbstausbeutung wird, noch
       aus eigener Erfahrung beantworten. Im Moment tut er alles dafür, möglichst
       lange Fleischer zu bleiben. Er verkauft rechtlich geschützte lokal
       Spezialitäten wie „Aachener Weihnachtsleberwurst“ oder „Aachener
       Kaiser-Karls-Wurst“. Cornely sagt: „Der Öscher“, also der Aachener, „kann
       sich mit seiner Weihnachtsleberwurst identifizieren.“ Und er erfindet Dinge
       wie den „Metzger-Burger“, eine gebratene Brühwurstscheibe im Brötchen, um
       der Fast-Food-Konkurrenz etwas entgegenzusetzen.
       
       Trotz allen Engagements könnte es so weit kommen, dass die
       Familientradition nach vier Generationen endet. 2015 soll ein neues
       Einkaufszentrum entstehen, nur 800 Meter entfernt. „Da hab ich auch Angst
       vor. Ich kann ja hier nich weg.“
       
       Christian Cornely schaut auf die Uhr. Gleich kommen seine Töchter. Noch
       eine Frage: Sie haben Ihr Leben lang mit Fleisch zu tun gehabt. Haben Sie
       nie daran gedacht, gegen die Tradition zu rebellieren? Etwa indem Sie als
       Teenager Vegetarier wurden? Seine blauen Augen weiten sich noch etwas mehr,
       und er sagt: „Nee. Wieso?“
       
       14 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Lohre
       
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