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       # taz.de -- Literatur-Wettbewerb in Klagenfurt: Was seid ihr alle toll
       
       > Vor seinem Praktikum bei der taz hatte er noch nie vom Bachmann-Preis
       > gehört. Die literarische Entdeckungsreise eines bekennenden Banausen.
       
   IMG Bild: Wusste das Publikum zu begeistern: Schriftstellerin Nadine Kegele
       
       „Was, Du kennst den Bachmann-Preis nicht“, fragt mich Redakteur Jan und
       denkt, ich wolle ihn foppen. Ungläubig sucht er in meinem Gesicht nach
       etwas, das meinen Scherz verrät. Kein unterdrücktes Lächeln, kein
       Augenzwinkern. Ich muss ihn angeschaut haben wie ein Schaf. „Das ist der
       wichtigste Literaturpreis im deutschsprachigen Raum“, sagt Jan leicht
       entrüstet, aber mit einer Spur von Wohlwollen. Der studierte
       Literaturwissenschaftler koordiniert für taz.de die Berichterstattung zum
       Literaturfestival im österreichischen Klagenfurt.
       
       „Erstmal einlesen, die [1][Homepage des Preises] anschauen, die [2][Artikel
       vom Vorjahr]“, verordnet er mir. Bei Facebook und Twitter soll ich während
       des Wettlesens die Diskussionen und Kommentare beobachten. Die 37. Auflage
       könnte die letzte sein, erklärt mir Jan, da der ORF möglicherweise keinen
       38. Bachmann-Preis finanzieren möchte. Oha, jetzt wird’s ja doch noch
       interessant, denke ich und lege los.
       
       „Das Huhn auf meinem schosse sitzt,hat mich vollkommen bespritzt,mein Busen
       bebt die erde zuckt,das wird wohl nicht als buch gedruckt #tddl“, spuckt
       [3][Twitter einen Tweet von Sibylle Berg aus dem Jahr 2012] aus, als ich
       das Kürzel #tddl („Tage der deutschsprachigen Literatur“) zwei Tage vor
       Beginn des Wettlesens in das Suchfeld eingebe. Ich muss laut lachen, doch
       die Kollegen im Großraumbüro gucken gar nicht erst von den Bildschirmen
       hoch. Sie haben sich schon dran gewöhnt, das mit dem Losprusten passiert
       mir öfter.
       
       ## Kultur ist eine exotische Pflanze
       
       Was soll's, frage ich mich und schaue mal bei Facebook. „Der Bachmann-Preis
       muss bleiben“, [4][fordern dort knapp 6.000 Menschen]. Weitere 30.000 sind
       persönlich eingeladen, sich mit einem Mausklick zu solidarisieren. Jeder
       Andere, der so wie ich per Zufall darauf stößt, kann ebenfalls mitmachen.
       Gestartet wurde die Aktion von Künstlern des Vereins „FreiaumK“ aus
       Klagenfurt, dem Austragungsort des Wettlesens. In ihrer symbolischen
       Petition an den ORF argumentieren sie: „Leisten wir uns Kultur, diese
       exotische Pflanze. Sonst verdorren wir.“
       
       Dieser Offene Brief sei auch Politiker wie den österreichischen
       Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) geschickt worden. Sobald eine Antwort
       kommt, solle sie auf Facebook gepostet werden.
       
       Tatsächlich ist weiter unten bereits eine Antwort aus der
       Marketing-Abteilung des ORF eingestellt, die mit den Worten beginnt: „Der
       ORF ist in seiner Vielfalt, Breite und Akzeptanz das erfolgreichste
       öffentlich-rechtliche Medien-Unternehmen in Europa.“ Mein Lachen schallt
       durch die Redaktion und nervt die Kollegen. Vielleicht sollte ich mir das
       abgewöhnen. Wäre schade. Außer Selbstbeweihräucherung steht nichts in dem
       Text. Auch schade.
       
       Beim zweiten Lesen der Petition irgendwann später in der Woche, als die
       Lesungen in Klagenfurt schon laufen, stößt mir ein Satz übel auf: „Im
       Bachmann-Preis feiert die Literatur sich selbst.“ Was seid ihr alle toll.
       Diesmal bleibt mir das Lachen ungewollt im Halse stecken. Ich muss kurz an
       Jan denken, der mir zwischendurch auf dem Balkon erklärt hat, wie wichtig
       dieser Nachwuchspreis für Schriftsteller ist und wie sehr es ihn ärgert,
       dass Literaturgrößen wie Marcel Reich-Ranicki bei den Tagen der
       deutschsprachigen Literatur über Jahrzehnte ihre Bühne für krude
       One-Man-Shows missbraucht haben. Doch reichlich elitär der ganze Kram,
       oder?
       
       Mal besser das Tempo erhöhen, bevor der Lesefluss versickert und ihr lieben
       Leser in die Weiten des Webs entschwindet: „Letzte Rettung: Wodka?!“, zeigt
       mir [5][Twitter] am Freitag an, als ich zwischendurch mal wieder dem Stand
       der Dinge auf der Spur bin. Geht's noch?
       
       ## Hochkultur: Brüste und Schamhaare
       
       Tatsächlich bringt mich der Link [6][auf die Internetseite] der
       österreichischen Tageszeitung Die Presse. Eine Kartoffelschnapsklitsche
       habe angeboten, die rund 350.000 Euro für die Ausrichtung des
       Bachmann-Preises im kommenden Jahr zu spendieren, falls der ORF sich vom
       Wettlesen tatsächlich zurückzieht. „Uns ist klar, dass man darüber Witze
       machen kann“, zitieren die Kollegen den PR-Manager des Wodka-Herstellers,
       Wolfgang Oschischnig. Ich versuch mir das Lachen zu verkneifen –
       vergeblich. Als ich die Wodka-Nummer kurz erzähle stimmen ein paar Kollegen
       ein. Geht doch, trotz all dem Stress hier!
       
       Bevor das Lachen in unserem Hühnerstall verklungen ist, bleibt mein
       getriebener Blick am Bildschirm hängen: Gerade ist ein neuer [7][Artikel]
       von unserer Kollegin Angela Leinen in Klagenfurt reingekommen. Sie schreibt
       über den Auftritt von Nadine Kegele. In der vorgelesenen Passage gehe es um
       Brüste, und um noch mehr und noch größere Brüste. Und um Schamhaare,
       berichtet die Kollegin weiter. Genauso wie in vier der fünf an diesem Tag
       vorgestellten Texte. „So wie im vorigen Jahr ständig Tiere getötet wurden“,
       schreibt Angela.
       
       Au Mann, so viel habe ich da aber in den letzten Jahren nicht verpasst. Mal
       sehen, ob die Schamhaare bei Twitter auch so tief fliegen. Ja, tun sie –
       Büschelweise! Nadine Kegele bittet dort um die Teilnahme an der
       Internetabstimmung zur Vergabe des Publikumspreises. „Hab ja die schönsten
       Brüste und längsten Schamhaare“, gibt sie zu [8][bedenken].
       
       ## Hauptgewinnerin ist zarte 43 Jahre alt
       
       Den mit 7.000 Euro dotierten Publikumspreis gewinnt sie dann auch
       tatsächlich, und ihr nächster [9][Tweet] überrascht sogar noch mehr: „Bin
       in Hawai. Danke allen. Wirklich! Sehr! Sehr! Sehr! #tddl!“
       
       Komisch, dabei war sie doch gerade noch im Fernsehen bei der
       Preisverleihung in Klagenfurt zu sehen. Ist das ein Ort in Klagenfurt, den
       ich nicht kenne, oder auch nur wieder Prosa, Fiktion, ein distinguierter
       Gag?
       
       Allergisch gegen Personenkulte aller Art kann ich ja ehrlich zu euch sein:
       Ist mir echt egal. Im Übrigen haben wir ja gesehen, dass durch den
       Bachmann-Preis junge und prekarisierte Schriftsteller die Chance ihre
       Lebens bekommen sollen. So wie die Gewinnerin des 25.000 Euro schweren
       Hauptpreises, Katja Petrowskaja, mit ihren zarten 43 Jahren.
       
       Schade eigentlich, dass der ORF den Preis im kommenden Jahr zum 38. Mal nun
       doch wieder ausrichten will. Wären die Leute von dem Wodkaladen da
       eingestiegen, hätten sie die Chose vielleicht zu etwas umgemodelt, was auch
       Banausen wie mich für die Hochkultur hätte begeistern können.
       
       Sorry, Jan. Ich hab's versucht.
       
       7 Jul 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://bachmannpreis.eu/
   DIR [2] /3-Tag-Bachmann-Wettlesen-in-Klagenfurt/!96892/
   DIR [3] http://twitter.com/SibylleBerg/status/221569109131923458
   DIR [4] http://www.facebook.com/events/596184517092663/
   DIR [5] http://twitter.com/maren_marenesk/status/350355984927031296
   DIR [6] http://diepresse.com/home/kultur/medien/1423635/BachmannPreis_Wodka-als-Rettung-?from=rss
   DIR [7] /Ingeborg-Bachmann-Preis-2013/!119285/
   DIR [8] http://twitter.com/NadineKegele/status/353503474945753089
   DIR [9] http://twitter.com/NadineKegele/status/353832666140905472
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Kohn
       
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