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       # taz.de -- Tennis: Wir sind hier nicht beim Fußball
       
       > Als Sabine Lisicki ihr Finale in Wimbledon verliert, fiebern die
       > Mitglieder ihres Heimatvereins LTTC Rot-Weiß im Grunewald mit – und
       > punkten mit treffenden Analysen.
       
   IMG Bild: Wimbledon-Zweite Sabine Lisicki - ihre Berliner Fans litten mit ihr.
       
       Samstagnachmittag, kurz vor drei im Grunewald. Das Klubhaus des LTTC
       „Rot-Weiß“ ist überfüllt. Mehr als 150 meist weißhaarige Herrschaften
       sitzen Armlehne an Armlehne in riesigen Klubsesseln. Ganz vorne verdeckt
       eine Leinwand das Panoramafenster, das sonst den Blick zum idyllischen
       Hundekehlesee freigibt. Public Viewing im Kurheim, könnte man denken, wäre
       da nicht das gute Dutzend Fernsehkameraleute und Pressefotografen, die,
       aufgereiht wie auf der Hühnerstange, unter der Leinwand sitzen und ihre
       Objektive aufs Publikum gerichtet halten – um den Klubmitgliedern beim
       Fernsehgucken zuzugucken. „Unsere“ Sabine Lisicki steht gegen Marion
       Bartoli im Finale in Wimbledon. Rot-Weiß ist Lisickis Heimatverein.
       
       Die Damen der Meisterklasse des LTTC sitzen an der Bar im hinteren Bereich,
       so haben sie den besten Überblick. „Vor vier Wochen hat die Sabine noch
       hier trainiert“, erzählt Helen Anderson. Das leuchtend gelbe Top betont
       ihre schlanken, muskulösen Arme, die blonden Haare sind hochgesteckt,
       blauer Kajal betont die Augen. Die 70-Jährige könnte locker für 50
       durchgehen. „Kennen Sie Frau Lisicki schon lange?“, fragt ein Reporter und
       kritzelt eifrig auf seinem Block. „Ja, natürlich“, sagt Helen Anderson
       stolz, „und vor vier Wochen, da stand sie hier auf dem Platz, ich kam
       gerade vorbei, da hab ich ihr zugerufen: ’Warte, Sabine, ich komm gleich,
       ich zieh mich nur eben kurz um‘, als ob wir eine Partie spielen wollten. Da
       hat sie aber gelacht.“ Helen Anderson und ihre Freundin Astrid Richter
       müssen gleich wieder lachen. „So ein nettes, bescheidenes Mädchen“,
       schwärmen die beiden. Die Berlinerinnen spielen seit Jahrzehnten im LTTC,
       mittlerweile in der Meisterklasse der Mannschaftsdamen. „Das klingt aber
       viel doller, als es ist“, winken sie ab.
       
       Das Spiel beginnt. Die Damen erklären der ahnungslosen taz-Autorin die
       Regeln: Advantage, Break, Rebreak, Spiel, Satz, Sieg. Als Lisicki das erste
       Spiel gewinnt, geht eine Welle der Freude durch den Raum. Kein Gegröle,
       keine Bierflaschen, Kaffee wird getrunken, Mineralwasser. Das Bier ist
       gezapft und dauert sieben Minuten. Wir sind hier nicht beim Fußball. „Das
       Match ist erst vorbei, wenn der letzte Ball geschlagen ist“, sagt Helen
       Anderson ahnungsvoll. „Für mich ist es nie gut, wenn ich das erste Spiel
       gewinne“, erzählt sie, „das macht mich zu selbstsicher.“ Dann werde man
       unkonzentriert und mache Fehler. Wie Sabine Lisicki. Der erste Satz geht
       klar an Bartoli. „Sie kann immer noch gewinnen“, sagt die Seniorin. „Ich
       hatte mal ein Spiel“, erzählt sie, „da lag ich mit fünf zu zwei im zweiten
       Satz hinten. Den ersten hatte ich auch schon verloren. Eine Freundin von
       mir, die im Publikum saß, die ist aufgestanden und nach Hause gegangen,
       weil sie dachte, ich würde sowieso verlieren.“ Helen Anderson hat das Match
       im dritten Satz haushoch gewonnen. „Mich hat das so wütend gemacht, dass
       die gegangen ist“, sagt sie, „das hat mir noch mal richtig Auftrieb
       gegeben.“
       
       Sabine Lisicki sieht so aus, als hätte sie ein wenig Auftrieb dringend
       nötig. „Gott, ist das aufregend!“ Vera Wegner ist an die Bar getreten, eine
       weitere Meisterklassen-Dame. Die Haare sind hochtoupiert und dunkel
       gefärbt, blaues Oberteil, blauer Lidschatten. Ihre perfekt manikürten Hände
       greifen nach denen von Helen Anderson. Das sei ja heute kein Vergleich mit
       Lisickis Form vom Halbfinale, sagt Wegner, aber: „Das Match ist vorbei,
       wenn der letzte Ball gespielt ist.“ Sie sei seit fünfzig Jahren im Klub,
       „ich hab hier noch Steffi Graf spielen sehen“. Niemand habe je so hart
       trainiert wie die Wimbledon-Finalistin von 1999. Als Lisicki Tränen
       herunterschluckt, holt Helen Anderson die Autoschlüssel aus der Handtasche.
       Für sie ist das Match entschieden. Da plötzlich erzielt Lisicki zwei
       Punkte, wehrt Matchbälle ab. Doch es reicht nicht. Und nun, nach der
       Niederlage im größten Spiel ihrer Karriere, wird sich Sabine Lisicki nicht
       mal bei ihrem LTTC feiern lassen. Ein für heute geplanter Empfang wurde
       abgesagt. Lisickis Vermarkter hat andere Pläne.
       
       7 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Streisand
       
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